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Online-Yoga, Krafttraining, Dehnen: Wie ihr eure Rückenschmerzen im Home Office bekämpfen könnt

Da ist es schon wieder. Seit drei Wochen zieht es im rechten Nackenbereich, jeden Morgen ein bisschen mehr. Die längste Zeit meines Berufslebens, in der ich ohne Rückenschmerzen auskam, nämlich drei bis vier Jahre, scheint sich dem Ende zu neigen. Ansonsten war immer was. Bandscheibenprobleme, Muskelverhärtungen, Schulter-Nackensyndrom, Tennisarm.

Ich weiß genau, woher es jetzt wieder kommt. Wir haben seit drei Wochen Handwerker. Statt meinen allmorgendlichen Trainingseinheiten auf der Matte mit Yoga, Kraftübungen und ausgiebigem Dehnen mache ich Frühstück für die Dachdecker, koche Kaffee für Statiker und Baugutachter, suche nach Batterien, Dreiersteckern oder anderem Material. Mein Home Office wird aufgrund eines Wasserschadens halb abgerissen, nun sitze ich also mit meinem Computer in einem Kabuff an einem viel zu niedrigen Behelfs-Tischchen und versuche zu arbeiten, auch wenn die Tischhöhe physiologisch ungünstig ist. Jetzt kommt dafür die Quittung.

Außerdem war ein Bildschirm am Laptop zu klein. Dank Black Friday blicken meine entspannten Augen nun auf den riesigen Retina-Bildschims meines nagelneuen iMacs. Meine Abstellkammer mit dem riesigen Computer zwischen den Wintermänteln ist die bizarrste Arbeitsumgebung, in der ich je gearbeitet habe. Zwar funktioniert der Drucker noch nicht perfekt, doch dafür können sich nun meine Nackenmuskeln entspannen. Vorher versuchte ich mit einer unbewussten permanenten Nickbewegung des Kopfes, die E-Mails und Texte in einer für mich zu kleinen Schrift auf meinem Laptop zu entziffern.

Home Office = kleine Bildschirme, zu niedrige Tische, schlechte Stühle

Wie mir geht es Millionen Menschen im Home Office, das einfach nicht perfekt ausgestattet ist für die Dauerbelastung. Zu kleine Bildschirme, zu niedrige oder hohe Tische, schlechte Stühle, ungünstige Lichtverhältnisse, zu wenig bewegte Pausen und Stress – all das kann zu Rückenproblemen führen. Die gute Nachricht: die allermeisten Beschwerden legen sich nach wenigen Tagen, oft mithilfe von Schmerztabletten oder -gels von ganz alleine. Nur manchmal muss der Gang zum Orthopäden sein.

Außerdem können wir viel selbst tun, um die Schmerzen aus dem Rücken zu bannen. Vor allem Bewegung hilft gegen Schmerz und beugt vor. Vor Corona ging ich zweimal pro Woche zum Zumba, und da tat mir rein gar nichts mehr weh. Zumba ist ein rasantes Fitness-Programm mit lateinamerikanischen und internationalen Tanzelementen, ein Training für alle Muskeln im Körper. Gute Laune und eine Portion karibische Energie gibt es bei der Trainerin Danelly Valero oben drauf.

„Grundspannung“ ruft Danelly und fordert ihre Eleven mit zwei Handbewegungen dazu auf, die Bauchmuskeln zu aktivieren und sich gerade aufzurichten. Die Teilnehmerinnen in einem Berliner Fitnessstudio recken ihre Köpfe, nehmen die Schultern nach hinten und nehmen die stolze Haltung von Flamencotänzerinnen ein. Körper wirbeln durch den Raum, gleiten wie von unsichtbarer Hand geführt im Rhythmus der Musik aneinander vorbei. Den Latino-Hit „Despacito“ kennen alle, und viele singen mit. „Durch das Training fällt es mir im Job leichter, mich gerade zu halten. Wenn ich mit geraden Rücken ins Meeting gehe und erhobenen Hauptes meine Argumente vorbringe, kommen keine unqualifizierten Kommentare“, so eine Teilnehmerin.

