Pro Sieben wird zum Dax-Wackelkandidaten

Aktionäre von Pro Sieben Sat 1 brauchen starke Nerven. Die Aktie des Medienkonzerns hat seit Jahresbeginn fast ein Drittel ihres Wertes verloren. Der unerwartet schnelle Abgang des langjährigen Vorstandschefs Thomas Ebeling wegen einer unbedachten Äußerung über die eigenen Zuschauer auf einer Telefonkonferenz mit Analysten sorgt für eine riesige Unsicherheit. Wer soll den Unterföhringer Konzern in eine bessere Zukunft führen?

Die Suche läuft in und außerhalb der Fernsehbranche bereits auf Hochtouren. Der Fernsehmanager Markus Tellenbach, einst Chef von Premiere (heute Sky Deutschland) und Vox, ist ein Kandidat. Der Schweizer ist ein Spezialist für die Wertsteigerung von börsennotierten Unternehmen. Für die Aktionäre des polnischen TV-Konzerns TVN und davor für jene der in Amsterdam ansässigen Fernsehgruppe SBS vergoldete er die Investments. Der 57-Jährige ist nach sieben Jahren als Vorstandschef des polnischen Privatsenders TVN in Warschau nach Zürich zurückgekehrt. Dort leitet er heute das kleine und innovative Unternehmen Virtually Live.

Und die Anleger des Dax-Konzerns? Sie erwarten mit Bangen den 5. Dezember. Denn an diesen Tag tritt die Index-Kommission zusammen. Dann wird sich entscheiden, ob Pro Sieben Sat 1 weiterhin dem Dax angehören wird. Die einst vom verstorbenen Medien-Tycoon Leo Kirch gegründete Sendergruppe ist der einzige Medienkonzern im deutschen Leitindex.

In der Medienallee im Münchner Vorort Unterföhring verbreitet man unterdessen Gelassenheit. Mit Blick auf Marktkapitalisierung und Liquidität schätzt die Chefetage die Gefahr, den Dax zu verlassen, momentan als unwahrscheinlich ein. Doch die potenziellen Tauschkandidaten wie der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen, der Finanzdienstleister Wirecard oder der Werkstoffhersteller Covestro warten nur darauf, auf die Überholspur zu gehen.

Sollte Pro Sieben trotz der offiziellen Zuversicht doch aus dem Dax fliegen, würde sich nach Meinung von Experten die Talfahrt der Aktie noch beschleunigen. Schließlich wären dann die Unterföhringer unter dem Radarschirm vieler internationaler Investoren. Das Interesse und die Handelsvolumina wären dann rückläufig.

Ein Rauswurf aus dem Dax wäre nicht nur bitter für Pro Sieben, sondern für die gesamte deutsche Medienbranche. Denn dann würde sie international noch weniger Aufmerksamkeit genießen. Ersatz für Pro Sieben Sat 1 ist nämlich nicht in Sicht. Auch wenn Axel Springer in der Marktkapitalisierung die Unterföhringer längst mit fast einer Milliarde Euro überholt hat, wird der Berliner „Bild“-Konzern nicht in den Dax aufrücken.


Muss der Konzern noch mehr abschreiben?

Dafür ist die Zahl der frei handelbaren Aktien zu gering. Friede Springer, Witwe des Konzerngründers Axel Cäsar Springer, hält die Mehrheit und denkt nicht daran, diese Verhältnisse zu ändern. Der schärfste Konkurrent von Pro Sieben Sat 1, die RTL Group, ist in Luxemburg notiert. Angesichts der Steuervorteile denkt der Mehrheitsgesellschafter Bertelsmann nicht im Traum daran, an diesen finanzstrategisch optimalen Konzernsitz für Europas größten Fernsehkonzern etwas zu ändern.

Womöglich warten auch noch andere Überraschungen auf die Anleger. In der Fernsehbranche waren zuletzt Spekulationen aufgetaucht, weitere Abschreibungen könnten die Aktie von Pro Sieben Sat 1 wieder auf Talfahrt schicken.

Kein anderer deutscher Fernsehkonzern hat mit Hollywood mehr Verträge als Pro Sieben. Die Sendergruppe hat mit Walt Disney, Warner Bros., NBC Universal, 21st Century Fox und Paramount sogenannte Output-Deals abgeschlossen. „US-Inhalte sind für unsere Sender nach wie vor wichtig – insbesondere Filme und Sitcoms laufen weiterhin gut. Gerade Filme sind im deutschsprachigen Raum ,Grundnahrungsmittel‘ für die Zuschauer“, beteuert eine Konzernsprecherin auf Anfrage.

Einen erhöhten Abschreibungsbedarf in der Zukunft sieht Pro Sieben auf die Film- und Fernsehrechte nicht. „Wir haben keinen unbekannten Abschreibungsbedarf, weil die Werthaltigkeit unseres Prorammvermögens in jedem Quartal in einem detaillierten Verfahren geprüft wird“, sagte eine Sprecherin. Im dritten Quartal hatte der Konzern 170 Millionen Euro an Programmvermögen abgeschrieben.

Der Konkurrent RTL Group aus Luxemburg schreibt nach eigenen Angaben bereits bei der ersten Ausstrahlung 67 Prozent ab und bei der zweiten Ausstrahlung den Rest. „Ich bin wirklich froh, dass wir keinen Riesenberg an Programmvermögen durch die Bücher schleppen müssen“, sagte RTL-Finanzvorstand Elmar Heggen zuletzt der „Börsen-Zeitung“.

Wirkt der Zauber von Thomas Ebeling noch? Einen Tag nach der Dax-Entscheidung lädt Pro Sieben Sat 1 Analysten und Finanzmanager zu seinem alljährlichen Capital Market Day. Denn wird der CEO zum letzten Mal zeigen können, ob seine Strategie für den Konzern mit einem Sammelsurium an Internetbeteiligungen, ungelösten Problemen wie dem Filmportal Maxdome und enttäuschenden Quoten in eine goldene Zukunft weist. Denn bereits im Februar kommenden Jahres sagt der intern umstrittene Chef in Unterföhring leise oder auch gar nicht leise Servus.

Immer montags schreibt Handelsblatt-Korrespondent und Buchautor Hans-Peter Siebenhaar seine Sicht auf die Kommunikationswelt auf.