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Shanghai ist teurer als New York, trotz Millionen leerer Wohnungen: So will Xi Jinping die Luft aus der Blase lassen

China ist im Immobilienrausch. In dem Land wurde alleine in den Jahren 2011 bis 2013 mehr Beton verbaut, als in den USA im gesamten 20. Jahrhundert. Chinesische Städte gehören inzwischen zu den teuersten der Welt. Die Immobilienpreise in Shanghai sind höher als in London, New York und Paris. In der Boomstadt Shenzhen werden für eine Immobilie im Schnitt 43,5 Jahresgehälter fällig; mehr also, als man in einem normalen Erwerbsleben abbezahlen kann – und so viel wie nirgends sonst auf der Welt. Gleichzeitig stehen landesweit 65 Millionen Wohnungen leer.

Der Immobilienmarkt in China ist heiß gelaufen. Viel zu heiß. Seit Jahrzehnten steigen die Immobilienpreise oft im zweistelligen Prozentbereich im Jahr. In der Hoffnung auf immer weiter steigende Preise werden viel mehr Wohnungen gebaut, als tatsächliche Nachfrage danach besteht. „Die Frage ist nicht, ob es eine Blase auf dem chinesischen Immobilienmarkt gibt, sondern wie groß diese ist“, sagt Jacob Gunter im Gespräch mit Business Insider. Der Ökonom beobachtet für Merics, den renommiertesten deutschen China-Thinktank, seit Jahren die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Gunter verweist auf das Unternehmen Evergrande. Der finanziell angeschlagene chinesische Immobilienkonzern sei repräsentativ für die strukturellen Probleme des chinesischen Immobilienmarktes. Evergrande ist mit über 300 Milliarden Dollar verschuldet und gleichzeitig sind unzählige seiner Immobilienprojekte im ganzen Land nicht fertiggestellt. Gunter beschreibt das Geschäftsmodell Evergrandes, das auf dem chinesischen Immobilienmarkt dominiere, so: Kredite aufnehmen, um so viel wie möglich zu bauen und dann dank der gestiegenen Immobilienpreise noch mehr Kredite aufnehmen, um noch mehr zu bauen. Sobald Kreditgeber jedoch beginnen an dem Geschäftsmodell zu zweifeln, gerät das Unternehmen ins Straucheln und muss Immobilien abstoßen.

So, wie bei Evergrande vor wenigen Wochen.

70 Prozent des Privatvermögens in China steckt in Immobilien

Doch woher kommt dieser chinesische Hype auf Immobilien? Bis in die 80er-Jahre gab es kaum Privatbesitz von Immobilien. Die Menschen lebten in staatlichen Wohnungen. Unter dem Präsidenten Deng Xiaoping begannen dann Wirtschaftsreformen im ganzen Land. Chinesen konnten dem Staat ihre Wohnungen abkaufen. Millionen zogen vom Land in die Stadt. „Dabei wuchs die Mittelschicht", erläutert Gunter. "Milliarden wurden verdient. Doch es gab kaum Anlagemöglichkeiten für das neue Vermögen. Aktien waren beispielsweise streng reglementiert und wurden lange als reine Spekulation und als Glücksspiel betrachtet. Die Immobilie war die naheliegende Anlage."

Beim Immobilienboom müsse zudem die unterschiedliche Familienstruktur in China bedacht werden. Familien agierten in der Volksrepublik viel mehr als ökonomische Einheit. "Oft sammelt die ganze Familie Geld für den Hauskauf der nächsten Generation, weil deren Immobilien dann als Familienvermögen angesehen werden“, sagt der China-Experte weiter. Deshalb besitzen heute 90 Prozent der chinesischen Familien in Großstädten die Wohnung, in der sie wohnen. Rund 70 Prozent des privaten Vermögens des Landes steckt in Immobilien.

Doch das bringt riesige Probleme mit sich. Bis zu ein Drittel von Chinas BIP wird Schätzungen zufolge am Immobilienmarkt erwirtschaftet. Sollten die Immobilienpreise eines Tages einbrechen, würden gigantische Vermögen vernichtet. Das Privatvermögen fast aller Chinesen wäre unmittelbar davon betroffen. Doch das Problem ist noch größer. Die Finanzierung des Staatshaushaltes, insbesondere auf lokaler Ebene, hängt direkt vom Immobilienmarkt ab. Denn in China gehört aller Boden dem Staat. In vielen Regionen ist der Verkauf von Bauland die Haupteinkommensquelle der Gemeinden. Sollte diese wegbrechen, müssten massiv Steuern erhöht werden.

Die Einführung einer Immobiliensteuer wäre ein Spiel mit dem Feuer

Eine von Evergrandes unzähligen Baustellen.
Eine von Evergrandes unzähligen Baustellen.

