Das "Weißer Retter"-Phänomen: Wenn Hollywood die Geschichte umschreibt

Wenn Sie eine Bruce Lee Filmbiografie sehen, können Sie durchaus erwarten, dass die Martial Arts Legende im Mittelpunkt des Films steht. Nicht so im neuen Film „Birth of the Dragon“, der Lees Fans in Rage versetzte, da er den legendären Star zum Nebendarsteller macht und stattdessen von einem erfundenen weißen Typen namens Steve handelt.

In dem Film von George Nolfi, der letzten Monat erstmals beim Filmfestival von Toronto gezeigt wurde, spielt der Amerikaner Billy Magnussen die Rolle von Steve McKee, der dem Anschein nach lose auf Hollywoodlegende Steve McQueen basieren soll. Laut diesem Film soll McKee 1965 Zeuge des legendären Kampfes zwischen Lee und dem puristischen Kung Fu Meister Jack Man in San Francisco gewesen sein. In der Realität trafen sich McQueen und Lee erst Ende der 1960er Jahre persönlich.

Und das ist nicht das erste Mal, dass Hollywood einen Weißen in eine Geschichte hineingezwängt hat, wo er nichts zu suchen hat. Hier sind sechs weitere Beispiele, bei denen ein „weißer Retter“ auftauchte, um den Helden zu spielen – und das Publikum zum Seufzen brachte.

The Help

Man sollte meinen, ein Film über den Kampf für mehr Bürgerrechte im tiefsten amerikanischen Süden der 1960er Jahre, der auch noch „The Help“ heißt, handelt von schwarzen Dienstmädchen, die darum kämpfen, angesichts entsetzlicher Vorurteile ihre Jobs zu behalten und ihre Familien durchzubringen. Aber nein. Das oscarprämierte Drama von Tate Taylor dreht sich um eine Weiße namens Eugenia „Skeeter“ Phelan, gespielt von Emma Stone, und ihrem Kampf, das Leben der unterbezahlten schwarzen Bediensteten und Kindermädchen ihrer Gemeinde zu verbessern.

Auch wenn sie 2012 für den Oscar als beste Schauspielerin nominiert war, hat Viola Davis als Aibileen Clark effektiv weniger Szenen als ein halbes Dutzend der weißen Darstellerinnen, die den größten Teil der Besetzung des Films ausmachen, angefangen bei Bryce Dallas Howard als rassistische Hilly bis hin zu Jessica Chastain als freundlich-naive Celia. Octavia Spencer gewann den Oscar als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle als offenherziges Dienstmädchen Minny Jackson, Erfinderin des berühmten „Schokoladenkuchens“, also war die Mehrheit der weißen Academy-Mitglieder mit dem zufrieden, was sie zu sehen bekam.

 

Last Samurai

Die Geschichte über den Satsuma-Aufstand von 1877, bei der desillusionierte Samurai sich zu Beginn der Meiji-Ära gegen die neue imperiale Regierung von Japan auflehnten, ist geradezu gemacht für die Kinoleinwand. Aber wer ist dieser weiße Kerl, der dem stolzen und ehrenhaften Anführer der Samurai das Leben rettet und später den japanischen Kaiser davon überzeugt, ein wichtiges Handelsabkommen nicht zu unterzeichnen, mit dem mehr moderne westliche Einflüsse in das Land der aufgehenden Sonne gekommen wären? Tom Cruise natürlich!

Der Star aus „Top Gun“ spielt den frei erfundenen früheren US-Soldaten Captain Nathan Algren, der zu Beginn des Films ein übellauniger Alkoholiker ist, aber zum Ende hin Erlösung und neuen Lebensmut findet, als er Teil der Samurai-Kultur wird. Algren basiert lose auf dem französischen Offizier Jules Brunet, der in einem früheren Teil der japanischen Geschichte, nämlich dem Boshin-Krieg von 1868-69, die anti-imperialistischen Truppen trainierte und mit ihnen kämpfte. Aber es gibt keinen Beweis dafür, dass Brunet irgendeinen Einfluss auf den damals noch jungen Meiji-Kaiser hatte, geschweige denn, dass er dabei half, die Verwestlichung in Japan aufzuhalten. Das ziemliche Gegenteil ist der Fall, denn der neue Herrscher von Japan führte das Land in eine nie da gewesene Phase der Modernisierung, aus der das alte, vorindustrielle, feudale Japan und die Samurai, die es repräsentierten, völlig verschwunden waren, als der Herrscher 1912 verstarb.

 

Der mit dem Wolf tanzt

Die amerikanische Kavallerie ist vielleicht über die großen Ebenen geritten und hat dabei den Lebensstil und die Kultur zahlreicher Indianerstämme zerstört, die dort lebten, um die endlose und unerbitterliche Expansion der USA im göttlichen Auftrag („Manifest Destiny“) voranzutreiben. Aber immerhin war einer der weißen Typen bereit, sich für die unterdrückten Sioux einzusetzen – und sein Name war Kevin Costner.