Was hier wie eine wilde Party anmutet, ist aus sportwissenschaftlicher Sicht eine besonders gute Kräftigung der großen Muskeln. Aber auch die tiefer liegende Muskulatur, die insbesondere Wirbelsäule stürzen, muss arbeiten.

Trend im Fitnessbereich geht hin zu Online-Kursen oder Outdoor-Sport

Nach Angaben des Robert Koch-Institutes (RKI) haben rund 61 Prozent der Deutschen in den vergangenen zwölf Monaten an Rückenschmerzen gelitten – chronisch sind sie bei rund 33 Prozent der Frauen und knapp 26 Prozent der Männer. Hinzu kommt das Übergewicht: Zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland sind laut RKI übergewichtig. Dass ein dicker Bauch Druck auf die feinen Strukturen der Wirbelgelenke ausübt, wird allerdings gerne ausgeblendet. 24 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage gehen auf das Konto von Muskel- und Skelett-Erkrankungen. Einen starken, schmerzfreien Torso vom Nacken bis zur Hüfte versprechen tausende Sportkurse. Yoga, Pilates, Training mit Eigengewicht, „High Intensity Interverval Training“ (HIIT )oder auch Zumba - die Moden zur Leibesertüchtigung des homo sedens wechseln sich ab.

Nach Angaben der US-Amerikanischen Gesellschaft für Sportmedizin geht der Trend im Fitnessbereich nach fast zwei Jahren Corona hin zu Online-Kursen oder Outdoor-Sport. Individuelles Training steht im Vordergrund. Dabei geht es darum, den jeweiligen Bewegungsspielraum des Körpers zu nutzen und ihn sukzessive zu erweitern. Das Dauerproblem ist nur: Millionen hochmotivierte Sportler starten zum Jahresanfang nach dem Motto: Stark anfangen und stark nachlassen. Spätestens Mitte März erschlaffen Sportgeist, Muskeln und Haltung. Ab April hat Deutschland wieder Rücken.

„Sport sollte Spaß machen, damit wir dabei bleiben und beim Training Stress abbauen können“ sagt Thomas Wessinghage, Orthopäde, Spitzensportler und langjähriger Chefarzt der Medical Park Kliniken in Bad Wiessee am Tegernsee. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Gesundheit und Sport. „Sitzen ist eine Dauerbelastung für den Rücken, jegliche Bewegung entlastet die feinen Bindegewebsstrukturen rund um die Wirbelsäule“, so der Arzt. Die Voraussetzung sei allerdings – es muss regelmäßig sein. „Mit einmal Yoga pro Woche kann man nichts erreichen“, so Wessinghage.

Jedes Kilo weniger entlastet Bandscheiben, Wirbelgelenke und Kreuzbein

Dreimal pro Woche 40 bis 50 Minuten Ausdauersport, ob Laufen, Radfahren, Schwimmen, Fußball oder Tanz, halten Stoffwechsel, Immunsystem und den gesamten Halteapparat fit. Für den Rücken ist Ausdauertraining auch deswegen vorteilhaft, weil man dadurch Gewicht verliert. Jedes verlorene Kilo entlastet die Bandscheiben, die kleinen Wirbelgelenke sowie das Kreuzbein. Ein trainierter Mensch bewegt sich aufrechter und flexibler, schon alleine, weil er ein gutes Körpergefühl hat. Zusätzlich empfiehlt Wessinghage drei mal zehn Minuten Krafttraining pro Woche.