Mit all dem soll nach Xi Jinpings Willen nun Schluss sein. Chinas Präsident betont unablässig, dass „Wohnungen zum Wohnen und nicht zum Spekulieren“ da sind. Damit gibt er zu, dass eine riesige Blase am Immobilienmarkt entstanden ist, ohne das Wort in den Mund zu nehmen. Doch wie soll das gelingen? Merics-Experte Gunter erklärt, dass China Mittel zur Verfügung stehen, die es anderswo nicht gäbe. Staatskonzerne könnten etwa angewiesen werden, angeschlagene Immobilienkonzerne zu stützen, indem sie Anteile übernehmen. Selbst große private Tech-Unternehmen – welche die Partei momentan ohnehin zunehmend reguliert – könnten zwangsweise in solche Rettungsmaßnahmen eingebunden werden.

Doch all das wäre nur Symptombekämpfung. Um die Ursache der chinesischen Immobilienkrise zu bekämpfen, müsste die Preissteigerung für Immobilien langfristig gedrosselt werden. Ein wirksames Mittel dagegen könnte eine Immobiliensteuer sein, die diese Woche in einem Pilotprojekt in einigen der teuersten Städte eingeführt wurde. Bisher gab es in China keine solche Steuer. Das Kalkül dabei: Das Zurückhalten von Wohnungen und das Spekulieren auf steigende Preise wird unrentabler. Dadurch sollen Immobilienpreise sowie Leerstand zurückgehen. Zudem sollen die Einnahmen dafür sorgen, dass die Gemeinden unabhängiger vom Landverkauf werden.

Doch die Pläne für so eine Steuer gibt es schon seit über zehn Jahren. Bisher sind sie immer gescheitert. Offenbar musste Xi Jinping sie nun gegen erhebliche politische Widerstände durchsetzen, auch innerhalb der kommunistischen Partei. Das "Wall Street Journal" berichtet, dass die Steuer ursprünglich in 30 Provinzen eingeführt werden sollte, im finalen Gesetz dann jedoch nur noch in zehn. Eine Seltenheit in dem autoritären Ein-Partei-Staat. Bei seinem jüngsten Durchgreifen gegen große Tech-Unternehmen war der Präsident auf keine vergleichbaren Widerstände gestoßen.

China-Experte Gunter: Eine Wirtschaftskrise in China lässt sich nicht vermeiden

„Je nachdem, wie die Steuer genau ausfällt, könnte sie direkte Folgen für die Mehrheit der Gesellschaft haben – und nicht nur die Führungsriege von Tech-Unternehmen“, sagt Gunter. Es seien nicht nur die Gemeinden, die sich aus dem Landverkauf finanzieren, die Xi hier gegen sich aufbringt. Auch hohe Parteikader seien gegen die Steuer. Sie verträten nicht nur die Interessen der Mittelschicht, deren privates Vermögen davon bedroht ist, sondern nicht zuletzt auch die eignen. Mit einer Immobiliensteuer riskiert die Partei also, die Mehrheit der Chinesen gegen sich aufbringen. Gunter geht daher davon aus, dass in der konkreten Ausgestaltung der Steuer viele Ausnahmen gemacht werden.

Xi Jinping steht vor einem Dilemma. Entweder wird es durch ein zu löchriges Steuerkonzept nicht gelingen, das Heißlaufen des Immobilienmarktes effektiv zu stoppen. Dann wird die Blase früher oder später platzen. Oder aber die Steuer erfüllt ihren Zweck, die Immobilienpreise stabilisieren sich und die Bautätigkeit lässt nach. Doch das zöge eine Rezession nach sich: Große Konzerne gingen Pleite oder müssten umstrukturiert werden, Chinesen hätten weniger Vermögen, das die ausgeben können, und die enorm wichtige Baubranche und abhängige Industrien hätten keine Aufträge mehr.

Der China-Experte gibt jedoch zu bedenken, dass „wir nicht unterschätzen sollten, wie krisenresistent das chinesische System ist. Die autoritär regierende Partei hat Möglichkeiten des Krisen-Managements, die in Demokratien unmöglich wären. Denken wir an den klassischen bank run, also die Situation, in der Menschen in Panik geraten und alle gleichzeitig ihr Geld abheben wollen, wodurch Banken kollabieren. In China könnte die Partei in einer solchen Situation den Zugang zu Informationen kontrollieren, das Internet und die Telekommunikation zensieren oder Banken einfach vorübergehend schließen.“

Es werde in China schlussendlich eine vom Immobilienmarkt ausgehende Wirtschaftskrise geben, glaubt Gunter. Das ließe sich überhaupt nicht vermeiden. „Natürlich werden auch wir diese zu spüren bekommen. Doch ich denke eher nicht, dass die Krise ablaufen wird wie 2008", sagt er. "Das amerikanische und europäische Finanzsystem war extrem eng miteinander vernetzt. Die finanzielle Verflechtung von China und Europa ist nicht ansatzweise so fortgeschritten. Ich denke, das Platzen der chinesischen Blase wird eher einem langfristigen, weltweiten Abschwung gleichen, als einem schlagartigen Absturz der globalen Aktienmärkte.“