Söder zitiert Aiwanger wegen antisemitischen Flugblatts in Koalitionsausschuss
Wegen der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus der Schulzeit des bayerischen Wirtschaftsministers und Vizeregierungschefs Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für Dienstagvormittag eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses einberufen. Bayerns Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU) erklärte am Montag, es gehe "um das Ansehen Bayerns". Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte von der Landesregierung eine dringende Klärung der Vorwürfe.
Nach Ansicht des Bundeskanzlers müsse "alles umfassend und sofort aufgeklärt werden", sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner am Montag in Berlin. Es müsse "dann gegebenenfalls auch politische Konsequenzen" geben.
Der Grünen-Kofraktionschef im bayerischen Landtag, Ludwig Hartmann, forderte Aiwangers Rücktritt als stellvertretender Ministerpräsident. Als solcher sei er "nicht mehr tragbar", sagte Hartmann der "Welt". Er selbst würde "als Ministerpräsident keinen Stellvertreter akzeptieren, der solche Flugblätter bei sich hatte".
Die "Süddeutsche Zeitung" hatte am Wochenende über die Vorwürfe berichtet. Demnach steht Aiwanger im Verdacht, als Schüler ein antisemitisches Flugblatt verfasst und Kopien an seiner Schule ausgelegt zu haben. Es soll im Schuljahr 1987/88 in seinem Schulranzen gefunden worden sein. Aiwanger versicherte, er habe das Papier "nicht verfasst und erachte den Inhalt als ekelhaft und menschenverachtend". Aiwangers Bruder gab an, der Verfasser zu sein.
Der Mediengruppe Bayern erklärte Helmut Aiwanger nun, wie das Papier möglicherweise in die Schultasche des heutigen Freie-Wähler-Chefs gelangt sein könnte. "Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren", sagte er und kritisierte die Berichterstattung gleichzeitig als "Schmutzkampagne".
Bayerns Staatskanzleiminister Herrmann erklärte, es blieben viele Fragen offen. "Die Vorwürfe sind zu ernst, als dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident nur schriftlich äußert und entscheidende Fragen unbeantwortet lässt." Aiwanger müsse sich "über die schriftliche Stellungnahme hinaus persönlich und umfassend erklären".
Auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sagte der "Augsburger Allgemeinen" am Montag: "Es gibt noch Klärungsbedarf." Der SPD-Landesvorsitzende Florian von Brunn erklärte: "Unser Land und der Wirtschaftsstandort Bayern dürfen keinen Tag länger mit diesem menschenverachtenden Flugblatt in Zusammenhang gebracht werden."
Der Partei- und Fraktionschef der bayerischen FDP, Martin Hagen, bezeichnete Aiwanger in der "Welt" als "schwere Belastung für die Staatsregierung". Zur Frage, ob Aiwanger zurücktreten müsse, sagte Hagen der Zeitung: "Zunächst muss er reinen Tisch machen."
Politikerinnen und Politiker aus der Bundespolitik äußerten sich ebenfalls zu der Affäre. Der stellvertretende Unionsfraktionschef im Bundestag, Jens Spahn (CDU), sagte in der Sendung "Frühstart" der Sender RTL und ntv, dass sich Fragen an Aiwanger stellten. Diese müsse er beantworten. Nach der Aufklärung des Sachverhalts könne dieser beurteilt werden - "und nicht immer gleich verurteilen, und dann gucken, was war überhaupt".
Die Kochefin der Linkspartei, Janine Wissler, sagte dagegen in Berlin, ihre Partei halte Aiwanger als Minister für untragbar. "Söder sollte schnell Konsequenzen ziehen." Die Grünen-Kovorsitzende Ricarda Lang forderte im Fernsehsender Welt, Söder müsse sich äußern. Es gehe auch um die Verantwortung, Schaden vom Vertrauen in die Demokratie in Bayern abzuwenden.
Der Verband jüdischer Studenten Bayern teilte mit, Aiwanger müsse die "schwerwiegenden Anschuldigungen umfassend und transparent" klären. Das bisherige Verhalten bleibe "hinter einer Mauer von Intransparenz und Erinnerungslücken verborgen".
Die Vorwürfe treffen Aiwanger mitten im Wahlkampf. In Bayern wird in sechs Wochen am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt. Derzeit regiert Söders CSU dort gemeinsam mit den Freien Wählern in einer Zweierkoalition. Am Dienstagvormittag soll zunächst der Koalitionsausschuss zusammenkommen. Eine Sitzung des Landeskabinetts und eine Pressekonferenz sollen folgen.
smb/cfm