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"Schmerz ist auf jeden Fall ein Auslöser von Komik"

Tahnee gilt als aufgehender Stern der deutschen Humorszene. Bei "Binge Reloaded", Neuauflage der Kult-Satireshow "Switch Reloaded", spielt die furiose Entertainerin vom Niederrhein acht unterschiedliche Rollen, die sich über das TV der Gegenwart lustig machen.

Tahnee, bürgerlich Tahnee Schaffarczyk, wurde 1992 im mittlerweile bundesweit bekannten Heinsberg nahe der holländischen Grenze geboren. Ihr Aufwachsen in der engen Provinz sowie ihre sexuelle Orientierung machte die kämpferische Comedienne mit dem ungewöhnlichen Vornamen früh zum Inhalt ihrer Programme. Mittlerweile gilt Tahnee als eine der heißesten Newcomerinnen der Szene, was auch ihr Mitwirken im neuen Amazon-Programm "Binge Reloaded" beweist. Das Nachfolgeformat von "Switch Reloaded", der vielfach preisgekrönten Satire aufs deutsche TV-Programm, läuft ab Freitag, 4. Dezember, beim Streamingdienst an. In zunächst acht Folgen à 30 Minuten macht sich ein Komiker-Ensemble über das eigene Medium ziemlich schamlos und durchaus schmerzhaft lustig. Ein Interview über die Schwierigkeit, das heutige Fernsehen überhaupt noch zu parodieren und biografische Traumata, die sich in Comedy verwandeln lassen.

teleschau: "Switch Reloaded" lief das letzte Mal vor acht Jahren. Wie kam es nun zur Neuauflage?

Tahnee: Über die Hintergründe kann ich nichts sagen. Ich bekam die Anfrage und anschließend haben sich die Produzenten noch eine Show von mir live angesehen. In meinem Comedy-Programm parodiere ich auch sehr viel. Danach bekam ich eine Einladung zum Workshop und freute mich hinterher, dass es mit so vielen Rollen geklappt hat. Ich habe schon als Kind viel parodiert, und schrieb damals auch schon kleine Programme, ohne zu wissen, dass ich eines Tages selbst Komikerin werden würde.

teleschau: Sie sind 1992 geboren. Können Sie sich überhaupt noch an "Switch Reloaded" erinnern?

Tahnee: Na klar! Ich war auch Fan des Formats. Verkleiden und Imitieren - das war schon immer ein Teil von mir. Dass ich es jetzt mit professioneller Maske tun darf, in einer Show, die ich früher schon geliebt habe -, da geht dann tatsächlich ein Traum in Erfüllung. Dass es die Show acht Jahre nicht gab, finde ich schade. Sie hat defintiv gefehlt. Für mich ist "Switch" - oder nun "Binge" - eine tolle Art, der Fernsehbranche den Spiegel vorzuhalten. Und auch mal den ein oder anderen Denkzettel zu verpassen.

"Unerträgliche Streckung des dargebotenen Schwachsinns"

teleschau: Das Fernsehen hat sich seit "Switch" ziemlich verändert. Mit welchen neuen Trends muss "Binge Reloaded" zurechtkommen?

Tahnee: Dass es weniger Stars als früher gibt - zumindest weniger, die fast jeder kennt. Durch die riesige Bandbreite von Sendern, Streaming-Diensten und Programmen kann man deutlich weniger als früher voraussetzen, dass der Zuschauer alles kennt. Selbst Fachleute und TV-Junkies können heute unmöglich sämtliche neue Serien oder deren Personal kennen.

teleschau: Gibt es trotzdem TV-Trends, die Ihnen auffallen?

Tahnee: Der Trend zu Trash-Dating-Formaten ist momentan ziemlich ausgeprägt. Und er bietet sich natürlich wunderbar für Parodien an.

teleschau: Wenn man die Sketche sieht, denkt man zuweilen, dass schon die Originale ziemlich dicht an der Parodie dran sind. Ist es da nicht schwierig, da noch etwas an Überhöhung herauszuholen?

Tahnee: Manchmal besteht die Parodie einfach aus der unerträglichen Streckung des dargebotenen Schwachsinns. Indem man eine Show so redundant und dümmlich zeigt, wie sie über weite Strecken ist, funktioniert dann auch der Witz.

teleschau: Wegen der tollen Masken weiß man nicht immer gleich, welcher Künstler hinter welcher Figur steckt. Verraten Sie doch mal, wen Sie alles spielen ...

Tahnee: Ich spiele in dieser Staffel acht Figuren. Helene Fischer, Ruth Moschner, Carolin Kebekus, Batwoman, Stefanie Raab, jeweils eine Figur aus den Serien "The Handmaid's Tale" und "Haus des Geldes" sowie die Mutter der "Check 24"-Familie.

