Ein unerwarteter Erfolg für die Erzrivalen

Der erste Tag der 52. Luftfahrmesse im Pariser Vorort Le Bourget am Montag vergangener Woche war die überraschendste Eröffnung seit Langem. Immerhin kam Frankreichs neuer Staatspräsident Emmanuel Macron nicht wie seine Vorgänger per Auto, sondern flog spektakulär mit dem Airbus-Militärtransporter A400M ein. Damit sorgte er nicht nur für besonders dynamische Bilder. Er gab auch gleich einen kräftigen Vertrauensbeweis für das krisengeschüttelte Vorzeigeprojekt der von ihm geforderten pan-europäischen Rüstungskooperation.

Leider hielt die gute Stimmung nicht lange. Konnten vor allem die Branchenführer Airbus und Boeing beim letzten Aerosalon 2015 gleich am ersten Vormittag ihre ersten Milliardendeals verkünden, herrschte nun Order-Ebbe. Selbst die angekündigte Überarbeitung des Airbus-Superjumbo A380 verpuffte. Boeing ignorierte in seiner Marktvorschau über zehn Jahre die Maschine mehr oder weniger. Und selbst Emirates-Chef Tim Clark, der bald die Hälfte der noch offenen A380-Aufträge vergeben hat, zeigte sich eher skeptisch; trotz nachhaltig verbreiteter Gerüchte von einer neuen Bestellung.

Trotzdem war die Stimmung im Bourget-Dreieck zwischen Startbahnen, dem Luftfahrtmuseum und den Messehallen alles andere als gedrückt. „Das war ein voller Erfolg“, lobte Eric Trappier, Chef des veranstaltenden französischen Luftfahrtverbandes Gifas und im Hauptberuf Chairman & des Flugzeugherstellers Dassault Aviation.

Sicher kauften Fluglinien und Leasingfirmen in diesem Jahr weniger Jets als sonst – für Trappier nur eine Atempause. Dafür starteten jede Menge neue Flugzeugmodelle, es gab wichtige Weichenstellungen – etwa durch ein neues Passagierflugzeug von Boeing – und zu guter Letzt eine überfällige Abkehr der früheren Technikverliebtheit hin zu einem Fokus auf nüchterne Lösung der anstehenden Probleme.

Bestellbonanza in der zweiten Reihe

Für die Heiterkeit an den Bahnen und Chalets genannten Nobelverkaufsständen der Hersteller hätten eigentlich bereits die Bestellzahlen gereicht. Zwar hatten Airbus und Boeing weniger Zugänge in ihren Büchern als früher und meldeten viele Orders über weniger als eine Handvoll Jets, die ihnen früher keine Pressemitteilung wert waren.

Doch das Tief der Marktführer machte der Rest der Konkurrenz wie die brasilianische Embraer mehr als wett. Mit 1455 Verkäufen lag die Show nur 70 unter der besonders erfolgreichen Messe im Sommer 2013. Dazu kamen ein paar neue Kunden, nicht zuletzt Linien aus dem Iran wie Iran Airtour mit 45 Kaufabsichten.

Aber auch die Branchenfürsten bleiben gelassen. „Wenn wir die Bestellbücher so voll haben wie jetzt, müssen wir nicht mehr jedem Auftrag mit besonders tollen Konditionen hinterher rennen“, so ein Manager von Airbus. „Nun können wir uns auf das profitable Abarbeiten konzentrieren und unseren Kunden wieder kürzeren Lieferzeiten bieten.“

Der größte Vorteil der bescheidenen Bestellungen ist jedoch ein anderer. Gerade weil die übliche Orderbonanza ausblieb, musste kein Manager (und kein Journalist) seine Zeit mit Informationen über Rekorde vertrödeln. Jeder konnte außerhalb der Chalets ausgiebig hinter den Kulissen jede Menge Neuerungen entdecken, die die Branche – und die Bestelllisten – in den kommenden Jahren prägen werden.


