So wird die neue Star Wars-Heldin die Macht erschüttern

“I’m no one”, hört man sie zu Beginn des neuen “Star Wars”-Trailers sagen. Ihr Gesicht ist zunächst verborgen, ihre Rolle im neuen Kapitel der Weltraumoper noch unklar. Und doch zeichnet sich eine Sache von Anfang an ab: Die junge Frau, die aus dem Off zu uns spricht, ist keinesfalls ein Niemand. Im Gegenteil: Die von Newcomerin Daisy Ridley verkörperte Rey könnte nicht nur eine weit, weit entfernte Galaxie, sondern auch das Kino für immer verändern.

Luke Skywalker war gestern

Der Trailer stellt nicht ausschließlich Rey, sondern auch den einstigen Stormtrooper Finn (John Boyega) und Bösewicht Kylo Ren (Adam Driver) in den Mittelpunkt. Um dieses Trio, verdeutlichen die Macher, wird die neue Trilogie in der einen oder anderen Form kreisen. Doch der Trailer sagt uns noch mehr. Er sagt uns – ohne irgendetwas Wesentliches über die Handlung preiszugeben – wer die klassische, einst Luke Skywalker zugedachte Heldenreise im Sinne Joseph Campbells im neuen Kapitel der “Star Wars”-Saga antreten wird. Nicht umsonst sehen wir zuallererst Rey – und zwar nur Rey. Innerhalb der ersten 20 Sekunden wird sie vom gesichtslosen Niemand im Untergrund zur einsamen Wanderin in der Wüste auf dem Weg zur Selbstfindung, deren Augen die phantastischen Abenteuer kommender Tage aufblitzen lassen. Hero’s Heroine’s Journey in a nutshell. Erst dann folgt das Lucasfilm-Logo, erst dann wird der Rest erzählt.

Doch warum ist es nicht nur innerhalb des “Star Wars”-Kosmos, sondern auch für das Kino im Allgemeinen so wichtig, dass Rey den Platz von Luke einnimmt – völlig unabhängig davon, ob sie den Gerüchten entsprechend dessen Nichte ist oder nicht. Die Antwort ist so schlicht wie komplex: Weil sie eine Frau ist. Natürlich ist eine weibliche Actionheldin nichts Neues, sie ist inzwischen nicht mal eine Seltenheit. Dennoch sind vielschichtige Genre-Heldinnen vom generationenprägenden Rang einer Sarah Connor (danke, James Cameron!) oder Ellen Ripley (danke, James Cameron!) die Ausnahme geblieben – ganz zu schweigen vom Mangel an Regisseurinnen im großbudgetierten Genre-Kino und der im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen schlechteren Bezahlung weiblicher Filmschaffender.

Wir warten noch immer

Was hat sich seit Sarah Connor und Ellen Ripley im Genrefilm getan? Einiges, doch wenig Grundlegendes. Von Einzelfällen wie Katniss Everdeen abgesehen sind die Heldinnen des popkulturprägenden Hollywoodkinos oft mehr Kampfmaschine als Mensch (Lara Croft und Resident Evil-Alice lassen grüßen) oder – was meist das eigentliche Problem ist – sie ergänzen bloß die eigentlich männliche Narration. Was Simone de Beauvoir in “Das andere Geschlecht” über die Menschheit sagt, hätte sie genauso gut über den Genrefilm schreiben können: “Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern in Beziehung auf sich; sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen.”

So wird völlig zu Recht bereits seit Jahren ein neuer Film gefordert, in dem endlich eine Superheldin im Mittelpunkt steht; bis es mit “Captain Marvel” soweit ist, werden wir noch vier weitere Jahre warten müssen. Und auch das weibliche Aushängeschild der DC-Comics lässt auf sich warten: Bevor Wonder Woman auf die aus Sicht der Filmstudios scheinbar immer noch nicht bereite Menschheit losgelassen wird, muss sie sich erst mal als Nebendarstellerin in “Dawn of Justice” bewähren, während Batman und Superman in aller Ausführlichkeit darum streiten dürfen, wer den superkräftigeren Penis hat.

Mehr Sydney, weniger Padmé

Das Fernsehen ist da schon ein wenig weiter. Dort hat sich die Actionheldin als komplexes, menschliches Wesen und tatsächliche Protagonistin ihrer eigenen Geschichte dauerhaft etabliert. Nach Buffy Summers, Sydney Bristow, Carrie Mathison und Peggy Carter steht mit Jessica Jones bereits die nächste potentielle Genre-Ikone in den Startlöchern. Und auch J.J. Abrams, Regisseur und Drehbuchautor von “Star Wars: Das Erwachen der Macht”, hat seinen Anteil an dieser erfreulichen Entwicklung. Sydney Bristow, Protagonistin der Agenten-Serie “Alias” und Durchbruch für Hauptdarstellerin Jennifer Garner, stammt aus seiner Feder und ist der beste Beleg seines Gespürs für starke, nuancierte und einprägsame Genre-Heldinnen.

Mit “Star Wars” übernimmt er nun eine Saga, die ganze Generationen von Filmenthusiasten zum Staunen und Träumen brachte, aber nicht gerade zum Kanon feministischer Kinokunst zählt. Klar, auch Prinzessin Leia (Carrie Fisher) und Padmé (Natalie Portman) dürfen in den alten Filmen zur Knarre greifen und ordentlich rumballern. Genau wie die Jungs. Nur, dass die Jungs nicht irgendwann im knappen Bikini auf ihre Rettung warten müssen, um in erster Linie das männliche Zuschauerauge zum Rotieren zu bringen. Oder geduldig die Unverschämtheiten eines postpubertierenden Weltraumdiktators in spe über sich ergehen lassen müssen. Was daran liegt, dass sich das Drehbuch für diese Jungs interessiert. “Star Wars” erzählt ihre Geschichte. Um Padmé geht es dabei nicht. Oder um Leia. Oder generell um das “andere Geschlecht”.

Es geht um Macht

“Das Erwachen der Macht” hat dagegen bereits im Trailer mehr über Female Empowerment zu sagen als die vorhergehenden sechs “Star Wars”-Teile zusammen. Sollte der Film das Versprechen des Trailers einhalten – und wie erwartet die mehr oder weniger komplette Erdbevölkerung in die Lichtspielhäuser locken – könnte sich Rey als die Heldin erweisen, die nicht nur dem “Star Wars”-Franchise, sondern auch dem Kino bislang fehlte. Eine Heldin von der generationenübergreifenden Strahlkraft Luke Skywalkers, die den Weg für weitere starke Protagonistinnen ebnet und sich so tief ins popkulturelle Gedächtnis einbrennt, dass sich zukünftige Zuschauer und Filmemacher verdutzt fragen werden: Wie um alles in der Welt konnte es dazu kommen, dass die ganz große Bühne des Genrefilms einst nur den Jungs vorbehalten war?

Möge die Macht mit ihr sein.

Kinostart von “Star Wars: Das Erwachen der Macht”: 17. Dezember 2015

(Bild mit John Boyega, Daisy Ridley, Oscar Isaac: © Jesse Grant/Getty Images for Disney)

(Star Wars-Bilder: © 2015 & TM Lucasfilm Ltd. All Rights Reserved.)