Sebastian Koch: Wie weit geht er für sein Kind?

Schauspieler Sebastian Koch dreht gerne auf Deutsch, Englisch und Französisch

Schauspieler Sebastian Koch (56, "Das Leben der Anderen") wählt seine Filmprojekte mit Bedacht aus. Warum er an "Im Namen meiner Tochter - Der Fall Kalinka" (Kinostart: 20. Oktober) nicht vorbei kam, erklärt er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Das deutsch-französische Filmdrama erzählt die Geschichte eines wahren Falls aus dem Jahr 1982. Damals stirbt die 14-jährige Kalinka Bamberski (Emma Besson) im Haus ihres Stiefvaters, des Arztes Dieter Krombach (Sebastian Koch), in Lindau am Bodensee.

Der leibliche Vater André Bamberski (Daniel Auteuil) ist von Krombachs Schuld am Tod seiner Tochter überzeugt und hat nur noch ein Ziel: ihn überführen und damit Gerechtigkeit für seine Tochter erlangen. Ein länderübergreifender Kampf gegen die Justiz beginnt, der 27 Jahre dauern soll und zur Obsession seines Lebens wird...

Herr Koch, haben Sie den echten Fall damals mitbekommen?

Sebastian Koch: Überhaupt nicht, obwohl ich ja in Süddeutschland aufgewachsen bin. Aber ich war zu der Zeit, als der Fall durch die Presse ging, schon in Berlin.

Was hat Sie an dem Filmprojekt gereizt?

Koch: Sicherlich die Schizophrenie im Charakter der Person Krombachs. Diese Fallhöhe hat mich gereizt. Niemand ahnte ja etwas von seiner dunklen Seite. Ein anderer Grund war, dass ich bestimmt schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr auf Französisch oder in Frankreich gedreht hatte und wissen wollte, ob ich es noch kann.

Und wie stark ist Ihr Akzent?

Koch: Ich habe eine relativ gute Aussprache, weil ich die Sprache vor 25 Jahren phonetisch gelernt habe. Damals habe ich sehr auf den Akzent geachtet, grammatikalisch bin ich aber eher eine Null.

Warum wird der Film jetzt erzählt, ist noch etwas offen?

Koch: Ich glaube nicht. Was mich persönlich an dem Film so fasziniert hat, ist die Dimension dahinter, die an ein großes griechisches Drama erinnert: Die Suche nach Gerechtigkeit, ein Leben zu opfern für die Sache, an die man glaubt... - was man ja sehr gut nachvollziehen kann, bei einer so bösartigen Tat.

Gleichzeitig stellt sich natürlich auch die Frage: Ist es das wert?

Koch: Das stimmt. Die beantwortet der Film auch nicht wirklich, Gott sei Dank. Kann man auch nicht, denke ich. Es bleibt aber eine spannende Frage: Wie weit opfere ich mein Leben für die Gerechtigkeit, für meine tote Tochter, um jemanden hinter Gitter zu bringen, von dem ich den Verdacht habe, dass er der Mörder sei. Das ist für mich schon ein großes Thema.

Kann man Bamberski besonders gut verstehen, wenn man wie Sie selbst auch eine Tochter (*1996) hat?

Koch: Natürlich kann ich die Handlungen des Vaters vollkommen nachvollziehen. Ich hoffe aber, dass ich selbst nicht so handeln würde. Ich würde mir wünschen, dass ich einen anderen Weg einschlagen würde. Man kann manche Dinge nicht rückgängig machen. Daher kann ich nur vermuten, wie ich reagieren würde. Das ist so eine Frage wie: Würdest du eingreifen, wenn vor Deinen Augen zum Beispiel ein Flüchtling angegriffen wird? Entweder du hast Courage und springst ein - oder du hast einfach zu viel Angst. Sowas kann man nicht rational planen, es kommt aus dem Affekt. Das entscheidet sich wohl erst in dem Moment. Aber das ist alles sehr hypothetisch.

Bamberski scheitert immer wieder auch am Rechtssystem. Was halten Sie vom deutschen Justizsystem?

Koch: Wir haben ein Rechtssystem, das sehr gründlich ist und darauf basiert, dass hoffentlich kein Unschuldiger ins Gefängnis geht. Das ist das Wichtigste für mich. Es gibt so viele Länder, in denen Menschen unschuldig in Todeszellen sitzen und keine Chance mehr auf ein neues Verfahren haben. Das ist für mich einer der größten Albträume überhaupt. Dann soll lieber gegebenenfalls mal einer durch die Maschen der Justiz rutschen, als dass ein Unschuldiger verurteilt wird. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung.

Im Film wirkt die Schuldfrage aber ziemlich eindeutig...

Koch: Rein moralisch ist das ja auch so, juristisch ist das aber nur teilweise der Fall. Man darf Krombach nicht Mörder nennen, verurteilt ist er für "Vergewaltigung und schwerer Körperverletzung mit Todesfolge". Dass die Justiz so kompliziert ist, hat wie gesagt einen sehr guten Grund. Und dieser Fall geht ja auch noch über die Ländergrenzen hinweg. Zwei verschiedene Justizsysteme sind beteiligt, die zum Teil nicht kompatibel sind. Und da hat sich dann eben einer auf den Weg der Selbstjustiz begeben, der das nicht hinnehmen will - Kalinkas Vater André Bamberski.

Haben die Anwälte des deutschen Arztes Dr. Dieter Krombach, den Sie spielen, versucht, den Film zu verhindern?

Koch: Wir mussten schon sehr vorsichtig sein. Und bestimmte Dinge, bei denen man vermutet, dass sie so oder so gewesen sein könnten, dürfen wir nicht sagen, weil es juristisch nicht bewiesen ist. Krombach sitzt heute im Gefängnis und hat nochmal ein Gnadengesuch eingereicht, das abgewiesen worden ist. Nach wie vor behauptet er, dass er nicht schuldig sei.

Welche Rolle spielt es, dass Krombach Arzt war?

Koch: Eine große Rolle, denke ich. In den frühen 1980er Jahren waren Ärzte Respektspersonen wie Pfarrer, Priester oder Lehrer. Sie waren Götter in Weiß. Undenkbar für die Menschen in Lindau, dass sich so jemand an einem jungen Mädchen vergeht. Und was nicht sein darf, kann auch nicht sein. Insofern hat ihn diese Position sicherlich geschützt.

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