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"Sollte Tarantino anrufen, ich wäre bereit"

Was für eine Karriere: Julia Koschitz gehört nach einem kometenhaften Aufstieg in den vergangenen 15 Jahren zu den wenigen deutschen Filmstars, die sich ihre Rollen aussuchen können. Dabei hat sie mit Karriereplänen gar nichts am Hut: Es sei bei ihr nur wie bei einem "Schuster, der immer bessere Schuhe machen will".

Für die Bühne, sagt Julia Koschitz, hat sie seit jeher ein Faible - nur an die Schauspielerei hatte sie lange nicht gedacht. "Ich hatte vor, einen Beruf zu finden, bei dem ich mich hinter der Arbeit verstecken kann", verblüfft die 45-jährige Münchnerin und bekennt sich beim Rückblick auf ihre von außen besehen atemberaubende Karriere zu ausgeprägten Selbstzweifeln: "Es fühlte sich wenig richtig an", gibt Koschitz, immerhin eine der gefragtesten Charakterdarstellerinnen dieser Zeit, zu Protokoll. "Da war immer eine große Unsicherheit, aber auch eine starke Neugierde." - Eine Neugierde auf außergewöhnliche Figuren, wie nun im ARD-Drama "Weil du mir gehörst" (Mittwoch, 12. Februar, 20.15 Uhr). Sie spielt eine Frau, die seelischen Missbrauch an ihrem Kind begeht, indem sie es massiv gegen den Vater manipuliert. Was hinter diesem pathologischen Verhalten steckt und weshalb sie schon immer "mehr das Knäckebrot als der fluffige Toast" ist, verrät Julia Koschitz im Gespräch.

teleschau: Sie haben im vergangenen Jahr mit einem hellblonden Wuschelkopf überrascht. Wie fühlte sich das an?

Julia Koschitz: (lacht) Wie sich eine Perücke auf dem Kopf anfühlt. Eher fremd. Ich sollte für die Rolle im Kinofilm "Wie gut ist deine Beziehung?" sowohl blond als auch braunhaarig sein, und da man den Drehplan nicht nach der Haarfarbe stecken konnte, war Färben ausgeschlossen. Es war interessant zu sehen, ob mir so was steht. Aber ich denke, ich bleibe lieber beim Original.

teleschau: Passt zu Ihrem Sternzeichen: Der Steinbock gilt als bodenständig. Und als diszipliniert. Erkennen Sie sich wieder?

Koschitz: Ja, wobei es eher die anderen sind, die mich als diszipliniert charakterisieren.

teleschau: Und was meinen die anderen damit?

Koschitz: Manche finden mich diszipliniert, weil ich bei jedem Wetter Fahrrad fahre. Andere, weil ich bei meiner Arbeit gut vorbereitet bin oder eine gewisse Ernsthaftigkeit mitbringe. Die Wahrheit ist, ich fahre lieber Fahrrad als U-Bahn, und ich muss wirklich verstehen, was ich spiele, sonst bin ich nicht frei am Set.

teleschau: Woher rührt das, von der Astrologie einmal abgesehen?

Koschitz: Bei meiner Projektauswahl geht's mir immer um die Qualität des Buchs, um eine Geschichte, die ich erzählenswert finde, um eine Aussage oder Haltung. Dem will ich gerecht werden. Menschen, die etwas gut können, arbeiten meistens an ihrer Genauigkeit. Das finde ich spannend.

teleschau: Sie überlassen die Dinge ungern dem Zufall?

Koschitz: Ich glaube nicht, dass der Zufall ein guter Ratgeber ist. Er führt schnell zu Beliebigkeit. Und mit einer gewissen Unsicherheit hat es auch zu tun: Ich muss die Dinge ergründen, um dann vor der Kamera loslassen zu können. Also sagen wir es so: Die Disziplin besteht vor allem aus meiner Lust an der Arbeit, die mich interessiert und die ich so gut wie möglich machen will. Ich hoffe sehr, dass es trotzdem Spaß macht, mit mir zu arbeiten, auch wenn ich mir sicher bin, dass es manche gibt, die Gegenteiliges behaupten würden (lacht). Zumindest verkrieche ich mich am Set auch gerne mal, wenn ich nervös bin, und bin nicht so gesprächig.

teleschau: Ist das Professionalität oder ein Charakterzug?

Koschitz: Ich weiß es nicht. Mir macht meine Arbeit einfach mehr Spaß, wenn ich die Dinge von unterschiedlichen Perspektiven beschaut habe. Ich nehme am Ende viel mehr mit für mich selbst. Bestimmt manchmal mühsam für andere.

teleschau: Meinen Sie.