"Live-Shows sind der ultimative Adrenalin-Kick"

teleschau: Wurden die Rollen verteilt oder konnte man sie sich aussuchen?

Tahnee: So etwas geschieht im Austausch. Carolin Kebekus, Stefan Raab und Helene Fischer habe ich davor schon parodiert - und das entsprechend im Workshop angeboten. Bei anderen Rollen probiert man zusammen im Team aus - und kommt zu einem Ergebnis.

teleschau: Carolin Kebekus ist eine Kollegin von Ihnen. Ist es nicht komisch, eine Kollegin zu parodieren, die man danach ja auch immer mal trifft ...?

Tahnee: Es ist unter Comedians nicht selten, dass man sich einander parodiert. Wenn ich allein daran denke, wie viele Kollegen schon Mario Barth nachgemacht haben (lacht). Immer, wenn es etwas Extremes gibt, sogenannte "Signature"-Sachen, über die man jemanden sofort erkennt, wird das unter Parodisten natürlich ausgenutzt. Carolin hat eine enorme Stimmlichkeit, eine große Vehemenz, mit der sie Dinge sagt - und das macht mir natürlich total Freude bei der Parodie.

teleschau: Sagt man sich auch unter Comedians, wie man die Parodie der eigenen Person durch den anderen findet?

Tahnee: Na klar, Carolin kam mal zu mir und meinte, ihr Bruder hätte ihr meine Kebekus-Parodie vorgespielt. Sie dachte tatsächlich, das wäre eine alte Aufnahme von ihr gewesen. Ein tolleres Kompliment kann man einem Parodisten natürlich nicht machen.

teleschau: Sie arbeiten nicht nur im Studio wie bei "Binge Reloaded", sondern treten auch vor mehr als 10.000 Menschen in großen Comedy-Arenen auf. Wo fühlen Sie sich wohler?

Tahnee: Es sind zwei Dinge, die man nicht vergleichen kann. Live-Shows sind der ultimative Adrenalin-Kick. Wenn ich vor 14.000 Menschen auftrete, fährt mir eine Energie durch den Körper, die ich Tage später noch spüre. Es ist einfach der Wahnsinn. Das andere, also die Arbeit im Studio, ist dagegen wie Sezieren. Da macht man so viele Takes, bis Maske, Mimik, Gestik und das Timing der Sprache zu einhundert Prozent stimmen. Auch das ist tolles Arbeiten, aber der Reiz daran ein ganz anderer.

Im "Albtraumzuschauer" kann man sich schnell täuschen

teleschau: Selbst Comedians fühlen sich nicht jeden Tag stark. Gibt es Abend, an denen Sie sich am liebsten verkriechen würde, aber dennoch die Rampensau auf der Bühne geben müssen?

Tahnee: Das "Warum mache ich den Scheiß"-Gefühl kenne ich eigentlich nicht. Gerade, wenn ich mein eigenes Programm spiele, habe ich eigentlich immer Lust drauf. Da gibt es eine solide Grundanspannung vor jenem Moment, in dem man auf die Bühne geht. Die braucht man aber auch, weil man diese Spannung auf der Bühne weiter halten muss. Meine Nervosität, die ich früher hatte, verflog sofort mit dem ersten Schritt auf die Bühne. Eigentlich seltsam, es hätte doch umgekehrt sein müssen. Denn - wo noch nichts passiert, könnte man ja ganz entspannt sein. Dass mein System total runterfährt, wenn Action gefragt ist, zeigt, glaube ich, dass ich als Künstler auf der Bühne ganz gut aufgehoben bin.

teleschau: Gibt es dennoch Abende, an denen man merkt: Dieses Publikum erreiche ich heute nicht ...?

Tahnee: Es gibt Momente, in denen man erkennt, dass heute Abend nicht "Ekstase pur" stattfindet. Trotzdem hat man auch dann noch Chancen, das Programm so gestalten, wie an jedem anderen Abend auch. Trotzdem muss man wissen: Man kann alles geben, es genauso gut machen wie immer, aber das Miteinander mit dem Publikum ist doch immer anders. Jeder Abend in der Comedy ist totaler Reset. Das Publikum von heute weiß nicht, dass die Leute gestern bei den gleichen Sachen total ausgerastet sind. Das ist als Künstler erst mal irritierend, aber man gewöhnt sich an den Effekt.

teleschau: Haben Sie ein gutes Gespür, wie ein Abend wird oder - hinterher - wie er gewesen ist?

