Aus dem realsatirischen Alltag des EU-Parlaments

Wie sieht es eigentlich hinter den Kulissen des EU-Parlaments aus? Satirisch nähert sich die neue Polit-Comedyserie "Parlament" dem Alltag der Abgeordneten in Brüssel. Mit dabei: Christiane Paul als resolute deutsche Politikerin.

Die EU und Brüssel gelten seit Jahren als Synonyme für eine nationenübegreifende Politik, die so manchem Einwohner der Europäischen Union überaus abstrakt erscheint. Dass das EU-Parlament und die angeschlossenen Institutionen nicht im Sinne und im Interesse der Europanormalbürger handeln würden, lautet daher ein gängiges Vorurteil, das EU-Gegner klug zu instrumentalisieren verstehen. Und es ist ja kaum von der Hand zu weisen: Wer weiß schon im Detail, welche Abgeordnete in Brüssel bisweilen über das Leben von über 500 Menschen in Europa debattieren und entscheiden? Jene Anonymität versucht die Polit-Comedyserie "Parlament" nun aufzubrechen. Als erste Eigenproduktion des ARD-Ablegers ONE widmet sich die europäische Koproduktion ab 6. Oktober (immer dienstags, ab 20.15 Uhr, in Doppelfolgen) mit satirischen Mitteln dem Alltag im EU-Parlament - unter anderem mit Christiane Paul in einer der Hauptrollen.

Paul spielt in der deutsch-französisch-belgischen Serie unter Regie von Émilie Noblet und Jérémie Sein die resolute Deutsche Ingeborg, die als eine der wenigen Mächtigen wirklich Veränderungen herbeiführen will. Eigentlicher Mittelpunkt des klug und bisweilen schonungslos inszenierten Formats ist allerdings der junge Samy (Xavier Lacaille), der direkt aus der Uni als Praktikant - und sogenannter parlamentarischer Assistent - ins kalte Wasser des EU-Parlaments geworfen wird. Und das in heiklen Zeiten: Inmitten des Austritts der Briten aus der Europäischen Union - in einer hübschen Anfangssequenz von den UK-Politikern exzessiv zelebriert - herrscht ohnehin heilloses Chaos auf den Fluren.

Sich dort zurechtzufinden, ist schon aufgrund der unterschiedlichen gesprochenen Sprachen nicht gerade einfach - auch für den Zuschauer nicht. Dennoch, oder wohl gerade deswegen und um des authentischen Erlebens willens, zeigt ONE die gesamte Serie in der mehrsprachigen Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Eine im hiesigen TV ebenso außergewöhnliche wie richtige Entscheidung, die erst kurz vor der Ausstrahlung fiel. Und so kommt es, dass auch die wie gewohnt fantastisch aufspielende Christiane Paul vor allem Englisch und Französisch spricht und dergestalt auch ihrem Zögling Samy seinen ersten großen Auftrag gibt: Den Entwurf eines Gesetzes gegen die Praktik des "Shark-Finnings" - das Abtrennen von Haifischflossen.

"Streitfragen spricht man im Parlament nicht an"

Doch Samy, dem der begabte französische Newcomer Lacaille das Image des nerdigen und unerfahrenen Akademikers par excellence verleiht, sieht sich mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Nicht nur scheint all das theoretisch Gelernte in der echten Politik kaum anwendbar, auch muss er erleben, wie sich der ihm zugeordnete Politiker Michel Specklin - so wie viele seiner Kollegen - jeder kleinsten Verantwortung durch Flucht zu entziehen versucht. Kurz: Sein seit Jahren im EU-Parlament sitzender Betreuer hat nicht den geringsten Schimmer, was er eigentlich aus welchem Grund tut ("Ich bin seit drei Jahren hier. Ich kann jetzt nicht nachfragen, wie das abläuft"). Statt sich jedoch davon demotivieren zu lassen, begibt sich Samy auf die Suche nach Hilfe - und lernt so langsam die unentdeckten Tiefen des Parlaments kennen.

So etwa die Kleidungsstile der verschiedenen Fraktionen ("Die Rechten tragen beige, khaki und braun"), trickreiche Arbeits- und Arbeitsvermeidungsweisen, das Vorgehen oberflächlich netter Lobbyisten, sexistische ältere Männer und Prügeleien zwischen spanischen und katalanischen Regionalisten. Porträtiert werden aber auch unterschiedlichste Abgeordneten-Archetypen - etwa der roboterhaft-bürokratische Vorsitzende des Fischerei-Ausschusses Eamon (William Nadylan) und die scheidende Britin Rose (Liz Kingsman), deren Abgeordnete online zur Anti-EU-Aktivistin radikalisiert wurde, die Samy gegenüber aber immerhin ebenso ehrlich ist ("Du bestichst mich, damit wir Freunde werden" - "Geht es nicht bei der EU genau darum?") wie Ingeborgs Assistent Torsten (Lucas Englander), der es auf den Punkt bringt: "Streitfragen spricht man im Parlament nicht an", Ach ja, und dann wäre da noch Samys schwedische Nazi-Freundin, die ihm großen Ärger einbringt.

Die internen Abläufe erscheinen zeigt "Parlament" in vielerlei Hinsicht so realsatirisch, dass die Vermutung naheliegt, hier werde an manchen Stellen gar nicht so sehr zugespitzt, als vielmehr die wahren Zustände der größten EU-Institution gezeigt. Ob Mauscheleien oder Mobbing, ob faule Abgeordnete oder sinnlose Sitzungen: Hier wird jedes Klischee bedient. Und doch gelingt es der zehnteiligen Serie, über Ironisierung ein Gefühl für die Parlamentarier zu erzeugen, für ihre zahllosen Ausschüsse und Gremien, für ihren langweiligen wie langwierigen Alltag und ihre gespaltene Leidenschaft für das Projekt Europa. Gewiss: "Parlament" macht sich über EU-Brüssel gehörig lustig, kritisiert seine behäbigen Instanzen und desinteressierten Politiker. Höchstwahrscheinlich zu Recht. Und doch bleibt es am Ende vor allem eine Liebeserklärung an eine unverstandene Institution.