Super RTL wird vom Fernsehsender zum Inhalteverteiler

Sind die goldenen Zeiten des Kinderfernsehens vorbei? Zumindest wird das Geschäft komplizierter und sehr viel kleinteiliger. Längst konsumieren Kinder ihre Inhalte nicht nur über lineares Fernsehen, sondern über Videoplattformen, sozialen Netzwerken, auf dem Tablet-PC und dem Handy.

Niemand kennt die Fragmentierung der früher überschaubaren Kinderfernsehwelt besser als Claude Schmit. Der gebürtige Luxemburger steht seit 18 Jahren an der Spitze von Super RTL.

Der Sender der Medienriesen Bertelsmann und Disney ist der Marktführer in Deutschland mit einem Marktanteil von knapp 22 Prozent in der Zielgruppe von drei bis 13 Jahren in der Sendezeit von 6 bis 20.15 Uhr.

Erst mit gehörigem Abstand folgen der Kinderkanal von ARD und ZDF (knapp 18 Prozent), der Disney Channel (zwölf Prozent) und Nick (7,3 Prozent). Doch das Dasein als Quotenkönig zahlt sich nicht mehr so aus wie in früheren Jahren. „Wir merken bereits einen kleinen Rückgang bei der Zahl der Zuschauer, obwohl die Quote leicht steigt“, sagt Senderchef Claude Schmit am Rande der Fachtagung Kinderwelten in Wien.

Daraus zieht der Veteran des deutschen Kinderfernsehens seine Schlüsse. Er macht Super RTL zur strategischen Baustelle. Nicht mehr die Plattformen stehen im Mittelpunkt, sondern die Zielgruppen. „Wir sind Inhalteverteiler“, sagt Schmit. Damit will er Inhalte auf allen Endgeräten so vertreiben, dass die jeweilige Zielgruppe optimal abgedeckt wird.

Super RTL will überall schon da sein, wo die neuen digitalen Zielgruppen hin wollen. Dazu braucht es auch neues Personal. Erstmals in der Sendergeschichte gibt es mit Boris Bolz einen Chief Digital Office. Und Bolz kommt nicht aus der Fernsehbranche, sondern von der österreichischen Marketingikone Red Bull. Bolz war früher Deutschlandchef des Milliardenkonzerns aus Salzburg.

Claude Schmit setzt auch im Zeitalter des digitalen Umbruchs auf sein altes Dogma. Bereits wenige Jahre nach der Erfindung des Internets sagte der heute 57-Jährige: „Wir wollen immer dorthin, wo die Zielgruppe ist. Und wenn Kindern Brieftauben für sich entdecken, machen wir einen Brieftaubenverein auf.“

Für die neue Strategie braucht es Daten. Jeder Nutzer im Internet, auch Kinder, hinterlassen im Internet eine Vielzahl von digitalen Spuren. Dadurch können Kindersender das Konsumverhalten des Nachwuchses sehr genau kennenlernen.

Super RTL zieht daraus seine Konsequenzen. Eine Handvoll Apps sollen die medialen Bedürfnisse der Kinder stillen. Der Sender experimentiert dabei auch mit Bezahlmodellen. Super RTL hat mit „Popshake“ eine Lizenz für ein geschlossenes soziales Netzwerk für Kinder erworben.

Die Kölner wollen damit eine Art positives Instagram für die Kleinen initiieren. Außerdem experimentiert Super RTL mit neuen Medienangeboten für Kinder im Vorschulalter in Österreich. Die traditionelle Website Toggolino.de verliert hingegen an Bedeutung.

In Köln wurde mittlerweile ein neues Studio eingerichtet. Schon wird täglich ein Video von vier bis fünf Minuten produziert. Zum Beispiel wurde kindgerecht vom Formel-1-Rennen auf dem Nürburgring berichtet.

Denn die Zeiten, in denen eine Serie nach der anderen über den Fernsehsender abgespult wurde, gehören der Vergangenheit an. Heute setzt der Sender auch im laufenden Programm auf einer Kombination von eingekauften Serien aus Hollywood, Spiele und selbst produzierten Programmen.

Die neue selbst produzierte Spiele-App für Vorschulkinder, WoodieHoo, ist dazu quasi die Ergänzung. Der Vorteil der App: Als Eigenproduktion ist sie im Besitz von Super RTL und kann bei Erfolg auch in andere Länder verkauft werden.

Die Neuerfindung des Kinderfernsehens hat für Tochter von Bertelsmann und Disney auch ganz praktische Folgen. Denn es genügt nicht mehr, nur die Fernsehquote zu vermarkten. In Zukunft wird die gesamte Reichweite auf allen digitalen Plattformen vermarktet.

Das in Köln ansässige Fernsehunternehmen erzielte mit 130 Mitarbeitern zuletzt einen Bruttoumsatz von rund 318 Millionen Euro. Damit deckte Super RTL die Hälfte des Marktes ab.

Doch eines ist klar: Die Zeiten des starken Umsatzwachstums sind passé. Das ist der Preis für die digitale Disruption auch im Kinderfernsehen.

Jede Woche schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.