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Weinstein und die Folgen (Teil III)

Es gibt Dinge, die kann man nicht erfinden, so absurd sind sie. Seit zwei Stunden zum Beispiel wartet Herr K. mit fünf Kollegen auf den Beginn ihres Gender-Awareness-Workshops. Aber dann kommt nicht die erwartete Coachin mit der praktischen Kurzhaarfrisur und dem Cord-Rock über der Jeans. Stattdessen geht die Tür auf, und es erscheint – ja, wie soll man das nennen? – eine Art Blondinenwitz in echt.
„Kann ich noch was für Sie tun?“, kiekst die Mittzwanzigerin mit Pferdeschwanz und einem Kellnerinnen-Outfit, das eine Nummer größer sicher auch noch eng gewesen wäre. Herr K. ist jetzt endgültig sicher, dass sie in diesem fensterlosen Konferenzraum Teil einer Versuchsanordnung sind und der große Wandspiegel eigentlich ein Fenster ist, hinter dem eine Handvoll Soziologinnen längst Tränen lacht über ihn und die anderen. Das Experiment lautet: „Eine empirische Betrachtung patriarchalischer Kommunikationsstrukturen in der Post-Weinstein-Ära“.
Jetzt bloß keinen Fehler machen, denkt Herr K. Denken auch die anderen fünf. Sie belauern einander, während sich die juvenile Kaffeeküchen-Aushilfe über den Konferenztisch beugt und mit glitzerlackierten Fingernägeln nach der fast leeren Keksmischung grapscht. Wer jetzt überhaupt irgendwas sagt, hat verloren und wird sofort von einer ad hoc einmarschierenden Gender-Polizei abgeführt oder noch vor Ort eingeschläfert.
Herr K. kann im Mienenspiel seiner fünf Kollegen ablesen, was die gerade denken. Die Bandbreite reicht von „Oh Mann, wie gern würd‘ ich am Arbeitsplatz auch mal sexuell belästigt werden“ (Controller Schmidt-Scheckenbach) bis zu: „Da kämpft man jahrelang für die Rechte der Frau und dann das“ (Lasse, ihr Abteilungs-Repräsentant der Generation Y).

Die Gedanken von Berger aus dem Marketing, Koslowski und Elternzeit-Rückkehrer Spreekamp sind nicht mehr in Worte zu fassen, als die Service-Kraft endlich halb liegend die Keksschachtel zu fassen kriegt und fröhlich stöhnt: „Na hier scheint‘s ja ein paar ganz Süße zu geben. Soll ich Ihnen noch was besorgen?“ Dann stöckelt sie wieder hinaus, nicht ohne am Ausgang noch kurz zu versichern: „Ich komm‘ gleich noch mal.“
Als hinter ihr die Tür ins Schloss fällt, knallt Koslowski seinen Kopf auf die Konferenztischplatte und murmelt: „Sie kommt gleich noch mal.“ „Und wegen genau solcher Witze tut das Mädchen mir echt leid“, grätscht Spreekamp dazwischen. Koslowski wieder: „Dann soll sie halt nicht so blöd daherreden und sich auch mal Klamotten kaufen, die ihr passen.“ Darauf Berger aus dem Marketing: „Ach ja? Nur weil dabei Ihre schmutzige Fantasie anspringt, soll das arme Ding jetzt Blaumann tragen, oder was?“ Dann Lasse: „Wieso eigentlich ‚Ding‘? Ist das Ihr modernes Rollenverständnis?“ Der Workshop fängt an, Herrn K. Spaß zu machen (Fortsetzung folgt).

Welche Erfahrungen machen Sie selbst mit dem Genderthema? Mail an: herr.k@handelsblatt.com

Als Herr K. Abitur machte, waren Computer noch etwas für die komischen Typen aus der Informatik AG. Damals kriegten die kein Mädchen ab, heute kontrollieren sie Hidden Champions im Bereich Business Solutions mit Standorten auf drei Kontinenten. Es gab noch keine Smartphones, kein Internet, keine Generation Y, nur Kassettenrecorder, Wählscheibentelefone und sogar die DDR. Patchwork war allenfalls Omas Auslegeware. Herr K. ist – beruflich wie privat – bisweilen irritiert von dieser sich rasant verändernden Welt, will sich aber nichts anmerken lassen. Er ist jetzt in einem Alter, in dem es um letzte Fragen geht: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und wie viel Bonusmeilen gibt's auf dem Weg dorthin? Diese Kolumne will die Antworten liefern. Anregungen für Herrn K. bitte an: herr.k@handelsblatt.com oder folgen Sie Herrn K. auf Twitter: @herrnK