"Spuk in Hill House" raubt Leuten den Schlaf: Warum man die Serie trotzdem unbedingt anschauen sollte

Nells Vater Hugh (Henry Thomas) will seine Kinder vor der Wahrheit schützen (Bild: Netflix)
Nells Vater Hugh (Henry Thomas) will seine Kinder vor der Wahrheit schützen (Bild: Netflix)

Erste Fans von „Spuk in Hill House“ klagen bereits über Schlafprobleme. Kein Wunder bei der Anzahl an Geistern und der teils schier unerträglichen Spannung, die Regisseur Mike Flannigan in beinahe jeder Folge aufbaut, dürften sich viele denken. Doch bei Horror-erprobten Zuschauern ist dies ein seltenes Phänomen. Und zeigt genau, warum man sich die Netflix-Serie unbedingt ansehen sollte. Denn „Spuk in Hill House“ ist Horror, wie er sein sollte.

Als Horror-Fan hat man es nicht leicht, die Perlen aus der Menge an faulen Filmen zu fischen, die den Zuschauer lediglich mit lauten Geräuschen erschrecken. Mike Flanagan verzichtet nicht nur darauf, sondern erkennt auch, dass Horror mehr können muss als ein Ventil zu bieten. Er muss für etwas stehen, das uns alle betrifft. Nicht umsonst lässt sich der Zustand einer Gesellschaft in aktuellen Horrortrends lesen: Zombiefilme haben in Zeiten von Krieg oder nuklearer Bedrohung Hochkonjunktur, Body-Horror wiederum spiegelt die Angst vor Verfolgung oder gesundheitlichen Krisen. Nicht umsonst hat mit „Es“ der unheimlichste Clown der Filmgeschichte ausgerechnet in Trumps Amerika ein Remake bekommen.

Geister hingegen sind – im besten Fall – Spiegel des menschlichen Seins. Die Symbolik in „Hill House“ macht keinerlei Anstalten, sich zu verstecken – einer der Protagonisten formuliert sie gleich in der ersten Folge. Geister sind nicht zwingend übernatürliche Gestalten, erklärt Steven (Michiel Huisman), der Älteste der fünf Crain-Geschwister. Sie sind Manifestierungen von Trauer, Angst oder Schuldgefühlen – oder eines unverarbeiteten Traumas, das man mit sich trägt.

Die Geschehnisse einer Nacht verfolgen die Crain-Kinder bis ins Erwachsenen-Alter (Bild: Netflix)
Die Geschehnisse einer Nacht verfolgen die Crain-Kinder bis ins Erwachsenen-Alter (Bild: Netflix)

Passend dazu macht gerade eine Eine interessante Theorie zu „Spuk in Hill House“ macht gerade die Runde: Die fünf Crain-Geschwister stehen für die fünf Phasen der Trauer, sogar in der richtigen Reihenfolge: Der Erstgeborene Steven, der alles rational wegerklären will, steht für das Leugnen. Die streitbare Shirley (Elizabeth Reaser) steht für Wut. Theodora (Kate Siegel), die sich ihren jungen Patienten geschickt nähert, während sie sich ihre Geschwister mit klaren Regeln vom Leib hält, verkörpert das Verhandeln. Der suchtkranke Luke (Oliver Jackson-Cohen) steht für Depression, und Nesthäkchen Nell (Victoria Pedretti) für Akzeptanz: Als einzige fügt sie sich der Macht des Hauses, das das größte Trauma aller Kinder beheimatet, und stellt sich dem verlassenen Gebäude, das ihr Vater einst hermetisch abriegeln ließ.

Die Bedeutung der Frau mit dem verbogenen Hals

Die Theorie wurde von Mike Flanagan bereits auf Twitter bestätigt, doch steht diese Interpretation nur sinnbildlich für seine brillante Methode, Horror darzustellen: Was wahrer Spuk ist und was einfach nur ein Symptom einer schweren psychischen Störung, ist nicht immer klar ersichtlich.

Was ist es wirklich, das Nell (Victoria Pedretti) nachts heimsucht? (Bild: Netflix)
Was ist es wirklich, das Nell (Victoria Pedretti) nachts heimsucht? (Bild: Netflix)

Von niemandem wird diese Gratwanderung besser verkörpert als Nell. Wie groß ist die Erleichterung, als die grausamen Visionen der „Frau mit dem verbogenen Hals“, die sie seit ihrer Kindheit heimsuchen, mit Schlafparalyse erklärt werden können. Doch als sich die Identität der unheimlichen Gestalt schließlich offenbart, diese Vision, diese Person, die Nell seit Jahren um den Verstand bringt, wird diese Erleichterung unter einer viel traurigeren Wahrheit begraben. Mit Nells Erkenntnis hat Flanagan wohl die beste Verbildlichung für Depression und Suizidalität der Filmgeschichte geschaffen.

Warum raubt „Spuk in Hill House“ den Schlaf?

Dass „Spuk in Hill House” einem den Schlaf rauben kann, hat also nichts damit zu tun, dass die Serie besonders unheimlich ist (obwohl das absolut zutrifft). Sie legt den Finger in eine Wunde, die viele Menschen beschäftigt – ob direkt oder indirekt. Ein offener Umgang mit psychischen Problemen in der Gesellschaft steckt noch in den Kinderschuhen, ein persönlicher Umgang damit ist sehr individuell.

Auch die anderen Crain-Geschwister haben mit ihrem persönlichen Trauma zu kämpfen, wenn auch weniger offensiv als Nell. Ihr inneres Kind wird entweder mit Drogen betäubt oder fest hinter Mauern aus Kontrollzwang oder emotionaler Härte verschlossen. Doch früher oder später werden diese Mauern eingerissen – zur Not mit rasender Gewalt. Eine unbequeme, verstörende, aber mitreißende Geschichte. So wie Horror eben sein sollte.

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