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Shein: Warum das chinesische Fast-Fashion-Imperium mehr wert als Zara und H&M zusammen ist – und laut einer Expertin eine Eintagsfliege sein könnte

Der Berliner Pop-up-Store von Shein und Klarna - Copyright: Klarna
Der Berliner Pop-up-Store von Shein und Klarna - Copyright: Klarna

Ein DJ spielte entspannte "Beach Tunes", junge Frauen, allesamt modisch gekleidet wie Influencer, machten Selfies und zur Eröffnung gab es Plastikblumenketten: Zwischen rosa Interieur und Palmen präsentierte der chinesische Online-Modehändler Shein Mitte Juli bis Ende August in Berlin seine neue Sommerkollektion. Das erste Mal nicht nur online, sondern im ersten deutschen Pop-up-Store des Händlers gemeinsam mit dem Zahlungsdienstleister Klarna auf dem Berliner Kurfürstendamm.

Das Motto des Stores solle ausgerechnet im Zeichen der "Entschleunigung" stehen, hieß es in einer Mitteilung des Unternehmens. Ein gegensätzlicheres Motto hätte sich der chinesische Online-Gigant Shein wohl nicht aussuchen können. Der Händler hat in der ohnehin schon schnelllebigen Branche das "Ultra" vor den Begriff "Fast Fashion" gesetzt. Shein produziert ultra schnelllebige Mode, und das ultra günstig. Auf der deutschen Website des Händlers finden sich Ausgeh-Tops für 2,79 Euro, Radler-Shorts für 4,46 Euro oder sogar ganze Outfits, beispielsweise eine Kombination aus Rock und Top, für unter 5 Euro. Mit diesen Preisen können selbst die im hiesigen Markt längst etablierten Fast-Fashion-Anbieter H&M, Zara und Co. nicht mithalten. Ob sie das wollen oder sollten, ist eine andere Frage.

Jedenfalls setzt diese neue, geheimnisvolle Plattform aus China die etablierten Modehersteller stark unter Druck. „Die Luxusmarken, aber auch Zara und Co. haben Respekt vor den vertikalen Anbietern wie Shein, sie sehen die als Herausforderung", sagt Christiane Beyerhaus, Professorin für Modemanagement an der International School of Management, zu Business Insider.

Shein ist mehr wert als H&M und Zara zusammen

Während das erst 2008 von dem Chinesen Xu Yangtian, genannt Chris, gegründete Unternehmen aus Guangzhou selbst keine Zahlen veröffentlicht, wird der Wert von Investoren mittlerweile auf über 100 Milliarden US-Dollar geschätzt – mehr als Zara und H&M zusammen. Damit ist Shein das drittwertvollste Startup der Welt, gleich nach Elons Musks Raumfahrt-Unternehmen Space X. Laut Schätzungen des US-Portals "Bloomberg" soll Shein allein 2021 weltweit 16 Milliarden Dollar (etwa 15,65 Milliarden Euro) umgesetzt haben. Zum Vergleich: Zalando, Europas größter Modehandelsmarktplatz, setzte im vergangenen Geschäftsjahr 10 Milliarden Euro um. Die größten Konkurrenten, die Fast-Fashion-Anbieter Zara und H&M, machten 32,8 und 23,2 Milliarden.

Für sie ist Shein eine neue ernstzunehmende Konkurrenz, denn der chinesische Hersteller macht, was Zaras Mutterkonzern Inditex und H&M einst erfunden haben: Er kopiert, alles. Shein kopierte letztlich das Geschäftsmodell der Schweden und Spanier, die wiederum die Bekleidungstrends der großen Luxusmarken direkt von den Laufstegen kopierten und selbst deutlich günstiger anboten. Damit wurden die neuesten Modetrends einer breiten Masse zugänglich. Nun kopiert Shein Zaras Looks direkt aus dem Internet. Das geht schneller, als auf die nächsten Fashion-Shows zu warten.

„Shein kopiert letztlich alles  – Designs von sowohl Luxusmarken als auch anderen Fast-Fashion-Playern sowie Social Media Trends und nutzt diese dann für den eigenen Profit“, sagt Beyerhaus. Wie das Magazin "Spiegel" jüngst in einer Recherche zeigte, fanden sich fast identische Taschen, T-Shirts und Kleider zeitgleich in den Onlineshops von Zara und Shein. Wie sich nach einer Untersuchung in einem Textillabor im Auftrag des Magazins zeigte, war die Qualität der chinesischen Ware oftmals deutlich schlechter. Die Shein-Kleider rochen demnach stark nach Plastik, die Stoffe und Muster schienen billig nachgeahmt, wie abfotografiert. Der Händler produziert viel aus den synthetischen Kunststofffasern Polyamid und Polyester.

