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Zwischen Teenietraum und Heroin: So gut ist "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"

Christiane (Jana McKinnon, links),  Babsi (Lea Drinda, zweite von links) und Stella (Lena Urzendowsky) sind beste Freundinnen.  (Bild: Amazon / Constantin Television / Mike Kraus)
Christiane (Jana McKinnon, links), Babsi (Lea Drinda, zweite von links) und Stella (Lena Urzendowsky) sind beste Freundinnen. (Bild: Amazon / Constantin Television / Mike Kraus)

Die wahre Geschichte um Christiane F. schockte und prägte ganze Generationen: Nun wird "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" als Amazon-Serie neu erzählt. Dank eines überragenden Casts und Gespür für Ambivalenz gelingt das Wagnis.

Wer in der Bundesrepublik sozialisiert wurde, kam an Christiane F. nicht vorbei. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" prägte ganze Generationen von Jugendlichen. Und schockte deren Eltern und Lehrer: Schnell geriet das auf realen Tonbandprotokollen basierende Buch der "Stern"-Autoren Kai Hermann und Horst Rieck von 1978 zum Bestseller und zur schulischen Pflichtlektüre. Uli Edels Verfilmung von 1981 schließlich machte die Hauptfigur auf Jahrzehnte zum Inbegriff für Heroinsucht, Drogenabsturz, Prostitution, Entzug - und damit zum Abbild all jener Ängste, die Mittel- und Oberschicht auf ihre Kinder projizierten. Nun, 40 Jahre später, erscheint abermals eine Adaption der Geschichte: In acht Episoden interpretiert die Amazon-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (ab Freitag, 19. Februar) den Klassiker neu. Dass dieses Wagnis gelingt, liegt in erster Linie an einem grandiosen jungen Cast, der tollen Bildsprache - und am Mut zum Widersprüchlichen.

Denn mit Ambivalenzen muss das von Oliver Berben und Sophie von Uslar produzierte Projekt leben: die abschreckende Junkie-Story par exellence als potenzieller internationaler Streaminghit? Schwierig. Dem visuell schon festgezurrten Bowie-Berlin der später 70er-Jahre eine neue Hipness verleihen? Mindestens anspruchsvoll. Das Wesentliche macht die Serie unter Regie von Philipp Kadelbach richtig: Popkultur und Mode jener wilden Jahre bleiben - abgesehen von Soundtrackexperimenten und technoesken Partyszenen - kaum angetastet, ebenso wenig die Aura um den damals in West-Berlin lebenden David Bowie, der in der Serie mehrfach (im Flugzeug, auf dem Klo) auftaucht - und der einst von der "Welthauptstadt des Heroins" gesprochen haben soll. "Heroin war in Mode, ein popkulturelles Phänomen", drückt die herausragende Hauptdarstellerin Jana McKinnon das Dilemma aus: "Auf verstörende Art war man als Heroinabhängiger hip."

Setzte Edels Verfilmung noch auf düstere Elendsästhetik und Schock-Szenen samt Spritzen und Entzugskotzerei, versucht sich die unter Leitung von Headautorin Annette Hess ("Weißensee") geschriebene Serie kaum am moralischen Zeigefinger. Zwar lautet die Botschaft auch hier: Drogen schaden, machen Körper kaputt und zerstören Freundschaften. Doch bleibt Raum für Nuancen: Ist man mit der Clique im Lieblingsclub (vor allem im "Sound") unterwegs, um dem Alltag zu entgehen, macht das Ganze eben auch wahnsinnig Spaß - das jedenfalls drücken die fast schon in Hochglanzoptik inszenierten Traumtänzereien aus, denen sich Christiane, die eigentlich ein Leben als Pferdemädchen will, und ihre Freunde Stella (Lena Urzendowsky), Axel (Jeremias Meyer), Benno (Michelangelo Fortuzzi), Babsi (Lea Drinda) und Michi (Bruno Alexander) anfangs hingeben.

Mit "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" schafft Amazon ein weiteres deutsches "Original". (Bild: Amazon / Constantin Television / Mike Kraus)
Mit "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" schafft Amazon ein weiteres deutsches "Original". (Bild: Amazon / Constantin Television / Mike Kraus)

Die Erwachsenen halten Einzug

Getragen von einem fantastischen und hochtalentierten Nachwuchs-Cast, dreht sich "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" jedenfalls nicht nur um das große Drogendrama, das langsam mit allen Widrigkeiten von Prostitution bis Entzug in die Cliquenwelt einsickert - sondern vor allem um Freundschaften, Alltagsprobleme, Familienzwist und Coming-of-Age. Dass die Bildsprache dabei weniger den schmutzigen Sozialfall-Blick bedient, sondern auf jugendkulturelles Trip-Erleben (samt psychedelischer Partyeskapaden und traumartiger Sequenzen in den Bergen) setzt, mag man ob seiner Zeitgeistigkeit und Verführungsgeste kritisieren. Komplexer verstehen lässt sich die Teenagerlebenswelt dadurch allerdings auch. Denn es gibt Gründe, warum Jugendliche konsumieren.

Und die liegen meist bei den Erwachsenen, die im Gegensatz zum 81er-Film und basierend auf weiteren Tonbandprotokollen Einzug in die Serie halten. Da sind Christianes streitende Eltern (Angelina Häntsch und Sebastian Urzendowsky), die gerade dabei sind, sich zu trennen. Da ist der ominöse Tierladenbesitzer Günther (Bernd Hölscher), der dafür, dass er den Raum zum Drogenkonsum bereitstellt, Gefälligkeiten erwartet. Da sind auch Stellas alkoholkranke Mutter, Babsis eigenartige Großmutter, Axels Boss und Bennos Freier ("Mein Chef ist ein Nazi. Alle Chefs sind Nazis"). Zugerichtet werden die Jugendlichen schließlich zuerst von jener krankmachenden Welt, von Familie und Gesellschaft - und erst dann von den Drogen.

Weil "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" diesen Zwiespalt erkennt und davon mitreißend in sieben Stunden erzählt, gelingt die gewagte Neuinterpretation. Mag auch das jugendfilmhafte Setting, das die Perspektive der Teenager einnimmt, manchem angesichts der Vorlage unpassend romantisierend erscheinen - facettenreicher wird die Geschichte um Christiane F., von ein paar flachen Charakteren abgesehen, allemal. Der Mut zu Mehrdeutigkeiten wird belohnt - das Konzept funktioniert. Nicht zu vergessen und von den Schöpfern selbstredend mitbedacht: Berlin, Bowie und eine zeitlose Freundschafts-Story lassen auch auf übernationale Anerkennung hoffen.

Jana McKinnon spielt in der Amazon-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" die neue Christiane F. (Bild: Amazon / Constantin Television / Mike Kraus)
Jana McKinnon spielt in der Amazon-Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" die neue Christiane F. (Bild: Amazon / Constantin Television / Mike Kraus)