Koschitz: Aber ohne zu kokettieren! Ich bin schon mehr das Knäckebrot als der fluffige Toast. Zu viele Fragen! Ich hab' mich schon im Deutsch-LK in der Schule, schwergetan, mich kurzzufassen. Ich wollte immer viel zu viel auf einmal erklären, wollte komplexe Sachverhalte auf den Punkt bringen, bin abgeschweift, musste an jeden Schachtelsatz unbedingt noch einen weiteren anfügen, um den vorherigen zu verdeutlichen. Na ja, Sie sehen ja, wohin das führt (lacht).

"Partys und Drogen kamen später"

teleschau: Für den Beruf des Schauspielers ist ein ausgeprägter Hang zum Analytischen gewiss nicht das Schlechteste. Wobei Sie als Mädchen eigentlich Tänzerin werden wollten, richtig?

Koschitz: Ja. Ich habe mit Fünf angefangen zu tanzen. Mit elf Jahren kam der diffuse Wunsch auf, Tänzerin zu werden. Also war ich bei zwei renommierten Ballettinternaten zum Vortanzen und wurde gleich wieder nach Hause geschickt. Im Vergleich zu den anderen waren meine körperlichen Voraussetzungen so eindeutig weit weg davon, dass der Ballerina-Traum schnell ausgeträumt war. Danach habe ich zwar intensiv weitertrainiert, bis ich 16 war, in Frankfurt am Konservatorium, aber es blieb ein Hobby. Heute würde ich sagen, dass ich damals auch irgendwie erleichtert war. Ich wusste, dass der Weg zum Tanz auch mit erheblichen Entbehrungen verbunden gewesen wäre.

teleschau: Die Teenagerzeit wäre wohl anders verlaufen ...

Koschitz: Bestimmt. Partys und Drogen kamen später. Wobei leider auch nicht so ausschweifend - und das nicht mal aus Disziplin (lacht).

teleschau: Fast logisch, dass Sie dann vom Tanzen auf die Theaterbühne wechselten, oder?

Koschitz: Nein. Da war gar nichts logisch. Ich erinnere mich an einen schwierigen Findungsprozess. Nachdem die Tänzeridee beiseitegelegt war, dachte ich erst über Choreografie nach, dann war's Bühnenbild. Aber nach dem Abitur fing ich erst mal an, Theaterwissenschaften zu studieren, weil ich zu spät für die Aufnahmeprüfungen war.

teleschau: Die Bühne hatte Sie also immer angezogen?

Koschitz: Ja, es hat sich nicht so angefühlt, aber im Nachhinein war da eine gewisse Stringenz. Mich interessierte alles, was hinter der Bühne stattfindet. Auf der Bühne zu stehen, war nicht mein Fokus. Ich hatte vor, einen Beruf zu finden, bei dem ich mich hinter der Arbeit verstecken kann. Das passte besser zu meinem Wesen. Schauspielerei lag erst mal fern.

teleschau: Erstaunlicherweise hört man das von Schauspielern immer wieder: dass sie im Grunde introvertiert sind. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

Koschitz: Vielleicht verstärkt das den Drang, sich zu zeigen, um so mehr (lacht). Klingt schlimm, aber es wird was dran sein. Man kann sich hinter den Rollen wunderbar verbergen.

teleschau: Wie sind Sie dann trotz der Schüchternheit doch auf der Bühne gelandet?

Koschitz: Der Wunsch war bestimmt schon eine Weile unausgesprochen da, aber so leise, dass ich mich selbst nicht mehr daran erinnern kann. Dann bin ich auf einen Aushang im Institut der Theaterwissenschaften gestoßen, auf dem Vorbereitungskurse für die Schauspielprüfung angeboten wurden. Ich ging hin, und dann kam eines zum anderen ... Ich landete auf dem Franz Schubert Konservatorium in Wien und fing meine Ausbildung an.

teleschau: Fühlten Sie sich endlich auf dem richtigen Weg?

Koschitz: Es fühlte sich wenig richtig an. Da war immer eine große Unsicherheit, aber auch eine starke Neugierde. Kunst und Kultur waren bei uns zu Hause immer schon ein wichtiges Thema. Ich war oft mit meinen Eltern im Theater, insofern war mir diese Welt nicht fremd. Trotzdem schien mir die Idee, Schauspielerin zu werden, lange absurd. Alles umschmeißen, kam aber genauso wenig infrage.

teleschau: Weil Sie diszipliniert sind!

