100 Jahre Disney: Mit 500 Dollar Startkapital zum Unterhaltungskrösus
Es sind die gängigen Klischees des US-amerikanischen Traums: Vom Tellerwäscher zum Millionär, vom Nobody zum Superstar, aus der Garage ins Rampenlicht. Letztgenannter Fall, so abgedroschen es auch klingen mag, war der tatsächliche Karriereweg der Gebrüder Walt und Roy Disney und deren The Walt Disney Company. Vor genau 100 Jahren, am 16. Oktober 1923 als Rohdiamant aus der Asche gehoben, (Micky-)mauserte sich Disney zum Milliarden-Imperium. Ein Jahrhundert bietet neben zahlreichen unvergessenen Kinoperlen aber auch Raum für Kontroverse.
Der eine Bruder hatte die Vision, der ältere das nötige, aus heutiger Sicht lachhaft niedrige Startkapital: Nur etwas über 20 Jahre war Walt Disney alt, als er in der Garage seines Onkels - immerhin schon in Los Angeles gelegen - seine Firma gründete. Mit dem zuvor aus dem Boden gestampften Unternehmen Laugh-O-Gram konnte er schon erste Erfahrungen in der Unterhaltungsbranche sammeln. Hatte er damit jedoch noch eine Bauchlandung hingelegt, setzte er mit Disney früh zum Höhenflug an. Mit 500 Dollar, die vornehmlich aus der Tasche seines Bruders Roy gestammt haben sollen, begann schließlich die Reise.
Erstes Geld, das weitere Projekte ermöglichen sollte, spielte die "Alice"-Kurzfilmreihe ein, in denen ein echtes Mädchen (Alice) Abenteuer mit einer animierten Zeichentrickkatze namens Julius erlebt. Doch erst deren bevorzugte Speise machte Disney schließlich weltberühmt: 1928 juckelte die heutige Ikone des Unternehmens über einen Fluss. Als "Steamboat Willie" eroberte Micky Maus nach zwei Stummfilm-Kurzeinsätzen nicht nur offiziell den Tonfilm, sondern auch die Popkultur.
Sieben Zwerge und über sechs Jahre Krieg
In der Folgezeit erblickten weitere ikonische Figuren wie Goofy und Donald Duck das Licht der Welt. 1937 ging Walt Disney zudem ein Wagnis ein: War das Kinopublikum bereit, auch einem abendfüllenden Zeichentrickfilm eine Chance zu geben? "Schneewittchen und die Sieben Zwerge" stellte diese Frage und bekam ein überschwängliches "Ja" als Antwort. Der Streifen wurde ein riesiger kommerzieller Erfolg und sollte Walt Disney in seiner Meinung bestärken, dass die Ära der vollwertigen Zeichentrickfilme eingeläutet war. Doch zunächst kam es anders.
Der ausgebrochene Zweite Weltkrieg hatte auch für die Disney Company weitreichende Folgen. Europa fiel als lukrativer Filmmarkt weg, heutige Klassiker wie "Pinocchio" und "Bambi" konnten die hohen Produktionskosten nicht wieder einspielen. Auch in den Nachkriegsjahren hatte sich das inzwischen verschuldete Unternehmen noch nicht stabilisiert. Als zusätzliche Einnahmequelle dienten daher animierte Lehrfilmchen, die zum Beispiel Schülerinnen die "Story of Menstruation" näherbringen sollten.
Die Auferstehung und der Tod
Erst 1950 sollte der Disney-Stern wieder steigen: Mit "Cinderella" gelang dem Studio der erste Nachkriegsfilm, der das Prädikat "Hit" verdiente. Doch der Aufschwung nahm nicht nur auf der Leinwand Gestalt an. Pläne für einen Themenpark machten die Runde, die 1955 Realität werden sollten: Im kalifornischen Anaheim öffneten die Pforten des ersten Disneylands.
Nach diversen Erfolgen wie "Peter Pan", "101 Dalmatiner" oder dem Realfilm "Mary Poppins" stellt "Das Dschungelbuch" von 1967 einen großen Wendepunkt dar. Es handelt sich dabei um den ersten Zeichentrickfilm, der nach Walt Disneys Tod im Jahr zuvor im Alter von 65 Jahren erschienen war. Zwar lenkte Bruder Roy bis zu seinem Tod 1971 die Geschicke des Unternehmens durchaus erfolgreich. Doch das so ausdauernde Disney-Steckenpferd aus Spiel- und vor allem Zeichentrickfilmen wies in dieser Phase einmal mehr Risse auf.
