Werbung

"Verrückte Börsenphase"

Befinden wir uns gerade in einer verrückten Börsenphase oder sind die Märkte – wie es der bekannte Starinvestor Benjamin Graham vor über 100 Jahren umschrieb – eigentlich immer ein "emotional gestörter Geschäftspartner", der seine Waren an einem Tag total überteuert und wenig später dann doch wieder unter fairem Wert anbietet? "Vermutlich kommen uns die Börsenschwankungen heute auch nur deshalb so ungewöhnlich hoch vor, weil wir über ein Jahr lang von historisch tiefer Volatilität eingelullt wurden. Der Dow Jones Index für Industriewerte schwankte im Jahr 2007 über eine Woche hinweg im Durchschnitt etwas mehr als 300 Punkte. Seit Februar sind 550 Punkte Schwankung normal – an nur einem Tag", sagt CMC Chef-Marktanalyst Jochen Stanzl.

Die Börsen schlagen zurzeit Haken wie ein Kaninchen auf der Flucht. Die große Frage ist dabei, ob die Flucht vor dem Handelskrieg gelingt. "Noch weiß keiner so genau, was für ein Gesamtkonstrukt aus den aktuell zu diesem Thema produzierten Schlagzeilen entstehen wird. Aber wenn wir mal ehrlich sind, kann in einer globalisierten und miteinander aufs engste verwobenen Weltwirtschaft China den USA wirtschaftlich genauso schaden wie umgekehrt. Der eine tut es über Strafzölle, der andere darüber, dass er androht, das Schulden machen des anderen künftig nicht mehr mittragen zu wollen. Ich hoffe, da ich ein optimistischer Mensch bin, dass die USA den Weg des gegenseitigen Dialogs wählen werden. Vielleicht ist es genau diese Art des US-Präsidenten, Geschäfte zu machen: Er haut erst einmal verbal auf den Putz, zwingt jeden, sich zu positionieren, um auf diesen Weg die Größe des eigenen Verhandlungsspielraums zu finden. Am Ende wird aber immer noch miteinander gesprochen. Das Endresultat wird dann bei weitem nicht so extrem wie es am Anfang dargestellt wurde", sagt Stanzl.

Und wie wir aus anderen Konflikten wissen, haben politische Börsen fast immer kurze Beine. "Sowohl der DAX als auch der Dow Jones haben es bislang beide vermieden, die Tiefs der Korrektur im Februar erneut zu unterschreiten. Die Investoren preisen keinen Handelskrieg ein, sondern eine gütliche, auf einen Dialog fußende Lösung des Konflikts. Gewöhnen werden sich die Börsen am Ende aber nur dann auch an diesen Konflikt, wenn der mit gegenseitigen Drohungen geladene Revolver nur an den Verhandlungstisch mitgebracht, dort aber nicht abgefeuert wird. Trotz des politischen Schlamassels, in dem wir jetzt stecken, lässt sich eine positive Grundstimmung an den Börsen ablesen. In jedem Quartal dieses Jahres wird im S&P 500 Index nicht nur damit gerechnet, dass die Gewinne wachsen, sondern dass sie sogar noch mit einer zunehmenden Geschwindigkeit zulegen werden. Das ist die fundamentale Kulisse, vor der sich die Anleger sukzessive nach vorne wagen. Solange DAX und Dow Jones die Februartiefs nicht unterschreiten, haben die Käufer, bei denen auch oft die Angst mitschwingt, die nächste Rally zu verpassen, zusätzlich die Charttechnik auf ihrer Seite", sagt Jochen Stanzl von CMC Markets.