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Stiko-Arzt kontert Kritik: "Mussten Faust in der Tasche machen"

Die Impfung für Fünf- bis Elfjährige kommt - und mit ihr die Empfehlung der Ständigen Impfkommission, wie Mediziner Martin Terhardt am Mittwochabend bei Markus Lanz verriet. Überraschender war jedoch ein Einblick in die Arbeit der Stiko.

Der Berliner Kinderarzt und Stiko-Experte Martin Terhardt versprach eine rasche Empfehlung für den Kinderimpfstoff, der ab 13. Dezember verfügbar sein soll. (Bild: ZDF)
Der Berliner Kinderarzt und Stiko-Experte Martin Terhardt versprach eine rasche Empfehlung für den Kinderimpfstoff, der ab 13. Dezember verfügbar sein soll. (Bild: ZDF)

Lange wurde heiß darüber diskutiert, nun steht die Kinderimpfung in den Startlöchern: Wie Gesundheitsminister Jens Spahn am Mittwoch bestätigte, werden Deutschland und die anderen EU-Länder den Impfstoff für Fünf- bis Elfjährige von Biontech/Pfizer bereits am 13. Dezember erhalten. Zunächst war die Lieferung zum 20. Dezember, also eine Woche später, geplant. Etwa 4,5 Millionen Kinder in dieser Altersgruppe könnten demnach in Kürze geimpft werden.

Am Mittwochabend folgte bei Markus Lanz dann bereits die nächste Überraschung: Wie Stiko-Mitglied und Studiogast Martin Terhardt bekannt gab, werde es pünktlich zur Impfstofflieferung auch eine entsprechende Empfehlung der Ständigen Impfkommission für Kinder zwischen fünf und zwölf geben. Doch auch andere Aussagen des ambulanten Kinder- und Jugendarztes sorgten in der Sendung für Verblüffung.

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"Wir haben im Sommer geschlafen", bemängelte Terhardt zunächst. Man habe über den Sommer hinweg bundesweit keine richtige Strategie entwickelt, wie hinsichtlich einer zu niedrigen Impfquote vorgegangen werden müsse. Den schwarzen Peter hierfür hatte jedoch unter anderem Reiner Haseloff, seines Zeichens Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, am Vortag bei "Markus Lanz" bereits Expertengruppen wie der Stiko zugeschoben: Der CDU-Politiker hatte behauptet, die Politik sei aus Kreisen der Wissenschaft falsch beraten worden. "Wir mussten als Stiko schon mehrfach eine Faust in der Tasche machen", entgegnete Terhardt konfrontiert mit derartigen Vorwürfen.

SPD-Politiker Stephan Weil wandte sich an das zukünftige Gesundheitsministerium:
SPD-Politiker Stephan Weil wandte sich an das zukünftige Gesundheitsministerium:

 

Martin Terhardt: Stiko arbeitet ehrenamtlich

Nichtsdestotrotz räumte der Mediziner ein, dass auch er sich häufig ein schnelleres Handeln gewünscht habe. Tatsächlich liege die Geschwindigkeit, mit der die Ständige Impfkommission Empfehlungen aussprechen könne, aber vorrangig daran, wie das Team zusammengestellt sei. Die insgesamt 18 Mitglieder umfassende Stiko sei lediglich ein ehrenamtliches Gremium, welches neben den Haupttätigkeiten der Expertinnen und Experten in deren Freizeit zusammenkomme, sagte Terhardt. Da lediglich drei Stellen der Stiko-Geschäftsstelle des RKIs überhaupt hauptamtlich besetzt seien, sei der derzeitige Aufbau "für Pandemien nur begrenzt geeignet", erläuterte der Berliner Facharzt.

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Normalerweise dauere es im Schnitt zwei Jahre, bis die Stiko eine Impfempfehlung ausspreche, erklärte Terhardt. "Wir haben das jetzt auf mehrere Wochen eingedampft, weil wir für sehr viel verschiedene Impfstoffe Entscheidungen treffen mussten." Das habe angesichts der Notlage auch funktioniert, doch kurzfristigere Empfehlungen seien allein aufgrund der "Ressourcenknappheit" kaum möglich. Für "schnelle Entscheidungsbedürfnisse" sei die Stiko schlichtweg nicht gemacht.

Dirk Brockmann, Wissenschaftler am RKI, forderte eine Neustrukturierung der Ständigen Impfkommission:
Dirk Brockmann, Wissenschaftler am RKI, forderte eine Neustrukturierung der Ständigen Impfkommission:

 

"Das passt einfach nicht zusammen"

Im ZDF-Studio sorgte die Erkenntnis, dass die Ständige Impfkommission nach wie vor auf ehrenamtlicher Basis arbeitet, für Bestürzung. "In diesem Land, das passt einfach nicht zusammen, dass die Stiko ehrenamtlich mit 18 Leuten mit dieser Art von Ressourcen ausgestattet sind", fasste der Physiker und RKI-Wissenschaftler Dirk Brockmann zusammen. Er forderte eine Neuorganisation: Man benötige interdisziplinäre Teams, die hauptberuflich ihre Expertise anwenden und erweitern könnten. "Für die Stiko würde das bedeuten, sehr viel Geld, sehr viele Leute, die mit Expertise sofort reagieren", so Brockmann.

Auch SPD-Ministerpräsident Stephan Weil begrüßte eine Umstrukturierung. "Wer auch immer Gesundheitsministerin oder Gesundheitsminister wird: Die erste Frage an die Stiko sollte sein, welche Ressourcen sie brauchen. Und dann sollte genau das sehr schnell bereitgestellt werden", so der niedersächsische Ministerpräsident. Die derzeitige Organisation sei "einigermaßen frappierend", stellte der sichtlich verblüffte Politiker fest - und sprach damit aus, was sich wohl auch viele Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause vor den TV-Geräten dachten.

"Das muss ich erstmal sacken lassen"

So konnte etwa ein Twitter-Nutzer sein Entsetzen kaum verbergen: "Lerne gerade, dass die STIKO, die zentrale Institution zur Zulassung und Beurteilung von Impfstoffen, aus 18 ehrenamtlichen Ärzten besteht, die nach Feierabend beraten. Seit 2 Jahren hat sich daran nichts geändert. Seid ihr verrückt, Jens Spahn, RKI und Regierung?"

Auch ein anderer User zeigte sich fassungslos: "3 hauptamtliche Mitarbeiter der STIKO. 2021 in einer Pandemie. Das muss ich erstmal sacken lassen."

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