Er spielte im Film den (wieder einmal) frei erfundenen Leutnant John J. Dunbar - oder auch „Der mit dem Wolf tanzt“ - und warnt die ortsansässigen Stämme vor der wachsenden Bedrohung durch Weiße. Er hilft bei der Verteidigung gegen einen Überfall und wird sogar ein Teil der Indianer-Kultur, als er seine neuen Freunde zu einer Herde Büffel in der Nähe führt. Ein rundum großartiger Typ, oder vielleicht ein völlig erfundenes Produkt weißer Schuldgefühle - je nachdem, wie man es sieht.

 

Amistad

Steven Spielbergs Historiendrama von 1997 erzählt die Geschichte einer Revolte afrikanischer Sklaven an Bord eines kubanischen Schiffes, das anschließend in US-Gewässer gelenkt wurde und zu einem umfangreichen Rechtsstreit führte. Aber die Schlüsselfiguren sind nicht die Mende-sprechenden Leute, die die Revolte anzettelten. Diese bleiben nahezu stumm, weil die Produzenten beschlossen, dass das US-Publikum keine Filme mit Untertiteln mag. Deshalb wurden die meisten Szenen mit schwarzen Darstellern herausgeschnitten. Stattdessen sind die Helden des Films die weißen Anwälte und die Politiker, die mutig darum kämpfen, die armen Afrikaner vor dem Leben in Sklaverei zu bewahren.

Der Film hat eine große schwarze Rolle: Morgan Freemans Theodore Joadson, der dem Anwalt Roger Sherman Baldwin (Matthew McConaughey) hilft, aber diese Figur wurde für den Film völlig erfunden. Der Historiker Eric Foner, Geschichtsprofessor an der Columbia University, betonte außerdem, dass die US-amerikanischen Gerichte Mitte des 19. Jahrhunderts überhaupt nicht empfänglich waren für Anliegen von Abolitionismus und bezweifelt Spielbergs Erklärung, dass der „Amistad“-Vorfall ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zum Verbot der Sklaverei war.

 

Dangerous Minds – Wilde Gedanken

Michelle Pfeiffer spielt in dem Melodrama von 1995 die nette weiße LouAnne Johnson. Die Ex-Marinesoldatin bekommt einen Job als Lehrerin an einer High School in einem Problemviertel. Die echte Johnson konnte die Aufmerksamkeit ihrer demotivierten Schüler gewinnen, indem sie vom offiziellen Lehrplan abwich und statt herkömmlichen Gedichten hauptsächlich die Texte von Rapsongs verwendete. Aber in John N. Smiths Adaption von Johnsons Buch „My Posse Don’t Do Homework“, die wenig Anklang fand, nutzte Pfeiffer unerklärlicherweise Songs von Bob Dylan und Dylan Thomas‘ Gedicht „Do Not Go Gentle Into That Good Night“ als Alternative für das Unterrichtsmaterial, das von der Schulbehörde abgesegnet ist.

Hollywood sorgte auch dafür, dass fast alle Kids in Pfeiffers Klasse einen schwarzen oder lateinamerikanischen Hintergrund hatten, während in der Realität genauso viele arme weiße Kinder anwesend waren. Und dann fügten die Produzenten auch noch ein sensationslüsternes, völlig erfundenes Ende ein: Einer von Johnsons Lieblingsschülern, Emilio Ramirez, wird bei einem Bandenkampf getötet, nachdem der spießige Schuldirektor seine Bitte um Hilfe ignoriert. Der echte Emilio dagegen ging zu den US Marines und hatte letztendlich ein glückliches Leben mit seiner Familie in Kalifornien.

 

Blind Side – Die große Chance

Die Geschichte des schwarzen Teenagers Michael Ohers, der sich aus Armut und Obdachlosigkeit bis zur NFL hochkämpfte, wurde 2006 erstmals von Michael Lewis in dem Buch „The Blind Side: Evolution Of A Game“ festgehalten. Aber in der Filmadaption entschied sich Hollywood dafür, sich nahezu ausschließlich auf Ohers Rettung von der Straße durch eine heile, reiche, weiße Familie aus Mississippi zu konzentrieren. Ein weiterer Fall, bei dem der eigentliche Held in seiner eigenen Filmbiografie fast völlig nebensächlich ist. Man könnte glauben, er habe seinen beeindruckenden Aufstieg und Erfolg – Oher spielt für die Carolina Panthers in der NFL und unterschrieb vor kurzem einen Vertrag für weitere drei Jahre – fast ausschließlich der Güte und Unterstützung der engelhaften Tuhoy-Familie zu verdanken. Sandra Bullock gewann 2010 einen Oscar als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle als furchtlose Memphis-Matriarchin Leigh Anne Tuhoy, aber von Quentin Aaron, der Oher spielte, hat man seither nur wenig gehört.

Bilder: Getty/Warner Bros/Dreamworks Pictures

benchildgeek