Tahnee: Ich denke ja, aber auch da kann man sich täuschen. Es gibt den berühmten Typen in der ersten Reihe, der den ganzen Abend kaum eine Miene verzieht und von dem man denkt - das war dein Albtraum-Zuschauer. Trotzdem muss man ihn während der Show immer wieder anschauen. Hinterher kommt dieselbe Person zu dir und sagt, wie fantastisch sie dich fand. Es ist verrückt, aber so etwas passiert nicht selten. Dieser Mensch sagt einem, dass er den besten Abend seit drei Jahren hatte. Ein ruhigeres Publikum heißt auch nicht, dass es weniger Anerkennung für den Künstler auf der Bühne hat.

"Tristes Dorfleben" und das "Outing" als Antrieb

teleschau: Wie früh wussten Sie, dass Sie Comedy zum Beruf machen wollen?

Tahnee: Dass ich auf der Bühne stehen will, wusste ich sehr früh. Ich hatte mit vier Jahren in meinem Dorf mit Kinderkarneval angefangen. Parallel bekam ich Ballettunterricht. Meine Lehrerin, eine sehr strenge Bulgarin, führte auch ein Musicaltheater in Heinsberg, da haben wir auch tatsächlich jedes Jahr ein Musical aufgeführt. Ich habe dort viel über Disziplin und Professionalität gelernt. Dinge, von denen ich heute noch zehre. Komik hat einen ernsten Unterbau, es ist harte Arbeit. Das Ganze leicht aussehen zu lassen, ist unser Job.

teleschau: Aber hätte es bei Ihnen auch ein "ernsterer" Job auf der Bühne werden können?

Tahnee: Ich habe schon die Rollen in den Musicals immer lustig angelegt - das ging schon früh in diese Richtung, aber es war mir damals noch nicht bewusst. Ich habe privat viel Comedy konsumiert, dachte aber, dass ich Musical studieren würde. An der "Universität der Künste" in Berlin, wo ich mich beworben hatte, bin ich dann aber nicht genommen worden. Fast zeitgleich, das war 2011, gab es ein Casting für den damals ersten "Comedy Grand Prix" bei RTL. Ich hatte mich online beworben und nie damit gerechnet, dass sich jemand meldet. Doch sie haben mich zum Casting eingeladen - und dann hat alles seinen Lauf genommen.

teleschau: Sie sprachen von Komik als ernstem Job. Viele Komiker erzählen, dass Schmerz oder Unglück Auslöser für ihre komödiantische Karriere waren. Bei Ihnen auch?

Tahnee: Schmerz ist auf jeden Fall ein Auslöser von Komik. Es gibt ja die Faustregel: Schmerz plus Zeit ergibt Komik. Bei mir waren das triste Dorfleben oder mein Outing, das nicht besonders lustig war, Erlebnisse, die ich in meinen Programmen verarbeitet habe. Ich glaube sogar, dass man sich nur wirklich gut über Dinge lustig machen kann, die einen zuvor tief gekränkt oder aufgeregt haben. Dinge, die man egal findet, berühren einen zu wenig, als dass dabei große Komik entstehen kann.

"Alles, was mit mangelnder Gleichheit zu tun hat, bringt mich in Rage"

teleschau: Sie haben das Aufwachsen in der Provinz und ihr Outing angesprochen. Gibt es andere "Schmerzen", an denen Sie sich immer wieder abarbeiten?

Tahnee: Alles, was mit mangelnder Gleichheit zu tun hat, bringt mich in Rage. Ob es nun um Sexismus, Rassismus oder Nationalismus geht - wenn ich zwei Stunden auf der Bühne stehe, habe ich keine Lust, auf diesen Feldern Kompromisse einzugehen. Da nutze ich meine Freiheit, zu sagen, was ich sagen möchte. Ich empfinde es als meine gesellschaftliche Verantwortung, mich dort zu positionieren. Wenn es Leuten nicht passt, sollen sie eine andere Show besuchen.

teleschau: Aber man kann sich leidenschaftlich aufregen und trotzdem lustig sein?

Tahnee: Ja, das funktioniert sogar sehr gut. Ich plädiere dann beispielsweise für ein Freiwilliges Deutsches Jahr, indem man sich nur von Sauerkraut und Wurstwasser ernährt - für die Leute, die eher so auf Abgrenzung zu allem Fremden hin tendieren. So eine Einstellung bringt mich auf die Palme - aber man kann wunderbar damit arbeiten.

teleschau: Viele Ihrer Nummern sind sehr persönlich, wie zum Beispiel die, in der Sie Ihr Outing vor der Familie verarbeiten. Wie geht Ihre Familie damit um, wenn Privates zum öffentlichen Comedy-Gut wird?

Tahnee: Die kennen mich ja schon eine Weile und wissen, wie ich drauf bin. Meine Familie ist stolz auf mich und kommt auch gerne zu den Live-Shows. Wenn sie nur einmal gekommen wären, hätte mir das vielleicht zu denken gegeben. Sie besuchen jedoch so viele Shows, wie es geht - das werte ich mal als gutes Zeichen (lacht).