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Reiches Land, arme Kinder: Teufelskreis Kinderarmut

Jedes fünfte Kind ist in Deutschland von Kinderarmut betroffen. Jährlich stockt der Staat seine Sozialausgaben auf, doch das Geld verliert sich im Dschungel der Bürokratie. Eine ZDFinfo-Doku begleitet betroffene Familien und Beamten im Kampf um geprellten Unterhalt.

Ihr Leben ist von Verzicht geprägt: Wenn zu Hause kein WLAN verfügbar ist und eine Klassenfahrt bis ins Detail durchkalkuliert werden muss, weiß jedes Kind, wie schlecht es um die Finanzen der Familie steht. Keine Einzelfälle: Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf, und die Corona-Krise macht die Situation keineswegs besser. Die informative und teils bestürzende ZDFinfo-Doku "Ausgegrenzt und abgehängt - Kinderarmut in Deutschland" (Freitag, 8. Januar, 20.15 Uhr, ZDFinfo und ab 7. Januar in der ZDFmediathek) von Manuela Christ und Sebastian Galle beleuchtet gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Aspekte des Problems und stellt die Frage: Versagt der Staat bei der Bekämpfung von Kinderarmut?

Fakt ist: Kinder aus finanziell nicht auf Rosen gebetteten Familien müssen mit Auswirkungen auf Psyche und Gesundheit leben. Sie kommen in der Doku zwar auch zu Wort, meistens sprechen jedoch Erwachsene, die als Elterteil betroffen sind oder der Kinderarmut den Kampf angesagt haben.

2,7 Millionen Kinder gelten in Deutschland als armutsgefährdet. Es gibt hierzulande 148 Arten der Familienförderung, welche sich der Staat 200 Milliarden Euro jährlich kosten lässt. Doch wie immer bei sozial-gesellschaftlichen Problemen sind die Zahlen das eine, die betroffenen Menschen das andere. Und die staatlichen Hilfen kommen aufgrund von Bürokratie-Hürden oft nicht an. Der Niedriglohnsektor tut laut Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, sein Übriges: Über die Hälfte der betroffenen Kinder lebt bei Erwerbstätigen.

Welcher Druck durch die finanzielle Situation auf den Eltern lastet, wird in dem Beitrag am Beispiel der alleinerziehenden Mutter Kathleen van Hümmel deutlich. Wenn es im Schwimmbad dann mal Familien-Ermäßigungen gibt, sind sie denjenigen vorbehalten, die das klassische Familienbild von Vater, Mutter und Kind leben. "Da gibt es keine 'Alleinerziehenden'-Tickets, die günstig und bezahlbar sind", erklärt die dreifache Mutter mit Tränen in den Augen.

Unterhaltspreller mit Lamborghini

Dabei identifiziert die Dokumentation einen entscheidenden Mitgrund für das Problem: sogenannte Unterhaltspreller, die durchaus in der Lage wären, die Kindererziehung Alleinerziehender finanziell zu unterstützen, sich aber dennoch darum drücken. Die Hälfte der alleinerziehenden Mütter sieht demnach keinen Cent. "Da gehört es dazu, dass nicht Vater Staat für den Unterhalt aufkommen soll, sondern wirklich der Vater", meint Carina Albert vom Jugendamt Landkreis Rhön-Grabfeld. Im Norden Bayerns geht man erfolgreich mit Klagen gegen Unterhaltspflichtverletzungen vor. Im Auftrag des Staats zieht auch Gerichtsvollzieher Ansgar Englert Rabeneltern zur Verantwortung - überwiegend handelt es sich um Männer, die falsche Angaben zu ihrer finanziellen Situation machen. In Extremfällen verpfändet Englert auch mal einen Lamborghini. Dass er im Dienst kein gern gesehener Gast ist, liegt in der Natur der Sache. Manchmal wird es sogar gefährlich: "Es ist wichtig, dass man schaut: Wo gibt es Fluchtwege", sagt er.

Des Weiteren räumt die Doku Erwachsenen Raum ein, die einst selbst unter Kinderarmut litten. Unter anderem dem heutigen Sternekoch Tim Raue, der im Berliner Stadtteil Kreuzberg aufwuchs und teils tagelang zu Hause nichts zu essen bekam. "Aufstieg ist immer möglich", ist die Einschätzung eines Mannes, der es aus dem Teufelskreis Armut herausgeschafft hat. Doch in diesem Fall bestätigen Ausnahmen wie er wohl eher die Regel. "Wer längere Zeit als Kind oder Jugendlicher unter Armutsbedingungen aufwächst, der wird im weiteren Lebensverlauf eben auch größere Schwierigkeiten haben", sagt etwa Dr. Holger Boinin vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Für viele sieht nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft düster aus: Meist wird Kinderarmut über Generationen weitervererbt.