Waren Passwörter offen zugänglich? Diskussion bei "Markus Lanz" um Rolle der Polizei im "NSU 2.0"-Datenskandal

Wie viel rechtsextremistisches Gedankengut gibt es in den Reihen der deutschen Polizei? Bei "Markus Lanz" diskutierten die Gäste über die Rolle der Behörden beim Abruf von Adressdaten, welche vom sogenannten "NSU 2.0" für Drohbriefe verwendet wurden.

Rechtsextremismus bei der Polizei? Zu diesem und weiteren Themen hatte "Markus Lanz" am Dienstag zur Talkrunde geladen. In den zurückliegenden Monaten gingen nach 2019 erneut Drohbriefe des sogenannten "NSU 2.0" bei prominenten Fürsprechern gegen Rechtsextremismus ein, unter anderem bei Moderator und Satiriker Jan Böhmermann. Bereits zum wiederholten Male hatte man festgestellt, dass private Daten und Adressen zuvor auf polizeilichen Computern abgerufen wurden.

"NSU 2.0": Was verbirgt sich dahinter, was hat die Polizei damit zu tun?", richtete Markus Lanz das Wort an den hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier von der CDU, dessen Bundesland mehrfach von Dateneinsichten betroffen war, sowie den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler.

Waren die Datenabrufe durch offen zugängliche Passwörter möglich?

Wer ist für die Datenabrufe verantwortlich, wollte Markus Lanz wissen. "Das kam in Hessen so zustande, dass man relativ lax mit seinen Zugangskennungen umgegangen ist", erklärte Fiedler. "Es kommt aus Kreisen der Polizei?", hakte der Gastgeber nach. Dieser Verdacht liege "sehr, sehr nahe", so Fiedler, doch stellte er klar: "Es müssen nicht zwingend diejenigen, die die Drohbriefe abgesetzt haben, diejenigen sein, die die Abfragen gemacht haben."

Zwar könnte man anhand der Zugangskennungen nachvollziehen, wer die Abfrage gemacht habe, so Fiedler. Doch aufgrund der Weitergabe dieser Kennungen sei die Nachvollziehbarkeit nicht mehr gegeben. "Das reicht auch - vereinfacht gesprochen - aus, wenn ich meine Kennung irgendwo an den Computer klebe und alle, die in der Wache sind, vorbeigehen und die nutzen", zeigt Fiedler ein mögliches Szenario auf. Markus Lanz wirkte ob dieser Erklärung entsetzt: "Das macht einen sprachlos."

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Polizist Fiedler ging mit den Kollegen hart ins Gericht. Schließlich habe man erst jetzt den "großen Reset-Knopf" gedrückt. "Ein Jahr nach den ersten Aktivitäten wohlgemerkt", spielte er darauf an, dass der sogenannte "NSU 2.0" bereits im Jahr 2019 Drohbriefe an private Adressen versendete, die von behördlichen Computern stammten. Dementsprechend beschrieb er "einige der Führungskräfte in der hessischen Polizei" bezüglich der Thematik als "einigermaßen konsterniert".

Hessens Innenminister Volker Bouffier sprach erstaunlich offen über den Stand der Ermittlungen. "Wir wissen von zwei Stationen, dass da irgendwas abgezapft wurde", so der 68-Jährige. Wohin die Spuren führen? "Mittlerweile sind wir in Moskau gelandet", verriet Bouffier, ohne genauer ins Detail zu gehen. "Das meiste geht über das Darknet", umriss er, wie die mögliche Übergabe der polizeilichen Daten an den "NSU 2.0" funktioniert haben könnte.

Sicherheitsbehörden sind keine abgeschotteten Strukturen

Doch woher kommt das rechte Gedankengut, das kürzlich beispielsweise in einer Essener Polizei-Chat-Gruppe offenbar wurde? "Wir dürfen nicht so tun, als ob die Sicherheitsbehörden abgeschottete Strukturen wären", stellte Fiedler klar. Stattdessen würden überall in der Gesellschaft Erzählstränge von "wir hier drinnen, ihr da draußen" sowie "wir hier unten, ihr da oben" verbreitet - auch im Bundestag. "Schauen Sie sich mal die Bundestagsdebatten an", wies Fiedler insbesondere auf eine, nicht namentlich genannte Partei hin, der er diese Erzählstränge zuschrieb - ein klarer Verweis auf die AfD. In diesem Zusammenhang fällt auch immer wieder der Begriff "Destabilisierung", bezogen auf die Institutionen der BRD - und somit auch die Polizei.

Volker Bouffier betonte, keine Problematik sehen zu können, die die gesamte deutsche Polizei beträfe. "Unser größtes Problem sind diese geschlossenen Chats", ist er sich sicher. Lanz widersprach allerdings vehement und bezeichnete diese lediglich als "Symptom". Doch selbst innerhalb besagter Chats, in denen allerlei unappetitliches rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet wurde, sieht Polizist Fiedler nicht nur hoffnungslose Fälle: "Ich gehe jede Wette ein, dass sich vier, fünf da nicht gut gefühlt haben, aber die Hürden als zu hoch empfunden haben, sich nach außen zu wenden." Dies gelte es zu ändern.

Heruntergespielt wurde aber keineswegs: In Sachen Rechtsextremismus bei der Polizei würde es sich schon lange verbieten, noch von Einzelfällen zu reden. "Es wäre absurd, diese Vokabel noch in den Mund zu nehmen", machte Sebastian Fiedler deutlich.

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