“Die vierte Macht”-Regisseur Dennis Gansel im Interview

Heute - am 8. März 2012 - startet der neue Film von Dennis Gansel in unseren Kinos. "Die vierte Macht" ist ein grandioser Politthriller mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle. „Die Handlung des folgenden Films ist frei erfunden", ist im Vorspann des Films zu lesen. Dabei gehört nicht besonders viel Hintergrundwissen dazu, um zu merken, dass die Handlung durchaus Parallelen in der realen Welt hat. Nur wenige Tage nachdem Wladimir Putin als neuer alter Präsident ins Amt gewählt wurde und die kritischen Stimmen über mögliche Wahlfälschungen lauter werden, startet der Film in den deutschen Kinos. Zum Filmstart sprach Yahoo! Kino mit Regisseur und Drehbuchautor Dennis Gansel.

Dennis, der Start deines neuen Films könnte zu keinem besseren Zeitpunkt erfolgen. Was denkst du, wie stark wirken sich die Vorgänge in Russland auf den Erfolg aus?

Dennis Gansel: Bei der Premiere in Berlin vergangene Woche hat man deutlich gespürt, dass der Film durch die Wahl in Russland eine enorme Relevanz bekommen hat. Es hat ja schon fast den Anschein, als hätte Putin das Drehbuch gelesen und auf seinen Wahlkampf übertragen. Wo normalerweise gefeiert und getanzt wird, wurde hitzig diskutiert bis morgens um fünf.

In deinem ersten Film, „Das Phantom" aus dem Jahr 1999, glaubt Jürgen Vogel eine Verschwörung entdeckt zu haben: Angeblich gehen einige Terror-Anschläge in den 1970er Jahren nicht auf das Konto der RAF, sondern wurden von geheimen Staatsorganen verübt. In „Die Vierte Macht" wiederholt sich dieses Muster 40 Jahre später in Russland. Ist dein Film ein Remake?

Nein, nur das Grundmuster der Verschwörung ist dasselbe. Als ich vor einigen Jahren in Russland war, wurde ich auf das Phantom angesprochen und gefragt, ob ich denn die Hintergründe kennen würde, durch die Putin an die Macht kam. Also habe ich angefangen zu recherchieren. Dabei stieß ich auch auf das Machiavelli-Zitat, das im Film vorkommt: „Um die Machtausübung zu bewahren, ist es notwendig, sich zu gewissen Zeiten des Terrors zu bedienen", riet der Philosoph schon vor 600 Jahren den italienischen Fürsten. Das Drehbuch zu „Die Vierte Macht" spielte ursprünglich auch in Italien.

Im Film werden viele Klischees über Russland bedient: bestechliche Polizisten, überfüllte Gefängnisse, willkürliche Staatsorgane. Ein bisschen dick aufgetragen, oder?

Überhaupt nicht. Ich war selbst in Russland und in Tschetschenien, habe recherchiert und mit vielen Menschen gesprochen. Um einen glaubhaften fiktionalen Film zu machen, musste ich sogar einige Schilderungen abmildern.

Also kann keine Rede von „frei erfunden" sein, wie es am Anfang des Films heißt?

Ich sag mal so: Wir sind mit dem Film so nahe an der Realität, dass wir an einigen Stellen in Bedrängnis mit dem deutschen Persönlichkeitsrecht gekommen sind. Das macht die Sache natürlich unglaublich spannend, auch schon in der Recherche. Am Anfang des Films zerstört eine Bombe einen ganzen Wohnblock. Ich selbst habe mit sechs Zeugen dieses Attentats gesprochen, dass 1999 tatsächlich stattgefunden hat. Vier weitere Zeugen waren bereits tot, zum Teil sind sie unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Herausgekommen ist ein Spielfilm, der aber keine Märchenstunde ist.

Politische Verschwörungen in Russland, Tschetschenienkrieg, Terroranschläge — ziemlich harter Stoff für das deutsche Kinopublikum, oder?

Schon, aber ich halte das Publikum für experimentierfreudiger, als man denkt. Außerdem ist es letztendlich ein spannender Thriller. Und wenn man dabei noch etwas mitnehmen kann, was einen zum Nachdenken bringt, ist das eine gute Sache.

Paul Jensen, die Hauptfigur des Films, arbeitet als Journalist bei einem Klatsch-Magazin und bringt mit einem kleinen Nachruf auf einen ermordeten Kollegen den Stein ins Rollen. Die sogenannten neuen Medien, also soziale Netzwerke und Blogs, spielen in deinem Film überhaupt keine Rolle. Warum nicht?

Im Drehbuch standen ganz viele Einstellungen, die diese Thematik hätten aufgreifen sollen: Wie Paul im Internet recherchiert, wie er nach dem Tod seiner Freundin, einer russischen Journalistin, auf ihre Facebook-Seite geht, die als Todesanzeige gestaltet ist, und so weiter. Im Schnitt sind diese Szenen alle rausgeflogen, weil sie auf der Kinoleinwand überhaupt nicht funktioniert haben. Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich habe noch keine Möglichkeit gefunden, wie sich abgefilmte Bildschirme knackig darstellen lassen. In der Realität haben die neuen Medien natürlich sehr viel mehr Bedeutung bei Umwälzungen, als im Film zu sehen. Siehe arabischer Frühling.

Heißt das, die Geschichte deines Films hat sich inzwischen überholt?