Die Schnelligkeit, in der Shein zum Teil die neuen Stücke von Zara und Co. auf der eigenen Plattform anbietet, erklärt Beyerhaus damit, dass die Chinesen vermutlich das gleiche Ausgangsstück von Luxusdesignern kopieren, wie der spanische Konkurrent auch. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die auf Zara und Co. warten“, sagt sie. Doch der chinesische Händler kupfert nicht nur von den großen Marken ab. Selbst Vintage-Teile, die gerade auf Second-Hand-Plattformen Vinted beliebt sind und handgemachte Kleider von kleinen Desigern soll Shein nachgebaut haben. Zu den Vorwürfen äußert sich Shein, das zur Gründung 2008 noch "SheInside" hieß, nicht, nennt seine Designs auf der Website jedoch "einzigartig".

Social Media als Erfolgskonzept

„Der Erfolg von Shein basiert auf typischen Merkmalen der chinesischen Wirtschaftskultur: das schnelle Kopieren, die intensive Nutzung von den sozialen Medien, die insbesondere junge Frauen ansprechen und dann sind sie auch noch so clever, globale Trends aus der Modeszene umzusetzen, etwa wie den Pop-up-Store in Berlin", sagt Christiane Beyerhaus. Die intensive Nutzung der sozialen Medien wie Tiktok und Instagram ist ein Grundpfeiler des Erfolgs von Shein. Das Konsumenten- und Internetverhalten ist in China ganz anders als hierzulande. Gerade die jüngeren Konsumentinnen sind oft offen für digitale Trends und nutzten etwa bereits Live-Shopping per Smartphone, als dies in Deutschland noch längst kein Thema war. Shein erreicht die jungen Konsumentinnen vor allem über personalisierte Werbung auf den sozialen Medien. Und diese Empfehlungen sind zum Teil so passgenau, dass es erschreckend ist. Man wünscht sich ein Teil, das einem kurz darauf genau so in einer Shein-Werbung auf Instagram angezeigt wird, attraktiv präsentiert von einem Model mit Influencer-Look. Dazu der günstige Preis – verlockend. Rund 6000 dieser scheinbar attraktiven, hochmodernen Styles erscheinen täglich neu auf der Website.

Auch wenn wenig über die Geschäftspraktiken des Unternehmens offiziell bekannt oder bestätigt ist, liegt es auf der Hand, dass Shein diese passgenauen Empfehlungen nur durch eine schlaue Nutzung von Datenpunkten im Netz erreichen kann. Dank Cookies und permanenter Smartphone-Nutzung weiß der chinesische Moderiese genau, was die deutsche Generation Z shoppen will. Schon im vergangenen Sommer lag die Shein-App im App Store in der Kategorie Shopping unter anderem in den USA, Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland auf Platz eins, war also in diesen Ländern am meisten heruntergeladen. In China setzt das Unternehmen außerdem auf eine schnelle und digitalisierte Produktion. Die Hinterhof-Nähereien, in denen die 4-Euro-Tops gefertigt werden, sind oft an die Software von Shein angebunden. So können die Hersteller in Echtzeit sehen, welche Stücke stark gefragt sind und nachproduziert werden müssen. Shein spricht von einem „automatisierten Nachbestell-System“ – bei rund 6000 chinesischen Textilfabriken.

Dem Branchenportal "Fashion United" erklärte Shein das Modell auf Anfrage so: "Durch unser Kleinserien-Beschaffungsmodell produzieren wir nur eine sehr kleine Menge jedes Stils auf unserer Website, nur 100-200 Stück, messen die Reaktion des Marktes in Echtzeit und reagieren dann mit einer größeren Produktion, um die Nachfrage zu befriedigen, wenn sie gerechtfertigt ist. Wir verkaufen 98 Prozent der produzierten Ware. Wenn der Rest der Branche diesem Modell folgen würde, würde dies fast sofort zu einer um 20 Prozent geringeren Verschwendung von Produkten führen.“ Wenn die verkaufte Ware jedoch auch nach zweimal Tragen weggeworfen werden muss, ist das alles andere als nachhaltig.