Koschitz: Nein. Es lag eher daran, dass ich unbewusst gespürt habe, dass mich dieser Beruf ernsthaft interessiert. Ich wollte mir nur keine falschen Hoffnungen machen. Also habe ich kaum darüber geredet, um mich von niemanden beeinflussen zu lassen, und hab' einfach so getan, als ob sich alles noch ganz anders entwickeln könnte. In Wirklichkeit habe ich konsequent studiert, nach Engagements geschaut, Theater gespielt, und irgendwann hab' ich mich auch getraut, zu sagen, dass das der richtige Weg für mich ist. Mein Werdegang war langsam und eher langweilig. Aber immerhin gekennzeichnet von einer gewissen Beharrlichkeit.

teleschau: Von außen betrachtet sieht Ihre Karriere durchaus aufregend bis atemberaubend aus.

Koschitz: Nein, ist sie wirklich nicht. Ich habe das Glück, einen Beruf zu haben, der mich interessiert und immer wieder neu herausfordert. Wie ein Schuster, der immer bessere Schuhe machen will.

teleschau: Von Ihnen stammt das Zitat: "Der Beruf ist eine ewige Schule, und ich bemühe mich, besser zu werden."

Koschitz: Wenn ich es jetzt so höre, würde ich den Begriff "besser werden" ändern. Mir geht es weniger ums Verbessern, sondern ums Vertiefen, darum, etwas Neues, mich auszuprobieren, auch auf die Gefahr hin, zu scheitern.

"Was Tarantino für Christoph Waltz war, war Bogner für mich"

teleschau: Ihr erster Schritt als Schauspielerin führte nach dem Studium ans Landestheater Coburg.

Koschitz: Zwei Jahre war ich dort engagiert. Rückblickend eine gute Zeit für mich, ich konnte mich dort ausprobieren, mich freispielen. Mit schönen Rollen und ohne zu viel Druck von außen.

teleschau: Und dann kam Franz Xaver Bogner und hat Sie für seine Serie "München 7" besetzt.

Koschitz: Genau, der Franz war für mich ein Ermöglicher. Er hat mir 2003, als ich bereits in München an unterschiedlichen Theater gespielt habe, eine Rolle angeboten, die ursprünglich bayerisch sein sollte und dann durch mich etwas norddeutscher wurde. So hat er mir den Einstieg ins Drehen ermöglicht. Was Tarantino für Christoph Waltz war, war Bogner für mich (lacht).

teleschau: Wie meinen Sie das?

Koschitz: Der Vergleich hinkt, aber was ich sagen will, ist, dass man als Schauspieler eine Chance braucht. Ohne Chance ist man nichts in diesem Beruf - es gibt so viele gute Schauspieler, die frustriert sind, weil sie nicht die Gelegenheit bekommen, zu zeigen, was sie können. Ich war drei Jahre für die Serie engagiert, mit einer schönen Rolle, guten Partnern und vor allem guten Büchern, hab' einiges gelernt und konnte nebenbei noch Theater spielen. Es war perfekt.

teleschau: Was dann kam, ist eine rasante Erfolgsstory: Ralf Westhoffs "Shoppen", die Serie "Doctor's Diary", verschiedene "Tatort"-Rollen, Komödien, charmante Liebesfilme und immer neue Charakterrollen in TV und Kino. Heute hat man den Eindruck, dass Sie sich Ihre Engagements aussuchen können.

Koschitz: Ich erinnere mich vor allem an das Ringen um gute Projekte und gute Rollen. Aber klar, wenn ich auf meinen gesamten Weg zurückblicke, bin ich für das oft grundlose Glück, das ich hatte, sehr dankbar. Ich bin mit meiner Auftragslage in einer privilegierten Situation, das ist mir bewusst.

teleschau: Welchen Reim machen Sie sich darauf, dass Sie so oft für lebensnahe Rollen besetzt werden und damit offenbar auch beim Publikum gut ankommen?

Koschitz: Ich mag Geschichten, die etwas übers Leben erzählen, wenn Sie das mit lebensnah meinen. Wie gut ich damit ankomme, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Mich hat mal eine jüngere Kollegin gefragt, was sie tun müsse, um erfolgreich zu sein. Aber erfolgreich sein ist ein dehnbarer Begriff. Mir ging es nie um Erfolg im Sinne einer Karriere im Rampenlicht. Sondern immer um spannende Projekte mit interessanten und guten Leuten, am liebsten mit schönen schauspielerischen Herausforderungen, die ich versucht habe, so gut es mir möglich war, zu meistern. Und meine Selbstzweifel waren dabei ein guter Motor. Sonst gibt es kein Erfolgsgeheimnis.

teleschau: Hat sich das mit den Selbstzweifeln nicht irgendwann erledigt, wenn man ein bekannter Filmstar ist?