Flut neuer Flieger

Der offensichtlichste Neuling waren die gleich zwei renovierten Varianten der Boeing 737 Max, Airbus verlängerter Langstreckenflieger A350-1000 – und vor allem die kleineren Maschinen, wie der MRJ des japanischen Mitsubishi-Konzerns, die C-Serie von Bombardier aus Kanada oder die Embraer E-2 mit ihrer bemerkenswerten Adler-Bemalung.

Sie sorgen dank neuer Technik und niedrigen Produktionskosten dafür, dass der lange tot gesagte Bereich der Verkehrsflugzeuge mit weniger als 110 Sitzen eben doch nicht verschwindet. Damit können die Fluglinien vor allem kleinere Flughäfen auch künftig an die großen Drehkreuze oder andere Miniairports anbinden.

Aber auch außerhalb des klassischen Zivilbereichs gab es reichlich neues. Das F-35 genannte bislang teuerste Rüstungsprojekt aller Zeiten zeigte mit ein paar atemberaubenden Einlagen, warum dieser offiziell Joint Strike Fighter genannte Flieger eine Generation weiter ist als die drei europäischen Kampfjets Eurofighter, Rafale oder Gripen. Dazu meldete sich der JSF-Hersteller Lockheed Martin auch anderswo zurück. Der weltgrößte Waffenbauer war sich lange für das Zivilgeschäft zu fein. Doch nun will er mit der L 100J zurück, einer extrem robusten und sparsamen Version des mehrfach aufgefrischten Militärtransporter C-130 Super Hercules.

Künftige Aufsteiger

Mit vielen Fanfaren wenn auch noch wenig Substanz will zudem Boeing den Zivilmarkt aufmischen. Mit dem wahlweise 797 oder NMA (für Nächstes Mittelgroßes Flugzeug) genannten Projekt wollen die Amerikaner ab 2025 endlich wieder ein komplett neues Flugzeug bauen – und endlich die gut anderthalb Jahrzehnte voller vor allem durch neue Treibwerke aufgefrischter Jets beenden. Doch was genau die Amerikaner vorhaben, weiß keiner, „wohl nicht mal sie selbst“ so ein Manager eines Zulieferers. Aber immerhin lobte Emirates-Chef Clark: „Es ist beeindruckend, wie Boeing dabei scheinbar unumstößliche Grundsätze in Frage stellt. Jetzt hoffen wir mal, dass sie damit unsere vielen allzu Risiko-scheuen Wettbewerber nicht überfordern.“

Den nächsten Innovations-Schritt machen auch erstmal die Konzerne. So präsentierte Airbus gleich eine ganze Palette von kleinen Elektroflugzeugen vom Einsitzer bis zum im schwäbischen Donauwörth produzierten autonom fliegenden neuen Cityairbus. Von dem ist der Prototyp zwar fertig. „Doch bis zur Serienreifen kann es noch ein Jahrzehnt dauern“, so Konzernchef Tom Enders. „Dafür sorgen allein die anspruchsvollen technischen Auflagen.“

Deutlich skeptischer sind Leute wie Clark und seine Kollegen darum gegenüber den mit viel Tamtam begleiteten neuen Versuche – wie der Überschalljet Boom oder gar elektrische Jets, die bereits in fünf Jahren abheben sollen. Vom bis zu 70-sitzigen Boom haben bereits renommierte Vorreiter wie die britische Virgin Atlantis reichliche Maschinen reserviert. Doch ob und wann die fliegen, bleibt abzuwarten.

„Ich gönne den Kollegen den Erfolg. Aber sie wären die ersten, die für einen solchen Moonshot im Vergleich zum Business-Plan nicht ein Mehrfaches an Zeit und Geld des prognostizierten Aufwandes brauchen“, so ein Manager eines bekannten Herstellers. „Und selbst wenn die Jets fliegen, verkaufen kann man sie nur mit einem weltweiten Netz an zugelassenen Werkstätten und Ersatzteil-Lieferanten.“


Disruption im Digitalen

In den Ausstellerhallen ist eine nüchternere Fassung der Revolution im Flugzeugbau dagegen bereits Gegenwart. An allen fast allen Ständen gab es reichlich „Additive Fertigung“, wie die Branche den 3-D-Druck nennt, sowie immer neue Metall-Legierungen und neue Anbieter. Neben Zulieferern aus China rückten vor allem Firmen aus Israel mit militärischem Hintergrund wie Elbit in den Fokus. Sie wollen gerade über das Zusammenwachen von ziviler Technik mit Rüstung in Bereichen wie Zivilschutz oder Cyberabwehr in den Massenmarkt vordringen.