Nicht unbedingt, wenn man sich das Wahlergebnis in Russland anschaut. Als wir vergangenes Jahr in Kiew eine Demonstration drehen wollen, wurde uns gesagt, dass in Russland nie mehr als 80 Menschen zum protestieren auf die Straße gehen. Ich wollte trotzdem 350 Statisten haben. Kurz darauf demonstrierten in Moskau Tausende und alle erwarteten schon den großen Umbruch im Land. Und dann gewinnt doch wieder Putin die Wahl mit großer Mehrheit.

Welche Rolle spielen Facebook und andere Medien für dich als Filmemacher?

Ich selbst nutze sie ehrlich gesagt nur sehr sporadisch für mich selbst. Aber die direkte Kontaktmöglichkeit mit den Zuschauern, das ist eine grandiose Verbesserung zu der Zeit, als ich mit Filmemachen angefangen habe. Es kann durchaus hart sein, die Kommentare auf YouTube zum Trailer des eigenen Films zu lesen, wenn er beim Publikum nicht so gut ankommt. Aber es gibt einem auch die Möglichkeit zu argumentieren und zu diskutieren. Das geht bei Kritiken in der Zeitung nicht.

Wie wichtig sind Kritiken für dich?

Wichtig, aber nur um Aufmerksamkeit für den Film zu erzeugen. Wenn ich mir die Kritiken zu Herzen nehmen würde, hätte ich nach meinem zweiten Kinofilm, Napola, aufhören müssen zu Drehen.

Die erfolgreichsten deutschen Filme sind Komödien, auch dein Film „Mädchen, Mädchen" war mit knapp zwei Millionen Zuschauern der Überraschungserfolg des Kino-Jahres 2001. Für deine anderen Filme hast du zwar unter anderem den Grimme-Preis den Bayerischen Filmpreis und den Deutschen Filmpreis bekommen, gesehen haben sie — mit Ausnahme von „Die Welle" — aber wesentlich weniger Besucher. Woran liegt das?

Das wüsste ich allerdings auch gerne. Scheinbar erwarten die Zuschauer vom deutschen Kino keine Thriller oder Actionfilme. Als Regisseur habe ich auch weniger Möglichkeiten, öffentlichkeitswirksam auf meine Filme hinzuweisen, wie beispielsweise die Schauspieler das tun. Den Regisseur kennt kein Mensch, den will niemand sehen. Ich würde sofort zu Stefan Raab in die Sendung gehen — aber der hat schon abgewinkt. Vielleicht klappt es ja bei einem meiner nächsten Film, der mal wieder eine Komödie werden soll.

Die Hauptrolle in „Die Vierte Macht" ist mit Moritz Bleibtreu prominent besetzt, Max Riemelt ist in einer Nebenrolle zu sehen — bereits zum fünften Mal als Darsteller in einem Gansel-Film. Gibt es keine anderen Schauspieler in Deutschland?

Moritz rief mich an, kurz nachdem ich das Phantom gedreht hatte. Ihm gefiel die Story und er wollte unbedingt dabei sein, wenn ich etwas Ähnliches mache. Letztendlich hat es jetzt fast elf Jahre gedauert, aber Moritz war sofort Feuer und Flamme und hat direkt zugesagt. Und Max ist meiner Meinung nach unglaublich wandlungsfähig. Das wird der nächste deutsche Star, davon bin ich überzeugt. Außerdem ist er mittlerweile fast schon so etwas wie ein Maskottchen.

Die Vierte Macht ist dein erster Film, der komplett in Englisch gedreht wurde. Wie war das für dich?

Ich hatte zunächst Riesenbammel, ob das klappen wird. Aber letztendlich hat es gut funktioniert. Nur an die Synchronisation muss ich mich erst gewöhnen. Es ist seltsam, Max Riemelt und Moritz Bleibtreu sprechen zu hören und der Ton passt nicht zu den Lippenbewegungen.

Es hat Tradition, dass du in deinen Filmen einen kurzen Gastauftritt hast. In „Mädchen, Mädchen" warst du der Postbote auf dem Fahrrad, in „Napola" der Boxtrainer. In „Die Welle" spielst einen Betrunkenen. In was für einer Rolle sehen wir dich in „Die Vierte Macht"?

Dennis Gansel: (lacht) Das bleibt mein Geheimnis. Nur so viel: Mein russisch ist bescheiden, daher darf ich in der internationalen Version einen deutschen Satz sagen.

Kurzinhalt "Die vierte Macht":
In Moskau feiern die Schönen und Reichen ausgelassene Partys. Der abgehalfterte Berliner Szene-Journalist Paul Jensen (Moritz Bleibtreu) soll das Klatschblatt „Moscow Match" mit seiner Kolumne und seiner Erfahrung wieder auf Vordermann bringen. Zunächst läuft alles toll, Pauls Leben ist eine einzige Feier. Bis direkt vor ihm auf offener Straße ein kritischer Journalist erschossen wird. Als er zuliebe von Katja (Kasia Smutniak), einer Journalisten-Kollegin, einen Nachruf lanciert, lernt Paul das russische System kennen. Kurz darauf kommt Katja bei einer Bombenexplosion ums Leben, die sie angeblich selbst verursacht hat. Paul wird als Mittäter verhaftet und landet in einem der berüchtigten Gefängnisse des russischen Geheimdienstes. Nach und nach verbinden sich die losen Fäden der Geschichte zu einem Netz aus Intrigen, Korruption und Gewalt, aus dem es für Paul kein Entrinnen mehr gibt. Denn offenbar sitzen die Hintermänner der Attentate an anderen Stellen, als vermutet...

Interview: Jörg Donner

Ausblick - Das deutsche Filmjahr 2012