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Substanz vor Show

Nur wenige Tage vor der Bundestagswahl nimmt der deutsche Wahlkampf endlich an Fahrt auf - wirklich? Das TV-Duell von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem sozialdemokratischem Herausforderer Martin Schulz jedenfalls war alles andere als aufregend. Die Diskutanten gingen höflich miteinander um und zeigten wenig Differenzen. Ganz im Gegensatz zu den zahlreichen Gelegenheiten, bei denen die kleineren Parteien aufeinander trafen - dort wurde noch richtig heftig miteinander gerungen.

Das Duell der aussichtsreichsten Anwärter auf den Spitzenplatz in der Regierung war hingegen meilenweit von dem entfernt, was man in den USA unter einem TV-Duell versteht. US-Debatten sind wie ein Zuschauersport. Zwar sollen sie auf die wichtigsten Themen eingehen, die die Wähler beschäftigen. Aber es dreht sich doch auch alles darum, den Stil der Präsidentschaftskandidaten zu beobachten: Ihre oder seine Körpersprache, Gestik, Persönlichkeit. Die Debatten sind meistens zwar nicht kriegsentscheidend für einen Wahlkampf, aber sie können das Narrativ einer Kampagne verändern.

2016 waren die Debatten zwischen Donald Trump und Hillary Clinton ziemlich unvergesslich. Sie waren so konfrontativ wie die meisten Präsidentschaftsdebatten - voller scharfer Attacken, erinnerungswürdiger Einzeiler und regelmäßiger Störungen, die in zusammenhangslosen Streitereien mündeten. Aber das, was am ehesten in Erinnerung bleiben wird, ist vielleicht nicht das, was gesagt wurde, sondern das Wahnsinnige, was getan wurde.

Bei der zweiten Debatte lud Trump zum Beispiel Frauen ein, die in der Vergangenheit Ex-Präsident Bill Clinton sexuellen Missbrauch vorgeworfen hatten - während Clinton im Publikum saß und seine Ehefrau bei der Diskussion zuschaute. In den Stunden bevor die Debatte zwischen den Präsidentschaftskandidaten übertragen wurde, hatte Trump eine Diskussion mit den Klägerinnen geführt, die im Fernsehen übertragen wurde.

Die Inszenierung sollte nicht das einzige Medienspektakel bleiben. Bei der letzten Debatte lud Clinton bekennende Kritiker von Trump wie den Milliardär Mark Cuban zu der Veranstaltung ein, Trump seinerseits den Halbbruder von Ex-Präsident Barack Obama, der Trump beim Wahlkampf unterstützte.

Diese zusätzliche Theater-Elemente machten den ohnehin schon ungewöhnlichen Wahlkampf noch ungewöhnlicher. Manch politischer Beobachter und Vertreter deutscher Medien schien verärgert über die fehlende Erregung bei der einzigen TV-Debatte zwischen Merkel und Schulz zu sein. Ich denke, sie sollten sich damit trösten, dass die Debatten in Deutschland immerhin noch inhaltliche Substanz der Show vorziehen.

Lisa Hagen ist Reporterin für die Nachrichtenseite „The Hill“ in Washington D.C., wo sie seit zwei Jahren über das Weiße Haus und den amerikanischen Wahlkampf berichtet. Von August bis September arbeitet sie im Rahmen des Arthur-F.-Burns-Stipendienprogramm in der Handelsblatt-Hauptstadtredaktion. In dieser Zeit wird sie regelmäßig ihre Sicht auf die Bundestagswahl darlegen.

Übersetzung: Dana Heide.