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Das Theater als Waffe

Das Theater hat Claus Peymann stets als Waffe begriffen. Der heute 80-Jährige wollte stets der Stachel im Hintern der Mächtigen sein. Mit seinem Abtritt als Direktor des Berliner Ensembles verlässt einer der ganz großen Theatermacher die Bühne. Mit einer fünfstündigen Show verabschiedete sich Peymann in Berlin, einer der aus seinem politischen Anspruch zur Veränderung über Jahrzehnte ein künstlerisches Erfolgsmodell machte. Der frühere Burgtheater-Chef stellte sich stets die zentrale Frage: Ist Theater als Waffe noch stark genug?

An seiner früheren Wirkungsstätte in Wien hat sich diese Waffe in den vergangenen Jahren ein wenig abgenutzt. Dort, wo Peymann mit seinem Hausautor Thomas Bernhard einst die politischen Debatten in Österreich beherrschte, ist es in den vergangenen Jahren apolitischer und harmloser geworden – mit wenigen Ausnahmen, wie beispielsweise Elfriede Jelineks Stück „Die Schutzbefohlenen“. Schließlich war die berühmteste Bühne deutscher Sprache in den vergangenen Jahren vor allem mit der finanziellen Gesundung beschäftigt. Die frühere Peymann-Mitarbeiterin Karin Bergmann übernahm 2014 auf Bitten der österreichischen Regierung den Direktorenposten, um das Haus wieder in die schwarzen Zahlen und aus den miesen Schlagzeilen zu führen. Die Theatermanagerin aus der Ruhrgebietsstadt Recklinghausen wurde von der rot-schwarzen Bundesregierung geholt, um nach einem veritablen Finanzskandal unter der Führung ihres Vorgängers Matthias Hartmann die Kasse wieder in Ordnung zu bringen. Das ist ihr gelungen.

Nun können neue Zeiten anbrechen. Im September 2019 wird Martin Kušej den Posten des Burgtheaterchefs in der österreichischen übernehmen. Dann werden auch die finanziellen Sanierungsarbeiten endgültig abgeschlossen sein. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt zusammen mit dem österreichischen Kulturminister Thomas Drozda, einst selbst kaufmännischer Geschäftsführer des Burgtheaters, stellt sich Kušej indirekt in die Tradition Peymanns, der von 1986 bis 1999 die „Burg“ führte. „Es ist in der Tat Zeit, wieder politisch zu werden“, sagte der 56-jährige Theaterprovokateur Kušej, der es an klaren Haltungen und Positionen nicht vermissen lässt. Er will für Veränderung, Irritation und Aufregung sorgen. Der gebürtige Kärntner und Mitglied der slowenischen Minderheit sagte ganz undiplomatisch an die Adresse der Schönredner: „Wir erleben gerade einen weltweiten Siegeszug von Dummheit und Ignoranz.“


Der neue „Burg“-Chef muss sparen

Gerade vor diesem Hintergrund wird das Theater als Waffe für Aufklärung, Toleranz und Menschlichkeit wieder scharf. Das kulturpolitische Umfeld in Österreich wird sich bis zu seinem Amtsantritt von Kušej sehr verändern. Denn am 15. Oktober stehen vorgezogene Neuwahlen an. Nach den letzten Umfragen werden die konservative ÖVP oder die sozialdemokratische SPÖ mit Unterstützung der rechtspopulistischen FPÖ eine Regierung bilden müssen, wenn beim Urnengang kein Wunder geschieht. Denn eine Neuauflage der Großen Koalition will niemand mehr. Der Ausgang der Wahlen wird zweifellos auch Einfluss auf die Staatsbühne haben, die dem Kulturministerium untersteht.

Kušej hat vor sechs Jahren, als er das Münchner Residenztheater übernahm, die traditionsreiche Bühne der bayerischen Landeshauptstadt wieder zu einer ersten Adresse gemacht. Deshalb ist die Freude in Wien auf den politisch mutigen Theatermacher so groß. In den vergangenen Jahren hat gerade in Österreich eine dramatische Entpolitisierung der Bühnen stattgefunden. Als der deutsche Theaterintendant Christoph Nix für seine Doktorarbeit die wichtigsten Bühnenchefs in Österreich zu ihrer politischen Haltung befragen wollte, verschickte er 15 Fragebögen und bekam nur zwei zurück. Die Angst, es sich mit den Mächtigen in der jeweiligen Stadt und Bundesland zu verderben, war offenbar zu groß. Wie schon einst Peymann besitzt auch Kušej den Mut, sich gegen die weitverbreitete unterhaltsame Gefallsucht auf der Bühne einen Gegenpol zu bilden. Die Zeit ist günstig, denn es gibt eine wachsende Sehnsucht nach politisch relevantem Theater in Zeiten einer unübersichtlichen und postfaktischen Risikogesellschaft.

Einen limitierenden Faktor gibt es allerdings für Kušej: das Geld. Denn auch in Zukunft wird das Haus keine großen Sprünge machen können. Bei meinem Besuch der amtierenden Burgtheaterchefin Bergmann lugt die Sparsamkeit aus allen Ecken. Die Räume hinter der Bühne inklusive der Intendanz könnten gut eine Renovierung gebrauchen. Selbst das mit den Porträts der Schauspieler geschmückte Büro der Intendantin ist abgesehen von einer gut funktionierenden Klimaanlage bescheiden. Kušej wird einen engen wirtschaftlichen Rahmen erben. Er muss das Haus mit vier Theaterbühnen und fast 2000 Sitzplätzen bespielen – bei Subventionen von 48 Millionen Euro und Kartenverkäufen von neun Millionen Euro im Jahr. Die Inflation und höhere Personalkosten nagen kontinuierlich am knapp bemessenen Etat. Als Karin Bergmann in ihrem Eckzimmer das enge finanzielle Korsett erklärt, fällt mein Blick auf einen von ihr aufgehängten Sinnspruch auf roten Grund an der Wand. Dort heißt es: „Don’t complain. Act!“. Genau darauf kommt es an.

Immer montags schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.