So verarbeitet der deutsche Film die Flüchtlingskrise!

Szene aus “Willkommen bei den Hartmanns” (Bild: Warner Bros.)

Die Flüchtlingskrise ist längst auch im deutschen Kino und Fernsehen angekommen. Sie wird in Dramen, Komödien und Dokus reflektiert. Entstanden sind oberflächliche Filme aber auch solche mit Tiefgang. Ein Skandalwerk wie die französische Komödie “Hereinspaziert!” ist nicht darunter. Zum Glück.

Damit hat der französische Regisseur Philippe de Chauveron den Bogen überspannt. Seine neue Komödie “Hereinspaziert!” kommt derzeit nicht sonderlich gut an. Schon bald nach dem Start in Frankreich Anfang April hagelte es Kritik. Der Vorwurf: Rassismus und herabwürdigende Darstellung einer ethnischen Minderheit. Vor wenigen Tagen startete der Film auch in Deutschland. Und auch hier wächst die Empörung.

Wenn Komödien sich im Ton vergreifen
Woran reiben sich die Kritiker? Handelt es sich nicht um eine harmlose Komödie um einen bewährten Konflikt: den Culture Clash? “Hereinspaziert!” erzählt die Geschichte eines Bestsellerautors, der die Ansicht vertritt, dass wohlhabende Franzosen Migranten und Obdachlose, hilfsbedürftige Menschen also, in ihren Häusern aufnehmen sollten. In einem TV-Duell lässt sich der gutsituierte Intellektuelle zu einer folgenschweren Äußerung hinreißen: Er wäre jederzeit bereit, eine Roma-Familie bei sich aufzunehmen. Bald steht tatsächlich eine Familie vor seiner Haustür, die eine Unterkunft braucht. Es sind Roma wie sie nach Ansicht des Films leiben und leben.

Ernstzunehmende rassistische Komödie oder eine Komödie, die man nicht ernst nehmen sollte? “Hereinspaziert!” von Philippe de Chauveron (Foto: Universum Film)
Ernstzunehmende rassistische Komödie oder eine Komödie, die man nicht ernst nehmen sollte? “Hereinspaziert!” von Philippe de Chauveron (Foto: Universum Film)

Von dem Konflikt, den die Komödie nun entfaltet, dem Zusammenprall also zwischen reichen und gebildeten Franzosen auf der einen Seite und verwahrlosten und unkultivierten Roma mit ihren fremden Sitten und Gebräuchen auf der anderen, waren in Frankreich Roma-Interessensverbände wenig begeistert. Man unterstellte dem Regisseur eine falsche und herabwürdigende Darstellung der Bevölkerungsgruppe. Die Komödie würde den oft gewalttätigen Rassismus gegen Roma und andere Minderheiten in Frankreich und vielen Ländern Europas verharmlosen.

Auch in Deutschland verurteilte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma jüngst den Film aufs Schärfste. “Hereinspaziert!” offenbare in der Darstellung der Roma eine “zutiefst rassistische” Haltung, hieß es. Die Komödie produziere und reproduziere “rassistische und antiziganistische Stereotype über die Minderheit”. Die Organisation wandte sich an das Verleihstudio mit der Bitte, den Film aus dem Programm zu nehmen. Die Antwort von Universum Film: Man müsse dem Publikum zutrauen, “eine Komödie zu erkennen und die dargestellten Situationen nicht allzu ernst zu nehmen”.

Wirklichkeit gestalten und verbiegen
Ob de Chauveron tatsächlich einen ernstzunehmenden rassistischen Film inszeniert hat oder eine Komödie, deren “Darstellung der Situation” man nicht ernst nehmen sollte, sei dahingestellt. Fakt ist, dass das Skandalwerk ein bekanntes Dilemma aufzeigt. Die Schwierigkeit nämlich, einem brisanten gesellschaftlichen Problem mit erzählerischen Mitteln beizukommen. Bei dem Wagnis, einen komplexen, mit moralischen Falltüren übersäten Stoff dramaturgisch zu formen, ihn gar ins Korsett eines Genres zu zwängen, riskieren Erzähler den schnell paraten Vorwurf der Verfälschung, Verbiegung und Verharmlosung von Situationen und Themen. Das gilt vor allem für Macher von Komödien, bei der die Zuspitzung, die Reduktion aufs Wesentliche oder die Darstellung von Gegensätzen zum Programm gehört.

