Neues Parlament in Estland gewählt

Die Bürgerinnen und Bürger Estlands haben am Sonntag ein neues Parlament gewählt. Die Wahlberechtigten des 1,3 Millionen Einwohner zählenden EU- und Nato-Mitgliedslandes waren aufgerufen, die 101 Abgeordneten des Einkammer-Parlaments in Tallinn zu bestimmen. Als Favorit galt die politisch Mitte-Rechts stehende Reformpartei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas.

Die Wahllokale schlossen um 20.00 Uhr Ortszeit (19.00 Uhr MEZ). Nach Angaben der Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei 63,7 Prozent. Gut 47 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben ihre Stimmen per Briefwahl oder online ab. Ergebnisse wurden gegen Mitternacht erwartet.

Die Umfrage hatten einen Sieg der Reformpartei vorausgesagt. Die Rechtsaußen-Partei Ekre dürfte demnach voraussichtlich die zweitstärkste Kraft bleiben.

"Diejenigen, die nicht Ekre wählen, werden die Reform(partei) nicht loswerden", schrieb Ekre-Chef Martin Helme am Sonntag im Onlinenetzwerk Facebook. Der frühere Regierungschef Siim Kallas von der Reformpartei warnte auf derselben Plattform vor einem zersplitterten Ergebnis: "Je verworrener und gespaltener das Ergebnis ist, desto verworrener wird die Regierung sein, desto schwächer wird die regierende Koalition sein."

Geprägt wurde die Wahl vom Streit um die Militärhilfen für die Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasionstruppen. Kallas ist eine entschiedene Befürworterin der Waffenlieferungen, während sich Ekre gegen deren Fortsetzung ausgesprochen hat. Estlands Militärhilfe für die Ukraine entspricht derzeit mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Das ist mehr als bei jedem anderen Land gemessen an der Größe der Volkswirtschaft.

Estland und die anderen beiden Baltenstaaten Litauen und Lettland wurden 2004 sowohl Mitglied der Europäischen Union als auch der Nato. "Es ist offensichtlich, dass das, was in der Ukraine passiert, auch sehr wichtig für Estland ist", sagte der 35-jährige Ingenieur Juhan Ressar der Nachrichtenagentur AFP in einem Wahllokal der Hauptstadt Tallinn. Vielleicht hätten die Menschen "die Wichtigkeit von Unabhängigkeit vergessen", fuhr er fort.

Ein weiteres wichtiges Thema bei den Wahlen in dem baltischen Staat war der dramatische Anstieg der Lebenshaltungskosten. Die Inflationsrate betrug im Januar 18,6 Prozent.

Für den Rentner Pjotr Mahhonin vertritt einzig und allein Ekre "das estnische Volk". Der 62-Jährige warf der Ministerpräsidentin vor, sich "mehr für ein anderes Land" zu interessieren - er meinte die Ukraine. Wie viele Esten hat Mahhonin Angst vor einer Ausweitung des Krieges. "Wir haben einen großen Nachbarn, Russland, und es ist sehr gefährlich."

Den Umfragen zufolge konnte die traditionell bei der russischsprachigen Minderheit beliebte Zentrumspartei mit dem dritten Platz rechnen. Die Partei hat die Regierungslinie zur Ukraine und Russland unterstützt, was wohl einen Teil der  russischsprachigen Wähler abschreckte. So könnte es in dieser Bevölkerungsgruppe eine hohe Zahl von Nichtwählern gegeben haben. Die russischsprachige Minderheit macht in Estland etwa ein Viertel der Bevölkerung aus.

oer/dja