"Das ist Panikmache!" Dieter Hallervorden geht in ARD-Talk auf Karl Lauterbach los

"Herr Lauterbach, das geht so nicht": Der SPD-Gesundheitsexperte, nicht zum erstem Mal zu Gast bei "Hart aber fair", stand im ARD-Talk am Montagabend allein auf weiter Flur. Sogar Moderator Frank Plasberg stellte sich gegen ihn.

Der Sommer der gedämpften Pandemie-Entspannung neigt sich dem Ende zu, die Zahl der Corona-Infektionen steigt wieder, auch in Deutschland. Bei Todesopfern und Intensivpatienten bleiben die Zahlen allerdings niedrig. Vor diesem Hintergrund wollte Frank Plasberg am Montagabend im ARD-Talk "Hart aber fair" wissen: "Rechtfertigen rund 270 Menschen auf deutschen Intensivstationen im ganzen Land, dieses Land in einer Art Alarmzustand zu halten?" Mit dabei in der Diskussionsrunde: der allgegenwärtige SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Doch der Mahner, der seit dem Frühjahr einen wahren Talkshow- und Interviewmarathon abolviert, hat in der Öffentlichkeit inzwischen einen schweren Stand. Das wurde an diesem lebhaften Talk-Abend im Ersten mehr als deutlich.

Lauterbachs "Gegenspieler" waren in dieser Runde zahlreich und lautstark. "Ich bin für jede Vorsicht", erklärte etwa die "Welt"-Journalistin Susanne Gaschke. Auch sei sie sich über die Langzeitfolgen schwerer Krankheitsverläufe durchaus bewusst. Doch das Thema Einschränkung von Grundrechten sieht die 53-Jährige inzwischen kritisch: "Wir haben jetzt viele Monate die Alarmstimmung gemacht, auch sicher zu Recht, aber mit einem für meine Begriffe etwas zu volkspädagogischen Ansatz." Eine massive Einschränkung der Grundrechte "auf Vorrat" rechtfertige das derzeitige Infektionsgeschehen ihrer Meinung nach nicht.

Die FDP-Kommunalpolitikerin Karoline Preisler sieht das ähnlich: Dies seien keine "Lockerungsdiskussionsorgien", stellte die 49-Jährige klar, die über ihre eigene Covid-19-Erkrankung Videotagebuch geführt hatte und noch heute an Langzeitfolgen leidet. Doch politisch sei sie eben liberal. Eine Grundrechtseinschränkung, erklärte Preisler, bedürfe immer der Begründung. Sie betonte: "Ich glaube, dass der Besuch eines Theaters ein viel, viel sichereres Unterfangen ist als mit einem Schulbus 30 Kilometer weiter in eine Schule zu fahren."

"Herr Lauterbach, das geht so nicht"

Lauterbach bemühte an der Stelle die kühle Methodik der Epidemiologie. Selbst wenn man davon ausginge, dass das Wetter in den kommenden Wochen nicht schlechter würde, so hätte man mit dem derzeitigen R-Wert von 1,24 in fünf Wochen bereits 7.000 Corona-Fälle pro Tag. Er stellte klar: "Die Beschlüsse, die wir jetzt treffen, die treffen wir doch nicht, weil wir davon ausgehen, dass wir demnächst noch 200, 300 Leute auf der Intensivstation haben, sondern das werden viel mehr sein."

"Herr Lauterbach, das geht so nicht", entgegnete Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Seine Gegenrechnung: Selbst wenn der R-Wert unverändert bei 1,3 bliebe, was er als unwahrscheinlich ansieht, wären nur 25 Prozent der Betten auf den Intensivstationen belegt, "bei der gleichen Mobilität des Virus wie vor einem halben Jahr". Auch das Wetter-Argument ließ der Orthopäde und Unfallchirurg nicht gelten. Er fragte an Lauterbach gewandt: "Wenn es am Wetter läge, dann erklären Sie mir doch bitte: Warum kriegen Leute in Texas überhaupt Corona?"

Nun rang Lauterbach sichtlich um Fassung. Studien zeigten, dass derzeit in 73 Ländern weltweit die Infektionszahlen steigen. Über 90 Prozent der Übertragung ereigneten sich in Innenräumen. "Somit: schlechteres Wetter, mehr Leute drinnen, mehr Infektionen." Der Epidemiologe barsch: "Wenn man das im Fernsehen strittig stellt, dann haben wir keine Basis zum Diskutieren."

Karl Lauterbach, der Panikmacher? "Das ist ein unfairer Angriff!"

Nun schritt der Moderator ein: "Herr Lauterbach, Diskutieren sollte immer gegeben sein", rügte Plasberg die abqualifizierende Aussage. Der Kollege Gassen habe sich als praktizierender Arzt "mit Medizin beschäftigt", während Gaschke als Journalistin nicht nur recherchieren könne, sondern zudem Erfahrung als Politikerin habe. "Also kann man davon ausgehen, dass das Diskussionspartner sind, die auch was strittig stellen können." Gassen ging sogar noch weiter: "Was mich stört, ist diese vermeintlich absolute Wahrheit, die Sie verkünden". Kein deutscher Virologe hätte diese für sich reklamiert. Dass Lauterbach sie gefunden zu haben glaubt, sei "bemerkenswert". Plasberg sprang ihm zur Seite: "Herr Lauterbach, da hat er Recht!"

Es blieb ein ungemütlicher Talk-Abend für den SPD-Politiker. Auch weil er weiter mit Nachdruck vor einer schwierigen Infektionslage im Herbst warnte. Die Schulen seien miserabel vorbereitet, das gesamte Quarantänekonzept bedürfe der Überarbeitung: Man werde in wenigen Wochen "wahrscheinlich um die 7.000 Infektionen" haben, prophezeite er. Lautstarkes Stöhnen von der Seite: Der Komiker, Schauspieler und Theaterbetreiber Dieter Hallervorden erhielt das Wort: "Das sind ja keine Warnungen mehr, das ist Panikmache!", fuhr der 85-Jährige, der um den Fortbestand zweier Schauspielhäuser mit 70 Mitarbeitern kämpft, aus der Haut: "Ich kann es wirklich nicht mehr hören. Ich finde, damit hilft man den Leuten auch nicht. Man muss doch irgendwo eine Hoffnung haben, dass es besser wird." Lauterbach verstand die Welt nicht mehr: "Aber ich mache doch Vorschläge." - "Vorschläge für Verbote", ätzte Journalistin Gaschke. "Nein, das sind keine Verbote!", wehrte sich Lauterbach. Er schlage ja etwa den Einsatz mobiler Lüftungsanlagen in Schulen vor, "damit die Schule stattfinden kann".

Wie ungerecht er sich an diesem Abend behandelt fühlte, machte der Bundestagsabgeordnete noch mal wenig später deutlich, nachdem er den 85-Jährigen Hallervorden davor gewarnt hatte, eine Beatmungsmaschine im Ernstfall als "Verheißung" misszuverstehen: "Ich bin gegen jede Panikmache. Ich bin auch nicht bereit, eine Warnung, die auf Grundlage von Studien begründet werden kann, durchgehen zu lassen als Panikmache. Das ist ein unfairer Angriff."