Koschitz: (lacht) Ich fürchte, die gehören einfach zu mir. Ich empfinde mich selber auch nicht als prominent. Ich mache meine Arbeit, wie jeder andere auch, und für meine Freunde und Bekannten bin ich die Julia oder die Koschitz, die auch Schauspielerin ist.

teleschau: Wie ist das, wenn Sie sich zufällig im Fernsehen sehen - oder gar auf der Kinoleinwand: Tut das der Eitelkeit nicht gut?

Koschitz: Nein. Ich glaub', ich würde weiterzappen. Mich interessiert natürlich, was aus den jeweiligen Filmen geworden ist, die Arbeit der anderen. Bei mir selbst bin ich eher kritisch. Da will ich sehen, was von dem, was ich umsetzen wollte, gelungen ist und was nicht. Es käme mir seltsam vor, das zu genießen. Da bin ich vielleicht zu protestantisch-calvinistisch erzogen worden (lacht).

"Als Schauspieler ist man immer Anwalt seiner Figur"

teleschau: Im ARD-Drama "Weil du mir gehörst" spielen Sie eine für Sie ganz und gar ungewöhnliche Rolle...

Koschitz: Ich würde sagen, eine schwierige Rolle, für mich zumindest: eine Frau, die einen seelischen Missbrauch an ihrem Kind begeht, indem sie es massiv gegen den Vater manipuliert. Auch wenn sie im pathologischen Sinne an einer schweren psychischen Störung leidet, ist es schwer, ihr Verständnis entgegenzubringen. Aber wie bei jeder anderen Figur auch, war mein Ansatz, mich zum Anwalt dieser Figur zu machen. Als Schauspieler ist man immer Anwalt seiner Figur - selbst, wenn man einen Massenmörder spielen würde.

teleschau: Hier geht es um das Phänomen der Eltern-Kind-Entfremdung: Nach einer Trennung entzieht ein Elternteil dem anderen das gemeinsame Kind - auch durch gezielte Manipulation. Hatten Sie davon zuvor schon mal gehört?

Koschitz: Nein. Das war der Grund, warum ich bei dem Projekt dabei sein wollte. Ein wichtiges Thema. Ich habe erst in der Vorbereitung über das "Parental Alienation Syndrome" erfahren und war sprachlos, wie weit verbreitet es ist. Ich habe von einer forensischen Psychiaterin gelesen, eine Frau, die sich ihr Leben lang mit der Psyche von Verbrechern beschäftigt hat, dass sie keinen Täter kennengelernt hat, der nicht aus einer schweren Verletzung heraus agiert. Bei der Frau, die ich spiele, ist es ähnlich. Sie wurde selbst ihr Leben lang von der eigenen Mutter gegen den Vater manipuliert und leidet selbst unter den Folgen des PAS-Syndroms. Als ihr Mann sie verlässt, verliert sie den Boden unter den Füßen. Ein traumatisches Erlebnis. Aus Angst, auch noch ihr Kind zu verlieren, schlägt sie um sich, ohne zu realisieren, was sie da wirklich tut. "Weil du mir gehörst" ist kein gängiges Scheidungsdrama, das eine herzlose Mutter anprangert, sondern eine Geschichte über ein Familienschicksal, vor allem das Schicksal eines Kindes, das unter der grausamen Manipulation seiner Mutter zu leiden hat, die nicht in der Lage ist, die Paarebene von der Elternebene zu unterscheiden. Ich gebe zu, die Rolle hat mich an die Grenzen meiner Identifikationsmöglichkeiten gebracht. Besonders gerne habe ich das nicht gespielt.

teleschau: Gibt es aus Ihrer Sicht ausreichend starke Drehbücher und Rollen im deutschen Film?

Koschitz: Ich habe das positive Gefühl, dass sich gerade viel verändert. Inspiriert oder angetrieben von der Qualität der Streamingserien kommt Neues in die Branche. Zumindest habe ich in letzter Zeit gute Sachen gesehen. Ich kann noch nicht darüber reden, aber ich darf mich diesbezüglich auf ein schönes neues Projekt freuen.

teleschau: Und dann kommt Hollywood - wie bei Christoph Waltz?

Koschitz: (lacht) Ja, genau! Interessieren würden mich internationale Produktionen sehr, schon aufgrund der kulturellen und erzählerischen Unterschiede. Aber ich will es auch nicht als ausgesprochenes Ziel deklarieren.

teleschau: Wie wäre es mit einem Action-Blockbuster?

Koschitz: Wenn es in die Richtung von Uma Thurman in "Kill Bill" ginge, hätte ich nichts dagegen. Sollte Tarantino also anrufen, ich wäre bereit (lacht)!