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Wie SAP seine Kunden verärgert

Markus Grebe wollte vor zwei Jahren bei SAP eigentlich nur neue Software bestellen. Doch statt den Auftrag mit dem Konzern aus Walldorf zu verhandeln, bekam der IT-Chef einer landwirtschaftlichen Genossenschaft aus Nordrhein-Westfalen von SAP gleich eine andere Rechnung präsentiert – und zwar für die Nutzung der alten Software, die das Unternehmen längst bezahlt hatte.

„SAP gab an, uns fehlten dafür noch Lizenzen“, sagt Grebe – der in Wahrheit anders heißt und auf Anonymität Wert legt – im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. Nach langen Auseinandersetzungen mit dem Walldorfer Unternehmen blieb Grebe nichts anderes übrig, als „zusätzliche 200.000 Euro zu bezahlen“. Die Investitionen in neue Software waren da noch nicht mit eingerechnet. Für den Mittelständler mit rund zwei Milliarden Euro Jahresumsatz war das ein Schock.

Was wie ein Streit zwischen zwei Unternehmen klingt, hat sich unter SAP-Nutzern längst zu einer größeren Krise hochgeschaukelt. Denn das Walldorfer Unternehmen fordert derzeit weltweit Lizenzen für Altsoftware und strapaziert damit die Beziehung zu seinen treusten Kunden.

Der Grund: Vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Klienten allein an SAP als Software-Lieferanten anketteten. Inzwischen ist es Usus, auch IT-Lösungen anderer Anbieter wie etwa vom Cloud-Spezialisten Salesforce oder vom SAP-Erzrivalen Oracle einzusetzen.

Die verschiedenen Software-Systeme sind dabei über Schnittstellen miteinander verbunden, so wie man etwa auf Windows-Rechnern statt eines Microsoft-Browsers auch Alternativen wie Firefox oder Chrome nutzen kann. Wann immer aber SAP-Kunden mit Konkurrenz-Software auf Daten in ihren IT-Systemen zugreifen, die ursprünglich in einer SAP-Datenbank abgelegt wurden, will SAP nun Lizenzen von seinen Kunden wegen „indirekter Nutzung“ haben.

„SAP eiert beim Lizenzthema seit Jahren herum“

Bei dem Mittelständler aus dem Rheinland ging es konkret um die Anbindung von mehreren hundert Genossenschaftsmitgliedern in Deutschland an das SAP-Kernsystem in der Zentrale. Der einzige Fall ist die Erzeugergenossenschaft nicht. Beim Jahreskongress der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG), in der sich Kunden des Walldorfer Konzerns seit Jahrzehnten organisieren, war der Lizenzstreit sogar eines der Hauptthemen Ende September: „SAP eiert beim Lizenzthema der indirekten Nutzung seit Jahren herum“, sagte etwa Andeas Oczko, Vize-Chef der DSAG. „Wenn ich mit SAP-Software Daten erzeuge – wofür ich ja bereits bezahlt habe –, kann es nicht sein, dass ich für den Zugriff auf diese Daten aus anderen Anwendungen heraus erneut Geld bezahlen muss“, empörte sich Oczko.

Pikant für die Nutzer: Ein britisches Gericht hat SAP in einem solchen Lizenz-Verfahren im Februar dieses Jahres gegen den US-Getränkekonzern Diageo – bekannt durch Marken wie Johnny Walker, Smirnoff Wodka oder Guinness – recht gegeben. Diageo hatte mit Salesforce-Software auf SAP-Daten in seinen eigenen IT-Systemen zugegriffen. Nun drohen Diageo Schadensersatzzahlungen in Höhe von bis zu 54 Millionen Pfund. Die belgisch-amerikanische Brauereigruppe Inbev hat seither bereits Rückstellungen in Höhe von 564 Millionen Euro gebildet, um Risiken möglicher SAP-Klagen wegen indirekter Nutzung abzusichern.

Und auch die SAP-Partner, die eigene Erweiterungssoftware auf Grundlage der SAP-Lösungen programmieren, sind alarmiert. Sie fürchten, wenn sich die derzeitige Lizenzpraxis der Walldorfer durchsetzt, ganz aus dem Geschäft gedrängt zu werden. Denn dies würde Partner-Software für SAP-Kunden wegen zusätzlicher Lizenzgebühren verteuern. „Im Ergebnis wäre das in etwa so, als würde SAP Strafzölle auf die Produkte von Partnern erheben“, sagt Frank Bayer, Chef des Partnerverbandes International Association for SAP Partners (IA4SP) mit Sitz in Walldorf.


