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Nestbeschmutzer im Silicon Valley

Gibt es so etwas wie einen Ehrencode der Risikokapitalanleger? Darf ein Risikokapitalgeber das Start-up eines anderen öffentlich kritisieren oder analysieren? Sind die, die vor einem Börsengang den frühen Investoren in die Suppe spucken, indem sie den kommenden Anlegern die vermeintliche Wahrheit einschenken, nur Nestbeschmutzer?

Das ist eine Diskussion, die derzeit im Silicon Valley mit ungeahnter Schärfe diskutiert wird. Grund ist das Börsenfiasko von Blue Apron. Das ist ein Kochbox-Anbieter, der einem das Abendessen als Baukasten zusendet. Fleisch, Kartoffeln, Gemüse, Rezept, alles ist dabei – außer Salz und Pfeffer, Besteck, Teller oder Töpfe und Pfannen. Die muss man schon selbst haben.

Die Aktie sollte am 29. Juni zu 15 bis 17 Dollar an den Markt kommen, dann sank die Spanne auf 13 bis 15, am Ende waren es zehn Dollar, bei denen die Anleger zugriffen. Bereits am ersten Tag mühte sich der Kurs nur einen Dollar in die Höhe, seitdem geht es nur bergab. Der jüngste Kurs lag am Mittwoch bei 6,20 Dollar.

Schon vor dem Börsengang hatte Goodwater Capital am 27. Juni in einer ausführlichen Analyse das Für und Wider des Start-ups diskutiert. Das wiederum ärgerte den Blue-Apron-Frühinvestor Phin Barnes von First Round Capital. Er fragte öffentlich, ob so etwas überhaupt erlaubt sein sollte: „Was ist denn bitte das Geschäftsmodell von Goodwater?“, schrieb er auf Twitter. „Risikokapitalgeber, der seinen Start-ups helfen soll, an die Börse zu gehen, oder Analystenfirma, die andere Gründer abschießt?“, feindete er Goodwater an.

Das ist eine brisante Anschuldigung an die Kollegen, die klar auf Risiken beim Börsengang hingewiesen hatten. Und er gab in einer Twitter-Diskussion mit einer Forbes-Journalistin auf die Frage, ob alle Risikokapitalgeber alle Start-ups unterstützen sollten, auch gleich die Antwort dazu: „Wenn wir generell sprechen, ja.“

Die renommierte New Yorker Datenbank und Recherche-Firma CB Insight befragte daraufhin die Leser seines Branchendienstes, und das Ergebnis konnte kaum eindeutiger sein: Nur zwölf Prozent stimmten der Frage zu, ob Risikokapitalfirmen öffentliche Kritik an Start-ups unterlassen sollten. 88 Prozent der Befragten waren der Meinung, das ist falsch. Sie wollen hören, was jemand mit Ahnung dazu zu sagen hat.

Die Diskussion kommt zu einem Zeitpunkt, in dem das Silicon Valley ohnehin in einer tiefen Sinn- und Moralkrise steckt. Snap ist ein weiterer Börsengang, der sich zum Fiasko entwickelt. Unternehmen wie Uber entpuppten sich als praktisch moralfreie Zonen.

Der Mythos Silicon Valley kommt immer mehr ins Wanken. Da fordert nun ein Geldgeber, die Investoren sollten bewusst im Dunkeln gelassen werden, um die Erfolgsstory Kalifornien nicht zu gefährden. Mit anderen Worten: Wenn die Kapitalgeber ihr Schäfchen ins Trockene gebracht haben, dann kann man mit dem Geld der Anleger daran arbeiten, die vorhandenen Schäden zu beheben. Falls möglich. Bei Blue Apron sind nach dem Einstieg von Amazon in den Markt eine Menge Fragen offen.

Das Silicon Valley gab sich lange als verschwiegene Burschenschaft, praktisch die Fortsetzung der Studenten-Netzwerke aus den Elite-Unis, als „finanzierende Verbindung“ mit dem gemeinsamen Ziel, die Geldtöpfe an der Ostküstenbörse New York anzuzapfen. Doch diese Kultur der verschwiegenen Risiken und kleingeredeten Probleme geht dem Ende entgegen. Fragt sich nur, ob vor den Börsengängen von Uber und Airbnb – oder später.

Immer dienstags schreiben Britta Weddeling und Axel Postinett, Korrespondenten des Handelsblatts im Silicon Valley, über neue Trends und den digitalen Zeitgeist im Tal der Nerds.