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Als Bielefeld die Bayern überrollte

Als Bielefeld die Bayern überrollte

Kann Arminia Bielefeld am Montag bei Bayern München gewinnen? Eigentlich unvorstellbar. (Bundesliga: FC Bayern München - Arminia Bielefeld, ab 20.30 Uhr im LIVETICKER)

Hier der Klubweltmeister, der in einer Saison sechs Titel holte. Da der Aufsteiger, der auf Platz 16 stehend um den Klassenerhalt kämpft.

Nicht immer war die Schere so weit auseinander, aber von 17 Gastspielen in München hat Arminia nur eines gewonnen. Möglich gemacht hat das der Spezialist für Fußballwunder: Otto Rehhagel.

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Die Erinnerungen an den 10. März 1979 sind noch nicht ganz verblasst beim mittlerweile 82 Jahre alte Fußballlehrer, der mit seiner Erfahrung von 832 Spielen noch für lange Zeit Rekordtrainer der Bundesliga sein wird.

Vielleicht sogar für immer. Als SPORT1 ihn auf diesen kalten Tag im zugigen, fast leeren Münchner Olympiastadion anspricht, in das 11.000 Zuschauer gekommen waren, sagt er sofort: "Das war doch das Spiel, in dem der Norbert Eilenfeldt drei Tore geschossen hat!" Nicht ganz, es waren nur zwei - gleich die ersten beiden, die die Weichen auf Auswärtssieg stellten. Ein Sieg, mit dem niemand rechnete, auch wenn die Bayern damals so ihre Probleme haben.

Einer der unruhigsten Monate des FC Bayern

Denn der März 1979 ist einer der unruhigsten Monate in der Vereinsgeschichte von Bayern München.

Mit dem von der Mannschaft ersehnten Rauswurf von Trainer Gyula Lorant Ende 1978 sind die Querelen noch nicht beendet. Die Spieler setzen sich für den Verbleib seines Assistenten Pál Csernai ein, der nur auf Bewährung arbeitet. Denn der Präsident Wilhelm Neudecker neigt wieder mal zur Verpflichtung von Zampano Max Merkel, einem Sprücheklopfer, den die Spieler jener Epoche wegen seines Wiener Schmähs und seiner zuweilen rüden Methoden fürchten.

Allerdings hat er schon zwei bayerischen Klubs zu Meisterschaften verholfen: 1860 München (1966) und dem 1. FC Nürnberg (1968). In der Liga ist er bei seiner letzten Station auf Schalke 1976 am Widerstand der Spieler gescheitert, und auch die Bayern-Stars wollen keinen Peitschenschwinger, sondern lieber den zurückhaltenden Intellektuellen Csernai.

Csernai hat aber auch seine Ecken und Kanten und versucht, sich Autorität zu verschaffen. Er hat gerade mit einer Auswechslung den Abschied von Jahrhunderttorjäger Gerd Müller provoziert, der das Heimspiel gegen Arminia Bielefeld am 10. März im dicken Pelzmantel bereits auf der Tribüne verfolgt. So ist dieses Spiel unabhängig vom Verlauf ein historisches, denn es ist Spiel eins nach der 14-jährigen Müller-Ära. Den "Bomber der Nation" zieht es nach Amerika.

Rehhagel: "Die Bayern haben uns unterschätzt"

Auch Paul Breitner, der heimliche Kapitän, fehlt an diesem Tag erkrankt.

Rehhagel, der junge Arminen-Trainer, macht sich die Personalsituation der im Umbruch steckenden Bayern, die dreimal in Folge den europäischen Landesmeister-Pokal gewonnen haben (1974 bis 1976), zunutze. "Ich habe meinen Jungs gesagt: die Bayern ohne Beckenbauer, Müller, Breitner, Hoeneß - das ist eure Chance, die kriegen wir nie wieder."

Entsprechend heiß gehen die Arminen, in der Tabelle Zwölfter, in die Partie, die ihre erste nach sechswöchiger Pause ist. Der Winter 1978/79 hat für zahlreiche Ausfälle gesorgt, "und so war es für uns vor allem wichtig zu sehen, wo wir stehen", betont "König Otto".