Ein Kleid für ein Foto

Dass die Ware von Shein Wegwerf-Kleidung ist, die nicht lange hält, scheint die instagram-affinen Konsumentinnen nicht groß zu stören. Dem US-Nachrichtenportal "Bloomberg" sagte eine Konsumentin etwa, es reiche ihr, wenn sie die Outfits ein oder zweimal für ein schönes Foto tragen könne.

Die günstigen Kosten erreicht Shein also im Wesentlichen dadurch, dass in der Qualität eingespart wird. Laut Beyerhaus habe der Konkurrent Zara mittlerweile etwa recht hohe Maßstäbe für Qualitätskontrollen und das Qualitätsmanagement und ist deshalb auch preislich über die Jahre immer teurer geworden. „Wenn man das nicht macht, lässt sich viel Geld sparen, deshalb lässt sich davon ausgehen, dass Shein keine entsprechende Qualitätskontrolle hat, um diese günstigen Preise anbieten zu können,“ so Beyerhaus.

Kosten spart Shein auch, indem es die bestellten Teile oft einzeln verschickt, nicht gesammelt in einem Paket, wie einige Nutzer beobachten. „Das machen Händler häufig, wenn Pakete von verschiedenen Logistikzentren, vielleicht sogar unterschiedlichen Produktionsländern, geschickt werden“, sagt Christiane Beyerhaus. „Wenn sie die Bestellung einer Person vorher bündeln und zusammen verschicken müssten, würde das wieder zusätzliche Kosten verursachen.“ Gleichzeitig kommt die Ware so auch schneller zum Endverbraucher.

Einige Verbraucherinnen kritisieren aber, dass dadurch auch mehr Müll entsteht. Außerdem ist jedes Teil innerhalb der Versandtasche auch noch einmal in Plastik eingepackt. Shein erzeugt damit deutlich mehr Plastikmüll als viele andere europäische Händler oder Plattformen, wie etwa Zalando. Bei letzterem können Verbraucher auch angeben, dass die Bestellung, wenn möglich, in einem Paket geschickt werden soll.

Sheins Ultra-Fast-Fashion steht dem wachsenden Nachhaltigkeitsbedürfnis entgegen

Sheins rasanter Aufstieg mag deshalb so gar nicht zu dem omnipräsenten wachsenden Trend zu mehr Nachhaltigkeit passen. Insbesondere durch die Corona-Pandemie hat sich das Konsumentenverhalten weltweit verändert und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit verschärft. Verbraucher kauften zwar mehr online ein, allerdings stieg das Bedürfnis nach besser produzierten Stücken, die länger halten, sagt Beyerhaus. Seit Jahren wird das Ende der Fast-Fashion herbeigeredet.

In den vergangenen Jahren mussten einige Fast-Fashion-Händler hierzulande Insolvenz anmelden, etwa Gina Tricot, aber auch die einst sehr erfolgreiche US-Marke Forever21 ging 2019 insolvent. „Shein könnte sich also auch als Eintagsfliege herausstellen. Ob der chinesische Händler sich langfristig auf dem europäischen Markt durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.“, so Beyerhaus. Während etablierte Luxusmarken selbst in Krisenzeiten recht stabil bleiben, sei der Fast-Fashion-Markt sehr volatil, sagt Beyerhaus. Coronakrise, Lieferketten-Problematiken und Krieg in der Ukraine belasten die gesamte Wirtschaft und die Kaufkraft der Verbraucher.

„Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es viele Menschen gibt, die sich teure Kleidung einfach nicht leisten können“, sagt Beyerhaus. Wenn diese Verbraucherinnen und Verbraucher sich trotzdem modisch kleiden wollen, greifen sie eben lieber zu den trendigeren Styles von Shein als den eher angestaubten Modediscountern Takko oder Kik. Mit der weltweiten Inflation und der laut führenden Ökonomen immer stärker auseinandergehenden Schere zwischen Arm und Reich dürfte diese Zielgruppe immer größer werden. Es werde daher immer wieder Massenanbieter wie Shein geben, die für diese Zielgruppe attraktiv seien, glaubt Beyerhaus. Das Ende von Fast-Fashion also noch lange nicht in Sicht.