Romy Schneider und die Grenzen des Journalismus

Für Michael Jürgs bot sich eine einmalige Gelegenheit als „Stern“-Reporter. Im März 1981 durfte der damals 35-Jährige in den bretonischen Ferienort Quiberon reisen, um den Weltstar Romy Schneider zu interviewen. In dem Städtchen suchte die Leinwandikone für einige Zeit Erholung von zu viel Arbeit und falschen Männern.

Die durch zu viele Tabletten und Alkohol schon schwer angeschlagene Romy Schneider fasste den Entschluss, ihr negatives Bild in den deutschen Medien schonungslos korrigieren zu wollen. Deshalb ließ sie sich auf ein gnadenloses Interview mit dem späteren „Stern“-Chefredakteur Michael Jürgs im bunkerähnlichen Sofitel-Hotel an der bretonischen Küste ein.

Die Regisseurin Emily Atef hat aus der wahren Begebenheit ein spannendes Dokument über die Grenzen des Journalismus geschaffen. Mit empfindsamer Kamera und geschickt gesetztem Licht geht sie in ihrem in Schwarz-Weiß gedrehten Film „3 Tage in Quiberon“ der Frage nach, wie weit die freiwillige Ausbeutung einer psychisch labilen Prominenten überhaupt gehen darf.

Die wunderbare Marie Bäumer als Romy Schneider zeigt den ganzen Widerspruch zwischen der Bewältigung der eigenen Lebenskrise und den Wunsch nach medialer Gerechtigkeit. Der mit ihr befreundete Fotograf Robert Lebeck (Charly Hübner) fängt diese 72 Stunden an der französischen Atlantikküste in ungeschminkten Bilder im wahrsten Sinne des Wortes ein. Gedreht wurde der Film in die deutsch-französisch-österreichische Bretagne, auf der Insel Fehmarn und in Hamburg.

Michael Jürgs, dargestellt von Robert Gwisdek, wird in dem von ARD, Arte und ORF koproduzierten Film als Antagonist zu Schneider aufgebaut. In seinem Ehrgeiz nimmt er keine Rücksicht auf den Star. Konsequent legt er seinen Finger in die Wunden der kaputten Romy Schneider – bis zur Erbarmungslosigkeit. Mit seinem professionellen Einfallsreichtum entlockt er seiner auf einer Entziehungskur befindlichen Gesprächspartnerin sämtliche Details ihres zutiefst unglücklichen Lebens. Die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen.

Der Film wirft grundsätzliche Fragen über die Grenzen des Journalismus auf

Für Romy Schneider war 1981 ein dramatisches Jahr. Wenige Monate nach dem Interview reicht sie die Scheidung von ihrem Ehemann Daniel Biasini ein, im Sommer verunglückte ihr Sohn aus der Ehe mit dem deutschen Schauspieler Harry Meyen auf tragische Weise, im Herbst dreht sie ihren letzten Film „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“. Am 29. Mai 1982 wird die damals 43-Jährige tot in ihrer Pariser Wohnung aufgefunden.

Wie ein roter Faden durchzieht die knapp zweistündige Produktion die Frage: Darf Journalismus so etwas überhaupt? Grenzt ein derartiges Interview bereits an Menschenverachtung? Musst die Interviewte nicht vor dem Interview geschützt werden?

Erst am Ende löst Drehbuchautorin und Regisseurin Emily Atef die Frage auf. Michael Jürgs lässt Romy Schneider das abgetippte Interview über den Fotografen Robert Lebeck nach Paris bringen. Nach seinem Willen soll die Schauspielerin selbst entscheiden, ob das lange Gespräch im „Stern“ überhaupt erscheinen soll. Romy Schneider überfliegt den Text und gibt für die Veröffentlichung grünes Licht. Sie schreibt nur den Satz „Ich werde weiterleben, und richtig gut!“ auf die letzte Seite. Ehrlichkeit und Offenheit hatten gesiegt.

Heutzutage ist ein solches Interview unvorstellbar. Kein Star riskiert mit der ungeschminkten Wahrheit über sich selbst freiwillig einen Shitstorm in den sozialen Medien wie Facebook oder Twitter. Ohnehin würden Heerscharen von PR-Managern den Star bei jedem öffentlichen Wort bewachen, die Fotos unabhängig von der emotionalen Lage der Person inszenieren. Und am Ende, sollte das Gespräch wirklich kritische Punkte schonungslos beleuchten, auch dessen Veröffentlichung verhindern.

Genau das macht Interviews mit Prominenten heute so langweilig. Es handelt sich viel zu oft um bestellte Wahrheiten des Boulevards, die der Leser gedruckt oder digital nicht mehr abholen möchte.

Aus diesem Grund ist der Film „3 Tage in Quiberon“ ein sehenswertes Dokument einer untergegangenen journalistischen Epoche, die bisweilen von grenzwertiger Brutalität, aber dafür auch von unfassbarer Ehrlichkeit geprägt war.

Jede Woche schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.