Das Tier am Manne

In "Rubber" ließ der französische Regisseur Quentin Dupieux einst einen Autoreifen Amok laufen. In "Deerskin" wird Oscarpreisträger Jean Dujardin nun zum Tier, einer Lederjacke sei Dank.

Hat jemand schon mal eine so schöne Jacke gesehen? Hundert Prozent Wildleder, kaum getragen, und die Fransen sind auch noch alle dran! Durch halb Frankreich ist Georges (Jean Dujardin) gefahren, um das gute Stück zu kaufen. Im Auto hat er übernachtet, und auf einer Tankstelle hat er seine alte Jacke, ein hässliches Ding aus Cord, im Klo entsorgt. Gut, eigentlich hat er das halbe Bad unter Wasser gesetzt, aber lassen wir das. Georges kommt also an beim Besitzer der Lederjacke, gesteht, wie aufgeregt er ist, blättert ein paar Tausend Euro auf den Tisch - und ist glücklich. Sein Stil, sagt er, sei echt krank jetzt, und er meint das voller Stolz. Sprecht ihr über meine Jacke, fragt er wenig später zwei Frauen in einer Bar. Äh, nein, tun sie nicht. Egal. Georges ist endlich der, der er sein will. Dass ihn seine Frau kurz zuvor verlassen hat, juckt ihn auch nicht mehr. Unglaublich, was so eine neue Jacke alles bewirken kann!

"Monsieur Killerstyle", der neue Film des Franzosen Quentin Dupieux, ist, man merkt es schon, ein ziemlich merkwürdiges Stück Kino. Was allerdings nicht verwundert, denn wer Dupieux kennt, weiß, auf was er sich da einlässt. Als Mr. Oizo macht der 46-Jährige seit Jahren schräge Musik, etwa den durch eine Jeans-Werbung bekannten Hit "Flat Beat". Und Filme dreht er auch immer wieder. Vor ein paar Monaten erst kam "Die Wache" in die Kinos, ein Film, in dem ein trotteliger Cop versuchte, einen freundlichen Zeugen davon zu überzeugen, ein Mörder zu sein. Dupieux' bekanntestes und wohl auch berüchtigstes Werk aber ist noch immer "Rubber", jene Horrorgroteske über einen Autoreifen, der durch die Gegend rollend Menschen und Tiere mordete.

Blutig wird es auch in "Monsieur Killerstyle" (ab 10. September digital erhältlich, ab 24. September auf Blu-ray und DVD) irgendwann. Denn Georges beginnt, mit seiner Wildlederjacke zu sprechen, und sie mit ihm. Und beide haben sie denselben Traum: Es soll auf dieser Welt nur eine Jacke geben - alle andern müssen also weg. Und mit ihnen auch die Jackenträger. Zunächst macht sich Georges noch auf denkbar harmlose Weise daran, seinen Traum von der jackenlosen Welt umzusetzen. Mit einer Digitalkamera bewaffnet, gibt er sich als Filmemacher aus, gaukelt seinen kurzfristig angeheuerten Laiendarsteller vor, er müsse eine Szene mit ihnen drehen, in denen sie nichts weiter zu tun hätten, als ihre Jacke in den Kofferraum seines Autos zu werfen. Dann aber düst er davon und mit ihm die Kleidungsstücke. Weil das aber dann doch wenig effizient ist, greift Georges schließlich zu deutlich drastischeren Maßnahmen.

Vom Mensch zum Tier

Angestachelt wird er bei seinem blutigen Werk von Denise (Adèle Haenel), die davon träumt, beim Film als Cutterin zu arbeiten, sich aber noch in der Dorfkneipe als Kellnerin verdingt. Zunächst lässt sie sich von Georges lediglich das Geld aus der Tasche ziehen, bald schon aber treibt sie ihn an, seine Rachefeldzug gegen die Jackenträger dieser Welt noch drastischer in Szene zu setzen.

Ist "Monsieur Killerstyle" also eine Satire auf die Medienwelt, auf die immer enthemmtere Nachrichtenmaschinerie, der es nicht blutig genug sein kann? Kann sein. Vielleicht aber geht es Regisseur Dupieux in seinem wunderbar wunderlichen Film aber auch um toxische Männlichkeit. Oder aber: Er will den Markenfetischismus unsere Konsumgesellschaft anklagen, die sich an Dingen aufgeilt, nicht an Werten. Alles möglich, aber letztendlich auch egal. Allzu sehr nach dem Sinn fragen sollte man hier nämlich nicht. Dass "Monsieur Killerstyle" dennoch mehr ist als die alberne Kinofantasie eines liebenswerten Querkopfes, liegt freilich auch an den Hauptdarstellern. Mit Jean Dujardin konnte Dupieux einen Oscarpreisträger ("The Artist") verpflichten, mit Adèle Haenel ("Porträt einer jungen Frau in Flammen") den aktuell wohl heißesten Kinostar Frankreichs. Sie spielt die Möchtegern-Filmemacherin Denise mit wunderbar hintergründiger Einfältigkeit, er den Jackenfetischisten Georges mit einer großartig doofen Coolness. Im Laufe des Films verwandelt sich Georges immer mehr zum Tier - erst ist es nur die Jacke, die aus Leder ist, dann der Hut, die Hose, schließlich die Handschuhe. Eine seltsame Metamorphose.

Ist dein Film nicht seltsam, fragt einer der Laiendarsteller, die Georges für sein Projekt angeheuert hat, einmal. Nein, sagt der, überhaupt nicht seltsam, sondern ziemlich genial. Und das sagt er mit einer derartigen Überzeugung, dass man gar nicht anders kann, als ihm zuzustimmen.