Inklusion in Film und Serien: Schauspieler mit echten Behinderungen

Die gehörlose Schauspielerin Millicent Simmonds an der Seite von Schauspielkollege und Regisseur John Krasinski in “A Quiet Place”. (Bild: Paramount Pictures)
Die gehörlose Schauspielerin Millicent Simmonds an der Seite von Schauspielkollege und Regisseur John Krasinski in “A Quiet Place”. (Bild: Paramount Pictures)

In jüngster Vergangenheit wurden immer mehr Filme gedreht über Menschen, die schwer erkrankt sind bzw. eine geistige oder körperliche Behinderung haben. Nicht selten werden die entsprechenden Rollen von Schauspielern gespielt, die an ähnlichen Krankheiten oder Behinderungen leiden. Haben die vielen öffentlichen Debatten für eine gerechtere Gesellschaft auch die Produzenten und Filmemacher für das Thema Inklusion sensibilisiert?

Bei den vielen Begeisterungsrufen, die “A Quiet Place” ausgelöst hat, ging ein winziges Detail rund um den Sci-Fi-Thriller ein wenig unter. Die Nebenrolle der gehörlosen Tochter spielt mit Millicent Simmonds eine Schauspielerin, die im echten Leben die gleiche Einschränkung hat. Die Entscheidung von Regisseur John Krasinski, die Figur mit einer gehörlosen Nachwuchsdarstellerin zu besetzen, mag sicher auch dem Wunsch nach Authentizität geschuldet sein. Was der Film – auch dank der darstellerischen Leistung Simmonds’ – tatsächlich einlöst. Eine Erfolgsgeschichte ist das Beispiel aber auch insofern, als die in unserer aufgewühlten Zeit hitzig geführten Debatten um Rassismus, Sexismus und Benachteiligung behinderter Menschen und die Forderung nach einer gerechteren Gesellschaft vielleicht doch nicht vergebens sind.

Filme über Menschen mit Behinderungen

Filme über Menschen mit Behinderungen und schweren Erkrankungen sind kein junges Phänomen. Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass sie sich in letzter Zeit gehäuft haben. Man muss die Dramen, Komödien und Filmbiographien wie “Wunder”, “Ziemlich beste Freunde” oder “Die Entdeckung der Unendlichkeit” nicht gleich als Weltverbesserungsmissionen begreifen. Stoffe um ernsthaft erkrankte, geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen haben Potential für große Kino- und Serien-Momente. Sie eignen sich also besonders für Erzählformen, die nur zu gerne von großen Dramen, menschlichen Schicksalsschlägen und individuellen Befreiungskämpfen erzählen. Dennoch darf man hoffen, dass die entsprechenden Filme und Serien nicht nur exploitativ motiviert, sondern auch Ausdruck eines sensiblen Umgangs mit ernsten gesellschaftlichen Themen sind.

Eddie Redmayne spielt den genialen Physiker Stephen Hawking. (Foto: ddp)

Das schließt auch die Besetzungspolitik mit ein. Darstellungen von Schwererkrankten und Menschen mit Behinderungen gehören zu den größten Herausforderungen eines jeden Schauspielers, weshalb sie gerne mit den besten des Fachs besetzt werden. Für die Charakterdarsteller bedeutet das oft eine Chance, sich zu profilieren – und den einen oder anderen Filmpreis einzuheimsen. Ein Daniel Day-Lewis in “Mein linker Fuß”, ein Robert De Niro in “Zeit des Erwachens” oder ein Leonardo DiCaprio in “Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa” setzten mit ihren Verkörperungen gesundheitlich beeinträchtigter Menschen darstellerische Maßstäbe und wurden entsprechend belohnt – mit Preisen hier oder dem endgültigen Aufstieg in den Schauspiel-Olymp dort.

Inklusion in Film und Fernsehen

Verwerflich ist die Besetzung geistig oder körperlich behinderter Menschen mit professionellen Schauspielern nicht. In einigen Fällen ist sie sogar unumgänglich. Denn nicht immer sind Schauspieler oder Laiendarsteller mit echten Behinderungen den Stressanforderungen einer Filmproduktion gewachsen. Jüngstes Beispiel ist das Drama “Wunder” über einen kleinen Jungen, der seit seiner Geburt und bedingt durch zahlreiche Operationen am Gesicht entstellt ist. Medienberichten zufolge hatten die Produzenten die Rolle ursprünglich mit einem betroffenen Kind besetzt. Nach wenigen Tagen musste man die Arbeit jedoch abbrechen, weil sie für den Jungen zu strapaziös war. Schließlich engagierte man den “Raum”-Darsteller Jacob Tremblay für den Part, dessen gesundes Gesicht mit Maske und Schminke bearbeitet wurde.

Jacob Tremblay spielt den am Gesicht entstellten Jungen Auggie in “Wunder”. (Photo: StudioCanal Germany/Dale Robinette)
Jacob Tremblay spielt den am Gesicht entstellten Jungen Auggie in “Wunder”. (Photo: StudioCanal Germany/Dale Robinette)

Umso erfreulicher, wenn die Umstände es zulassen und auch die Film- und Fernsehproduzenten bei der Besetzung Mut zeigen. Auch von dieser Entwicklung zeugen zuletzt einige Beispiele. Neben “A Quiet Place” wären etwa Filme und Serien zu nennen wie “Draußen in meinem Kopf” mit dem in der ZDF-Sendung “Wetten, dass..?” verunglückten Samuel Koch. Oder das Wohlfühldrama “Me Too – Wer will schon normal sein”, in dem Pablo Pineda, ein Schauspieler mit Down-Syndrom, gleichsam sich selbst verkörpert. Und nicht zuletzt die Kultserie “Breaking Bad”, in der RJ Mitte einen jungen Mann mit infantiler Zerebralparese darstellt.

Der Fall Gaten Matarazzo

Besonders bemerkenswert ist der Fall der Erfolgsserie “Stranger Things”. Hier wurde nicht ein Schauspieler mit einer Behinderung an eine entsprechende Rolle angepasst, sondern umgekehrt. Der an Kleidokraniale Dysplasie erkrankte Gaten Matarazzo wurde zunächst für den Part des Dustin Henderson gecastet, erst danach haben die Drehbuchautoren die Behinderung ins Drehbuch geschrieben. Der Nachwuchsdarsteller spricht seit seinem Durchbruch offen über seine Krankheit mit der Absicht, erkrankten, körperlich oder geistig behinderten jungen Menschen Mut zu machen.

Finn Wolfhard und Gaten Matarazzo (rechts) in der Netflix-Serie “Stranger Things”. (Bild: Netflix)
Finn Wolfhard und Gaten Matarazzo (rechts) in der Netflix-Serie “Stranger Things”. (Bild: Netflix)

Beispiele wie diese sind in den Filmindustrien der Welt noch immer eine Randerscheinung. Menschen mit Behinderung haben auch in dieser Branche etliche Barrieren struktureller und mentaler Art zu überwinden. Klar kann Inklusion in Kino, Fernsehen und Theater keine kategorische Sache sein. Natürlich muss ein körperlich und psychisch versehrter Kriegsveteran nicht zwangsläufig von einem echten Veteranen dargestellt werden, wie ein Leser des Filmmagazins Variety in einem Artikel mit ähnlicher Thematik zynisch anmerkte. Ein wenig mehr Mut darf man sich dennoch von den Verantwortlichen wünschen. Schließlich ist eine inklusive Besetzungspolitik nicht nur gerecht. Letztlich kommt sie auch den Filmen und Serien zugute, denen es doch immer auch um Authentizität und Wahrhaftigkeit geht.