Sie alle und noch viele mehr in den modernen Hallen im Pariser Norden stehen für die beginnende Digitalisierung der Branche. Denn auch wenn Boeings 797/NMA mit ihrem Design aus Röhrenrumpf und Flügel von außen noch wie ein heutiges Flugzeug aussieht: unter der Oberfläche werden sie immer weniger mit ihren Vorgängern gemeinsam haben.

Ob bei einer Panne die fehlenden Ersatzteile gleich vor Ort drucken oder die Kabinen je nach Bedarf in wenigen Stunden komplett umzubauen: In allen weniger sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten Konzerne und neue Dienstleister an grundlegenden Neuerungen – und das in der Geschwindigkeit von Start-ups.

Nüchterne Rechner statt euphorischer Visionäre

Die dazu nötige neue betriebswirtschaftliche Realität der Branche war – anders als in früheren Luftfahrtmessen – auch in Paris zu sehen. So haben immer mehr große Namen nun keine eigenen Stände mehr, sondern sind bei anderen untergekommen. Dafür sorgt die gewaltige Übernahmewelle der vergangenen Jahre. Allein bis Mai gab es bereits Übernahmen im Wert von fast 20 Milliarden Dollar in der Branche.

Dafür sorgen vor allem zwei Dinge. Der kleinere Teil sind Firmen, die allzu technikverliebt an Neuerungen herangingen und sich verhoben haben. Hierzu zählt etwa Zodiac aus Frankreich, die vor allem mit ihren Sitzen für den Langstrecken-Airbus A350, verhoben haben. Jetzt werden sie die deutlich kühleren Rechnern ihrer teilstaatlichen Landsleute Safran gerettet.

Wichtiger für die Neuordnung sind für die Flugzeughersteller neue Felder wie Datenverarbeitung, Cybersicherheit oder die C4ISR abgekürzte militärische IT-gestützte Überwachungstechnik. Statt diese Fähigkeiten für halb-zivile oder militärische Nutzung selbst aufzubauen, kaufen sich die Unternehmen hier ein – und frischen so neben ihren Produkten oft auch gleich ihre die Fertigung auf. „Damit sichern sie sich Wissen und steigern die Qualität selbst wenn sie ihre Produktionszahlen steigern“, so Michael Richter, Leiter des Fluggeschäfts bei der Investmentbank Lazard.

Das damit zusätzlich verdiente Geld braucht die Branche dringend. Denn was die Branche in den vergangenen Tagen in Paris an neuen Modellen und Techniken gezeigt hat, ist erst der Anfang. „Wahrscheinlich kommen in zwei Jahren auch neue Anbieter aus China oder gar ein erster Eindruck eines chinesisch-russischen Langstreckenjets“, so ein Manager. „Und dann werden die Messe und der Wettbewerb wieder deutlich lebhafter.“

KONTEXT

Skytrax-Ranking: Die besten Airlines der Welt

Platz 10

Garuda Indonesia

Vorjahr: Rang 11

Quelle: Skytrax

Platz 9

Hainan Airlines

Vorjahr: Rang 12

Platz 8

Etihad Airways

Vorjahr: Rang 6

Platz 7

Lufthansa

Vorjahr: Rang 10

Platz 6

EVA Air

Vorjahr: Rang 8

Platz 5

Cathay Pacific

Vorjahr: Rang 4

Platz 4

Emirates

Vorjahr: Rang 1

Platz 3

ANA All Nippon Airways

Vorjahr: Rang 5

Platz 2

Singapore Airlines

Vorjahr: Rang 3

Platz 1

Qatar Airways

Vorjahr: Rang 2