Alte und neue Wege
Nach einer längeren Durststrecke folgte erst Ende der 1980er Jahre, was rückwirkend als "Disney-Renaissance" bezeichnet wurde. Mit "Arielle, die Meerjungfrau" (1989) begann ein beeindruckender Lauf an kommerziellen Mega-Hits: "Die Schöne und das Biest", "Aladdin" und vor allem "Der König der Löwen" schlugen als "Instant Classic" ein.
Gleichzeitig beschritt das Unternehmen neue Wege. Mit Pixar - dessen Geschäftsführer und Hauptaktionär übrigens Steve Jobs (1955-2011) war - holte man sich einen Partner ins Boot, der sich auf computeranimierte Trickfilme spezialisiert hatte. Mit "Toy Story" begann 1995 die Reise, die seither 26 weitere Animationsfilme hervor- und jede Menge Milliarden einbrachte. Wie viel Geld Pixar generiert, belegte die Summe, für die Disney das Studio 2006 übernahm: Über sieben Milliarden US-Dollar blätterte man hin - und damit fast genau so viel, wie für zwei der größten Zugpferde der Firma zusammengenommen, nämlich Marvel und Star Wars.
Marvel, "Star Wars" - Kino-Weltherrschaft?
In Retrospektive wirken die jeweils rund vier Milliarden US-Dollar, für die Disney zunächst die Marvel- und später die "Star Wars"-Rechte erwarb, wie ein Schnäppchen. Zum Vergleich: Allein die vier bislang erschienenen "Avengers"-Filme nahmen zusammen fast acht Milliarden US-Dollar an den weltweiten Kinokassen ein. Das Marvel Cinematic Universe ist aus dem jährlichen Kino-Kalender seither nicht mehr wegzudenken, ähnlich verhielt es sich lange mit den Geschichten aus der "weit, weit entfernten Galaxis". Zumal beide Franchises auch den 2019 gestarteten, hauseigenen Streamingdienst Disney+ mit Filmen und vor allem Serien dominieren.
Alte und neue Kontroversen
Natürlich muss aber auch der Elefant im Raum angesprochen werden - und gemeint ist nicht Dumbo. Wobei: Der Film von 1941 beinhaltet wohl eine der berühmtesten Beispiele an kontroversen Szenen, die sich in den älteren Disney-Werken finden lassen. Gemeint sind die darin gezeigten, stereotyp dargestellten singenden Krähen, die "rassistischen Minnesängershows" von einst ähneln.
Vor Filmen wie "Dumbo", "Aristocats" oder "Peter Pan" schaltet Disney+ folglich Warnhinweise, in denen steht: "Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen oder Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es noch heute."
Auch gegen Walt Disney selbst wurden diese und weitere Vorwürfe immer wieder laut. So auch ausgerechnet von dem vielleicht größten Hollywood-Darling aller Zeiten, Meryl Streep (74). Während einer Rede bei einer Preisverleihung 2014 fasste sie die ambivalente Gemengelage rund um Walt Disney zusammen: "Disney hat - ohne Zweifel - Milliarden von Menschen Freude gebracht, aber er war ein Sexist und Rassist", so Streep.
Moderne Kritik am Unternehmen Disney findet derweil ausgerechnet unter umgedrehten Vorzeichen statt. Seit einigen Jahren hat es sich das Filmstudio zur Aufgabe gemacht, alte Klassiker in moderne Gewänder zu hüllen. Nicht nur Realverfilmungen zu Werken wie "Das Dschungelbuch", "Aladdin" oder "Cinderella" sind seither erschienen.
Besonders empörten sich die Gemüter aber über die Neuauflage von "Arielle, die Meerjungfrau" - weil Disney es wagte, dass in Person von Halle Bailey (23) eine schwarze Darstellerin die fiktive Titelfigur verkörpert. Unter Umständen sollte man bei Disney mal wieder über Lehrfilme nachdenken - manche Menschen scheinen sie auch 2023 noch zu brauchen.