Die Zeit der Unschuld ist vorbei

Die Autorin hat es selbst durchgemacht: Realistisch, rau und ungezügelt erzählt die Serie "I May Destroy You" bei Sky, wie Missbrauch Teil der Partykultur wird.

Die Nächte sind wild, der Sex ist unverbindlich, Drogen gibt's im Überfluss - das Leben ist eine einzige Zügellosigkeit. Und dann kommt die aufstrebende Londoner Schriftstellerin Arabella wieder zu sich, mit K.-o.-Tropfen betäubt und vergewaltigt. In der fulminanten Serie "I May Destroy You" erzählt Hauptdarstellerin und Autorin Michaela Coel ihre eigene Geschichte als zwölfteiliges Porträt einer sorglosen Generation, die von der Unverbindlichkeit der Regeln im Zusammenleben überfordert ist. Sky zeigt das viel beachtete Serienereignis, eine Ko-Produktion von BBC und HBO, ab 19. Oktober auf Abruf und am 24. Oktober als Binge-Marathon auf Sky Atlantic.

Die kleine Wunde am Kopf? Das zerbrochene Handy? Die völlige Leere? - Arabella hat keine Erinnerung daran, was in der Nacht passiert ist. Eigentlich wollte sie das Manuskript ihres neuen Buches fertigstellen. Doch in der Nacht lauert die Versuchung. Freunde, Party, Spaß: Auf einen Drink will Arabella nur raus, auf dem Smartphone-Timer gibt sie sich eine Stunde Zeit. Als sie am nächsten Morgen benommen zu sich kommt, glaubt sie an einen Kater. Doch dann kommt die Erinnerung zurück, in Fetzen.

Brutalität in einer enthemmten Welt

So unberechenbar wie die Bruchstücke auftauchen, so erratisch ist die Serie erzählt. Michaela Coel springt in Zeit und Raum, wechselt die Perspektive, lässt Arabella Schlimmes ahnen und gleich wieder verdrängen. Sie will nicht wahrhaben, was ihr immer klarer wird. Es ist brutal ehrlich und gleichermaßen verstörend, wenn Arabella auf ein Missverständnis hofft, damit ihr Leben einfach weitergeht, wie bisher.

Doch der Schmerz kommt in kleinen Schritten, und er verändert ihre Beziehungen, ihre Freundschaften, ihr Leben. So freimütig und provokant wie "I May Destroy You" hat sich noch kaum eine Serie mit sexueller Gewalt und dem, was sie mit den Opfern macht, auseinandergesetzt.

Was Coel auszeichnet: Sie beschränkt sich nicht auf ihre eigenen Erfahrungen, weil sie nicht die Einzige ist, die Missbrauchserfahrungen macht. Ohne zu belehren, ohne zu erklären, zeigt sie einfach was los in einer Welt, die freier geworden ist, aber auch unverbindlicher und enthemmter.