Flüchtlingsdrama “Die Farbe des Ozeans” (Bild: Movienet Film)
Flüchtlingsdrama “Die Farbe des Ozeans” (Bild: Movienet Film)

Und doch werden gesellschaftliche Probleme nicht nur in TV-Talkshows, in Print- und Online-Medien debattiert. Auch die erzählenden und bildenden Künste nehmen sich und müssen sich ihrer annehmen. Dazu zählen auch besonders jene Krisen, in deren Mitte wir derzeit leben: die Migrations- und Flüchtlingskrisen. Auch sie haben längst in Kino und Fernsehen Einzug gehalten, wo sie mal in fiktiver Form, mal in dokumentarischer, mal auf ernste, dann wieder auf komische Weise reflektiert werden.

Flüchtlingskrise im deutschen Spielfilm
Auch Deutschland wartet mittlerweile mit so manchen Filmdramen, Komödien und Dokumentationen auf, die sich mit dem Schicksal von Geflüchteten und Asylsuchenden auseinandersetzen. Der bekannteste Film unter ihnen, “Willkommen bei den Hartmanns”, mag zwar nicht so viel Zündstoff enthalten wie “Hereinspaziert!”. Von einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsproblematik ist aber auch diese Komödie weit entfernt. “Ein gut gemeintes Desaster”, schrieb unser Autor Carlos Corbelle angesichts des “seichten”, vor “gefälligen Abziehbildern zweier Extreme” strotzenden Films.

Ebenso wohlfühlig aber deutlich vielschichtiger ist die TV-Produktion “Der Andere – Eine Familiengeschichte” angelegt, eine Tragikomödie um eine Freundschaft zwischen einem deutschen Rentner und einem aus Mali geflohenem Jugendlichen. In “Die Farbe des Ozeans” erzählt die Filmemacherin Maggie Peren von einer deutschen Touristin, die auf Gran Canaria mit dem Elend von geflohenen Afrikanern konfrontiert wird. Dass auch Kinder und Jugendliche behutsam an die Migrations-Debatte herangeführt werden können, zeigt “Lola auf der Erbse”, ein Kinderfilm um ein elfjähriges Mädchen, das ihrem illegal in Deutschland lebenden Mitschüler helfen will.

“Human Flow” von und mit Ai Weiwei (Bild: NFP marketing & distribution)
“Human Flow” von und mit Ai Weiwei (Bild: NFP marketing & distribution)

Auch der Dokumentarfilm schweigt nicht
Natürlich verweigert sich auch der Dokumentarfilm dem Thema nicht. Etliche davon sind in den vergangenen Jahren mit der zunehmenden Flüchtlingskrise entstanden. Zu nennen wären etwa: die arte-Doku “Land in Sicht”, die den Alltag dreier Flüchtlinge in Deutschland zeigt, während im Hintergrund ihr Asylverfahren läuft; der Dokumentarfilm “Deportation Class” von Carsten Rau und Hauke Wendler über die Abschiebepraxis in Deutschland; oder die im November in den deutschen Kinos startende Doku “Human Flow”, in der der chinesische, in Berlin lebende Künstler, Aktivist und Filmemacher Ai Weiwei die Situation von Flüchtlingen in 23 Ländern schildert.

Diese und weitere Filme stehen für die Vielfalt der filmischen Auseinandersetzung mit einem der drängendsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit. Ihnen allen ist – bei all ihrer formalen und qualitativen Unterschiedlichkeit – eines gemeinsam: Sie machen auf das Problem aufmerksam, sensibilisieren den Zuschauer für das Thema und regen ihn zu einem Diskurs an, der vielleicht tatsächlich eine Veränderung der Verhältnisse bewirkt.