Wieder tief durchatmen: In Großbritannien helfen Opernsänger Menschen nach einer Corona-Erkrankung
Müdigkeit, Kopf- und Brustschmerzen und Schwindel sind nur einige der Langzeitfolgen, die eine Covid-19-Erkrankung nach sich ziehen kann. Die weitaus häufigste ist jedoch Atemlosigkeit, die sich nicht nur auf den Körper, sondern auch auf die Psyche auswirken kann. In Großbritannien hat man für Lösung dieses Problems nun um die Ecke gedacht und Opernsänger angeheuert.
Mit überstandener Covid-Erkrankung ist die Corona-Infektion für viele Patienten längst nicht ausgestanden. Long Covid nennt sich das Phänomen, bei dem bis zu zwölf Wochen nach der Genesung noch Langzeitfolgen auftreten können. Und nicht nur der Körper leidet dabei, sondern nicht selten auch die Psyche, denn Kurzatmigkeit geht oft mit Stress und Panikgefühl einher.
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Um diesen Patienten zu helfen, haben sich britische Gesundheitsexperten mit der English National Opera in London zusammengetan, um das Projekt "Breathe" ins Leben zu rufen. Sänger, Gesangsexperten und Blasmusiker sollen den Long-Covid-Betroffenen durch Online-Kurse Atemübungen beibringen und sie so in ihrer vollständigen Genesung unterstützen.
Mit Schlafliedern gegen die Symptome von Long Covid
"Singen wurzelt im Atmen", erklärt Jenny Mollica, Leiterin des Pädagogik- und Projektprogramms an der Oper, der "Süddeutschen Zeitung". Als sich im Sommer abzeichnete, dass Long Covid ein weit verbreitetes Problem werden würde, sei die Idee entstanden. "Uns wurde klar, dass die Fähigkeiten, die unsere Künstler mitbringen, helfen könnten, einige der Probleme anzugehen, die man mit den Langzeitfolgen einer Corona-Erkrankung assoziiert."
Das von der Gesangsexpertin Suzi Zumpe entwickelte Training sei an eine Gesangsausbildung angelehnt - von der richtigen Haltung über die Stimmbildung bis hin zum bewussten Atmen. Allerdings stehe weniger das Singen selbst im Vordergrund als das Bewusstsein für die Arbeit und das Zusammenspiel von Lunge und Zwerchfell.
Gesungen würde bei den Übungen dennoch - vornehmlich Schlaflieder. "Man braucht dafür keinen großen Stimmumfang, sie sind universell und schaffen vor allem eine beruhigende Atmosphäre", erläutert Mollica. "Viele Teilnehmer hatten traumatische Erfahrungen, waren oft an Atemgeräte angeschlossen und lagen auf Intensivstationen." Favoriten bei den "Breathe"-Übungen seien "Abendsegen" aus Engelbert Humperdincks Oper "Hänsel und Gretel" und "Summertime" aus George Gershwins "Porgy and Bess".
Eine Win-Win-Situation
Eine Partnerschaft mit dem Opernhaus bestand bereits, denn als im vergangenen Frühjahr die Krankenhäuser durch die Pandemie hoffnungslos überlaufen waren, stellte die Kostümabteilung Kittel und andere Krankenhauskleidung her und stellte diese zur Verfügung.
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Nun geht die Zusammenarbeit mit "Breathe" weiter, die laut dem WDR bei ersten Tests vielversprechende Ergebnisse bei den Patienten geliefert hat und jetzt an 25 Gesundheitszentren im Land kostenlos angeboten wird. Finanziert wird das Ganze von Spenden.
Und nicht nur das Gesundheitswesen profitiert von dem Projekt: Opernsänger gehören wie viele andere Künstler zu denjenigen Menschen, die während der Corona-Krise kaum arbeiten können. "Breathe" bietet ihnen Beschäftigung - und ein neuartiges Outlet für ihr Talent.
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