Wehrbeauftragte fordert deutlich mehr Tempo bei Investitionen in Bundeswehr

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), hat bei der Vorstellung ihres Jahresberichts 2022 deutlich mehr Tempo bei den Investitionen angemahnt. "Die Bundeswehr hat von allem zu wenig", sagte Högl am Dienstag in Berlin. Von den 100 Milliarden Euro Sondervermögen sei im vergangenen Jahr "leider noch kein Cent" bei den Soldatinnen und Soldaten angekommen. Große Anstrengungen brauche es auch für die angestrebte Erhöhung der Soldatenzahl.

Im vergangenen Jahr war die Bundeswehr "gefordert wie nie", betonte Högl. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe alles verändert. "Die Truppe musste von einem Tag auf den anderen vom Friedensmodus in den Bereitschaftsmodus schalten." So leistete die Bundeswehr einen großen Beitrag zur Verstärkung der Ostflanke der Nato.

Das an die Ukraine abgegebene Material müsse zügig ersetzt werden, forderte die Wehrbeauftragte. "Es dauert alles viel zu lang." Dabei liege es nicht allein am Geld. Nach Einrichtung des Sondervermögens seien zwar erste Projekte auf dem Weg, aber "konkrete Entscheidungen und Umsetzungen standen zum Ende des Jahres noch aus".

Högl verwies in dem Bericht zudem darauf, dass nach Einschätzung von Experten "eine Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro" notwendig sei, um die volle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte herzustellen.

Das von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufene "Deutschland-Tempo" bei Infrastrukturprojekten wie LNG-Terminals müsse auch für die Bundeswehr gelten, "es gibt immensen Nachholbedarf bei der Infrastruktur". Högl kritisierte: "Die Kasernen sind landauf, landab in einem erbärmlichen Zustand." Sie fügte hinzu: "Es geht nicht um Luxus, sondern um Selbstverständlichkeiten wie funktionierende Toiletten, saubere Duschen, Aufenthaltsräume, Truppenküchen und WLAN."

Der Investitionsbedarf in infrastrukturelle Maßnahmen betrage rund 50 Milliarden Euro. Vergangenes Jahr sei hierfür aber nur rund eine Milliarde Euro ausgegeben worden, es gebe Staus bei vielen Bauvorhaben. Somit würde es "rund 50 Jahre dauern, bis allein nur die jetzige Infrastruktur der Bundeswehr komplett modernisiert wäre", heißt es in dem Jahresbericht. Grund seien enorme personelle Engpässe in den für die Baumaßnahmen zuständigen Bundesländern.

Mit Blick auf die von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in der aktuellen Haushaltsdebatte geforderten zehn Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr sagte Högl, es gehe darum, den Verteidigungsetat "dauerhaft auskömmlich auszustatten". Nicht alles könne mit dem für Material gedachten Sondervermögen finanziert werden, betonte die Wehrbeauftragte und nannte etwa den Anstieg der laufenden Kosten für Energie.

Die neuen Aufgaben für die Bundeswehr erforderten große Anstrengungen auch bei der Personalgewinnung: "Bis zum Ziel, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 im Jahr 2031 zu erhöhen, ist es noch ein langer Weg." Die Wehrbeauftragte verwies darauf, dass sich die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber im Jahr 2022 mit einem Minus von elf Prozent erheblich verringert habe.

Zum Ende des Jahres betrug die Personalstärke demnach 183.051 Soldatinnen und Soldaten, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Neben einem weiter steigenden Altersdurchschnitt mache auch der Anstieg der Abbrecherquote Sorgen. "Eine Herausforderung bleibt, das Werben um Frauen zu erhöhen", heißt es in Högls Bericht. Auch seien Frauen in höheren Besoldungsgruppen nur schwach vertreten.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), forderte angesichts langer Lieferzeiten weniger "Goldrand"-Lösungen bei der Materialbeschaffung. "Deutschland hat immer spezielle Wünsche gehabt, die nicht marktgängig sind", sagte sie im ARD-"Morgenmagazin".

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, sagte dem Sender Bayern 2, die Verteidigungspolitik habe "mehr oder weniger ein Jahr verloren". Im vergangenen Mai seien Panzerhaubitzen in die Ukraine gegangen. "Wenn wir Glück haben, werden sie jetzt bis kurz vor Ostern unter Vertrag genommen und dann erst bestellt." Solche Vorgänge zeigten, dass Geld alleine nicht ausreiche - die Politik müsse auch entsprechend handeln.

cha/cne