„Jede Nicht-SAP-Lösung wird noch teurer“

Den IT-Manager Grebe und seine Genossenschaft treibt die Rechtsunsicherheit trotz der Auseinandersetzung mit SAP sogar noch enger in dessen Umarmung: Für eine neue Kundenmanagement-Software hatte der IT-Chef ursprünglich mit Salesforce geliebäugelt, will nun aber doch das vergleichbare Produkt von SAP kaufen: „Denn jede Nicht-SAP-Lösung wird wegen der Kosten für indirekte Nutzung noch teurer für uns“, sagt Grebe.

Der amerikanische SAP-Partner Corevist – Anbieter einer E-Commerce-Lösung für Unternehmen –, will sich SAPs Gebaren nicht länger gefallen lassen. Vorstand Sam Bayer berichtet von mehreren Fällen, in denen SAP-Vertriebler gegenüber Kunden eine kostenlose indirekte Nutzung angeboten hätten – aber nur, wenn der Kunde das SAP-Produkt Hybris statt Konkurrenzlösungen einsetze. Bei Fremdlösungen wie der von Corevist seien dagegen teure Lizenzzuschläge für den indirekten Zugriff auf SAP-Daten erhoben worden. „Seit dem Diageo-Urteil beobachten wir und andere Drittanbieter, ob SAP-Vertriebsmitarbeiter möglicherweise gegen US-Kartellrecht verstoßen“, sagt Bayer.


Bayer hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Der Kartellrechtler Barak Richman, Juraprofessor an der Duke Universität in Durham im US-Bundesstaat North Carolina, sieht Bayers Verdacht bekräftigt: „Zum einen könnte SAP illegalerweise seine Unternehmenssoftware mit dem Zusatzprodukt Hybris gebündelt haben. Zum anderen könnte das Erheben von Lizenzen für Drittanbieter eine illegale Weigerung zum Handel mit anderen Anbietern von Drittlösungen darstellen“, schreibt er in seinem Gutachten, das der WirtschaftsWoche vorliegt. Auf Anfrage wollte SAP die Vorwürfe von Corevist und das Richman-Gutachten nicht kommentieren.

„Wahrscheinliche“ Verstöße gegen EU-Urheberrecht

Auch deutsche Juristen teilen die Sichtweise der Amerikaner: „Die derzeitigen Bestimmungen von SAP zur indirekten Nutzung verstoßen wahrscheinlich gegen das europäische Urheberrecht“, sagt etwa Michael Karger, Fachanwalt für Informationstechnologierecht von der Kanzlei TCI Rechtsanwälte. Er berät die DSAG. Zwar räume das Urheberrecht SAP gewisse Copyright-Rechte ein – aber setze auch Grenzen und Pflichten: „Der Grundgedanke im Software-Urheberrecht in der EU heißt Interoperabilität: Jeder hat das Recht, Software herzustellen – er muss diese aber über Schnittstellen gegenüber Drittanwendern öffnen, um Innovationen zu ermöglichen.“

Auch Malte Grützmacher, Experte für das Softwareurheberrecht und Partner bei der Anwaltskanzlei CMS Hasche Sigle sieht das ähnlich: „Laut der Computerprogramm-Richtlinie der EU sollen die Grundlagen der Schnittstellen lizenzfrei sein“, so Grützmacher.

Die Anwendervereinigung DSAG möchte weiteren Fällen wie der Genossenschaft aus Nordrhein-Westfalen vorbeugen: „Das Lesen kundeneigener SAP-Daten aus Fremdsystemen heraus und das Herstellen von Interoperabilität müssen kostenlos sein“, präzisiert DSAG-Vize Oczko die Forderung des Verbands. Angesichts des Entrüstungssturms von Kunden und Partnern hat SAP nun Besserung gelobt: „Bis zum Jahresende wollen wir eine Lösung präsentieren, die beiden Seiten gerecht wird“, versprach SAP-Vorstand Michael Kleinemeier den Nutzern. Ob das den vergrätzten Kunden reicht, wird sich dann zeigen müssen.