"Der Spion": Benedict Cumberbatch wird zum Amateur-Geheimdienstler

"Der Spion": Benedict Cumberbatch wird zum Amateur-Geheimdienstler

In der heißen Phase des Kalten Kriegs rekrutieren westliche Geheimdienste einen gewöhnlichen britischen Geschäftsmann, um Informationen eines ehemaligen hochrangigen Offiziers der Sowjetunion nach Großbritannien zu schmuggeln. Die Geschichte von "Der Spion" klingt wie der reißerisch erfundene Stoff eines Hollywood-Drehbuchautors, dabei basiert die Handlung des Thrillers von Regisseur Dominic Cooke (55) auf wahren Begebenheiten. Der packende Film lebt vom grandiosen Zusammenspiel des Duos Benedict Cumberbatch (44, "Sherlock") und Merab Ninidze (55, "Doktor Ballouz") - und der Geschichte selbst.

Eine ungewöhnliche (und gefährliche) Freundschaft zwischen Ost und West: Die Handlung

Anfang der Sechziger steht die Welt kurz vor einem Atomkrieg. Oleg Penkowski (Ninidze), ein sowjetischer Ex-Offizier mit Freunden im Kreml, füttert die westlichen Geheimdienste mit brisanten Informationen. Um ihn aus der direkten Gefahrenzone zu nehmen, beschließen CIA und MI6, ihm einen unauffälligen Kontaktmann zur Seite zu stellen. Die Wahl fällt auf den Briten Greville Wynne (Cumberbatch), einen Geschäftsmann, der mit Spionage nichts am Hut hat und erst überzeugt werden muss. Nachdem sich die beiden anfreunden und Penkowski aufzufliegen droht, versucht Wynne, ihn gegen den Rat der Geheimdienste aus Moskau herauszuholen.

Neben Ninidze und Cumberbatch sind in Cookes Werk auch "The Marvelous Mrs. Maisel"-Star Rachel Brosnahan (30) als CIA-Agentin Emily Donovan und Jessie Buckley (31, "Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution") als Wynnes Ehefrau Sheila mit von der Partie. Beide geben durchaus eine gute Figur ab, auch wenn Brosnahans Darbietung neben der ihrer Kollegen ein wenig blass wirkt. Das könnte an ihrer wenig zur eigentlichen Handlung beitragenden Rolle liegen, die absolut austauschbar wirkt und wohl auch ohne Top-Besetzung ausgekommen wäre.

Cumberbatch und Ninidze agieren auf Augenhöhe

Als "Geschäftsmann im mittleren Alter, der ein wenig zu viel trinkt", präsentiert sich "Sherlock" Benedict Cumberbatch abermals in Höchstform. Nach dem Drama "Inside Wikileaks - Die fünfte Gewalt" (2013), in dem er den australischen Whistleblower Julian Assange (49) porträtiert, und "The Imitation Game - Ein streng geheimes Leben" (2014) taucht er erneut absolut authentisch in die Geheimdienstwelt ein. Seine Rolle im Kriegsdrama "Imitation Game" ähnelt seiner aktuellen im Besonderen, darin verkörpert er ebenfalls einen Zivilisten - in diesem Fall einen Mathematiker -, der vom britischen Geheimdienst angeheuert wird.

Eine besondere Dynamik, die den Zuschauer bis zum Ende fesselt, entsteht jedoch durch Cumberbatchs Zusammenspiel mit Merab Ninidze. Als sowjetischer Landesverräter, der den Westen über Nikita Chruschtschows (1894-1971) wahre Motive und die von ihm ausgehende Gefahr aufklären will, agiert der 55-jährige Schauspieler über die gesamte Länge des Films auf Augenhöhe mit seinem Kollegen. Das Schicksal seiner tragischen Figur, die sich allein den Frieden wünscht und dafür das eigene Leben und das seiner Familie in höchste Gefahr bringt, berührt fast mehr als das seines britischen Freundes Greville Wynne.

Aber nur fast. Denn dessen Geschichte fehlt es ebenfalls nicht an Tragik, wird Wynne doch eiskalt von einem Geheimdienst zum Spielball der verhärteten Fronten gemacht - ohne Rücksicht auf persönliche Verluste, wie seiner ohnehin kriselnden Ehe. Am Ende steht besonders eine Szene symbolisch für die Verbundenheit der beiden Männer, deren Leben zu ihrer Zeit kaum unterschiedlicher hätte sein können: Am Vorabend ihrer geplanten Flucht aus Moskau sitzen beide nebeneinander in einer Ballettvorstellung von Tschaikowskis "Schwanensee" - sichtlich angespannt und angsterfüllt, mit Tränen in den Augen.

Realer Hintergrund berührt - und animiert zum Nachdenken

Dass der Thriller das Publikum fast von Anfang bis Ende in seinen Bann zieht, liegt allerdings nicht nur an dem herausragenden Darsteller-Duo Cumberbatch/Ninidze. Die Tatsache, dass sich die dramatische Handlung vor gut 60 Jahren ähnlich zugetragen hat, macht sie greifbar und dürfte starke Emotionen wecken - insbesondere bei den Generationen, die den Kalten Krieg inklusive der Kubakrise 1962 selbst bewusst wahrgenommen haben. Das perfekt inszenierte Zusammenspiel von fiktiven Aufnahmen und Originalmaterial, wie einer Live-Ansprache von US-Präsident John F. Kennedy (1917-1963), verstärkt diesen Effekt gekonnt.

Am meisten berührt am Ende also die im Film gezeigte Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen Ost und West - in einer Zeit, in der eine solche schier unvorstellbar schien. Fürs große Hollywood-Kino wurden die zugrunde liegenden realen Begebenheiten zwar teils abgewandelt. Die besondere Beziehung der beiden Familienväter Wynne und Penkowski, die jeweils nur das Beste für ihr Land tun wollten, ist jedoch durch Wynnes Autobiografien "The Man From Moscow" (1967) und "The Man From Odessa" (1981) belegt.

Es sind genau diese Geschichten, die in einem oftmals von oberflächlichem Blockbuster-Gewitter geprägten Hollywood mehr Raum verdienen. Geschichten, die zeigen, dass Menschen auch in schwierigen Zeiten zumeist mehr verbindet als unterscheidet. Sie können das Publikum zum Nachdenken animieren, "Der Spion" ist der Beweis.