Ein Gastspiel bei den Bayern als Standortbestimmung für einen Aufsteiger, in dessen Startelf acht Spieler stehen, die ihre erste Bundesligasaison spielen: darunter Torwart Uli Stein, der es mit dem HSV zum zweimaligen Meister bringen wird, und der spätere Bundesligatrainer Frank Pagelsdorf (HSV, Rostock). Noch sind sie Nobodys - und das mag ihnen zum Vorteil gereicht haben.

Rehhagel: "Die Bayern haben uns wohl etwas unterschätzt, dabei hatten wir eine gute Mannschaft. Das war so wie 2004 mit meinen Griechen, uns hat auch keiner was zugetraut und plötzlich waren wir Europameister."

Bayern kassieren herbe Klatsche

Die Arminen legen jedenfalls couragiert los und führen schon nach 23 Minuten mit 2:0 durch einen Doppelschlag des besagten Norbert Eilenfeldt. Die desolate Bayern-Abwehr um die letzten Weltmeister von 1974, Sepp Maier und "Katsche" Schwarzenbeck, wird von den schnellen Gästespitzen regelrecht durcheinandergewirbelt. Dabei hat Maiers Tag so gut begonnen, hat er doch das "goldene K" der Kicker-Leser für den beliebtesten Torhüter 1978 bekommen.

Von den Ostwestfalen bekommt er keine Geschenke, sie schenken ihm nur Tore ein. Nach 51 Minuten sorgt Volker Graul für das 0:3, Helmut Schröder schraubt das Ergebnis nach 68 Minuten auf 0:4 "und einen fünften Treffer verhinderte Maier nur durch einen entschlossenen 30-Meter-Spurt", vermeldet der Kicker, der zu dem Schluss kommt:

"Die Zeiten, da sich die Gegner des FC Bayern im Münchner Olympiastadion hinter Doppeldeckung verschanzten, gehören längst der Vergangenheit an. Dass vor der ehemaligen Weltklassemannschaft selbst Aufsteiger keine Angst mehr zu haben brauchen, wäre den Bielefeldern auch dann klar geworden, wenn es ihnen ihr Trainer Otto Rehhagel nicht eingebläut hätte."

Csernai diagnostiziert "grenzenlosen Leichtsinn"

Zu allem Bayern-Übel verletzt sich auch noch Jungnationalspieler Karl-Heinz Rummenigge, Csernai muss ihn nach 65 Minuten auswechseln. Aber da ist eh schon alles verloren. Es bleibt beim 0:4, für das Csernai diese Erklärung findet: "Wir haben die vier Tore der Arminen doch selbst vorbereitet." Er diagnostiziert "grenzenlosen Leichtsinn".

Fertig ist der bis heute höchste Sieg eines Aufsteigers bei den Bayern, auf den Rehhagel heute noch stolz ist: "Das war ein außergewöhnlicher Erfolg. Obwohl ich der Trainer bin, der am häufigsten bei den Bayern gewonnen hat." Fünfmal, um genau zu sein. Arminia aber hat seither nie mehr in München gewonnen, vielleicht weil sie sich allzu schnell von Rehhagel getrennt hat. Denn trotz des Sensationssiegs steigt sie am Saisonende noch ab.

Daran denkt am 10. März 1979 noch niemand. Auf der Pressekonferenz leitet Rehhagel sein Statement mit dem kecken Spruch ein: "Fußballgrüße aus Bielefeld." Dann gibt er die Parole aus, "Bielefeld auf Jahre hinaus in der Bundesliga etablieren" zu wollen. Das darf er nicht, umso besser wird es ihm ab 1981 für 14 Jahre mit Werder Bremen gelingen.

Das denkwürdige Spiel hat Folgen. Präsident Neudecker macht Csernai Vorwürfe, dass er das Team in der Halbzeit nicht zusammengefaltet hätte - und kontaktiert Max Merkel. In München bricht daraufhin die "März-Revolution" aus. Die Mannschaft verhindert Merkel, weshalb der Präsident zurücktritt, und marschiert unter Csernai noch auf Platz vier. Danach folgen nach langer Durststrecke wieder Titeljahre.

Arminia dagegen, nach dem Spiel bei 19:19 Punkten Neunter, steigt wider Erwarten ab. Aber mit einem Rekordsieg, der für die Ewigkeit gemacht scheint.