Grund für das gute Körpergefühl, das Bewegung erzeugt, ist unter anderem, dass die Faszien, die Bindegewebsstrukturen, die Muskeln, Sehnen, Gelenke und Nerven miteinander verbinden, bei ausreichender Bewegung nicht verkleben. Regelmäßige Bewegung bedingt, dass die Faszien geschmeidig bleiben und Muskeln, Sehnen und Nerven frei aneinander vorbeigleiten können. Bewegt sich etwa die Wirbelsäule zu wenig, kommt es zu kleinsten Verklebungen. Da das Bindegewebe durchzogen ist mit Schmerzrezeptoren, entsteht durch die stockenden Bewegungsabläufe Schmerz.

Der Schmerzreiz stoppt den Muskel, denn unser Gehirn sendet das Signal dafür, automatisch den Bewegungsradius einzuengen. Das Ergebnis ist eine zunehmende Verkürzung der Sehnen und Bänder sowie eine Versteifung der Gelenke. Reicht die Muskelkraft nicht mehr aus, um die Wirbelsäule zu stützen, erschlafft der Körper. Die Schultern sacken nach innen, Kopf und Hals neigen sich, die Brust fällt zusammen. Statt Rückgrat zu zeigen, wandeln wir wie ein Fragezeichen durch die Gegend.

"Wenn der Schmerz kommt, hindert er uns meistens daran, uns zu bewegen, sagt Tanztrainerin Valero. Bald entsteht eine Schonhaltung und nach ein paar Wochen das Schmerzgedächtnis." Nun sei entscheidend, rasch den Kreis aus Schmerz, Bewegungsvermeidung, Schonhaltung und Schmerzgedächtnis zu durchbrechen. „Die Lendenwirbelsäule kann durch kleine, kreisende, sanfte Bewegungen gelockert werden. So lösen sich Verspannungen.

Zumba biete die Möglichkeit, sich mit Spaß zu bewegen. Man vergesse, wie anspruchsvoll das Training eigentlich sei, erklärt sie. „Beim Tanzen trainieren wir spielerisch Kondition, Koordination, Atmung und Gedächtnis. Wer das zweimal pro Wochen macht, bekommt erst gar keine Rückenschmerzen.“ Valero weiß, wovon sie spricht, denn ihre Teilnehmer sind fast ausnahmslos Berufstätige, viele in sitzenden Computer-Jobs in Führungspositionen. „Wenn sie tanzen, schalten sie einfach den Kopf mal für eine Stunde ab und powern sich aus.

Viele brauchen eher ein Programm, mit dem sie zur Ruhe kommen können

„Weniger nachdenken, mehr fühlen, und die Welt nicht nur mit dem Kopf erfassen“ ist auch ein Grundsatz von Melanie von Alberti. Die Berliner Yogalehrerin leitet die Schüler an, ihren Körper neu zu entdecken. Sie stellt Fragen wie: „Was brauche ich genau heute, hier und jetzt, nach einem stressigen Tag im Office oder einem Sommertag am Meer“, erklärt die ehemalige Turnerin, Osteopathin und Begründerin des Medical Yoga. Diese Yogaform sei „eine bewegte Meditation durch den Körper, um hinderliche Bewegungsformen aufzuspüren und durch neue, leichtere zu ersetzen.“

Bei ihren Übungen geht es nicht darum, sie „richtig gut“ zu machen. Es gibt kein „höher, schneller, weiter“. „Viele Teilnehmer stehen ständig unter Strom und haben einen Übertonus in ihren Muskeln, eine große Spannung. Sie brauchen nicht noch ein hartes Workout am Ende des Tages, sondern ein Programm, mit dem sie hormonell und muskulär zur Ruhe kommen können“, so von Alberti. Weniger Adrenalin, mehr Chillen.

Ständiger Stress aktiviert unseren Vagusnerv, der vom Gehirn quer durch den Körper verläuft und lebenswichtige Organfunktionen wie Atmen oder die Verdauung steuert. "Er gehört zum autonomen, nicht willentlich steuerbaren Teil des Nervensystems und wird auch als Ruhenerv bezeichnet", erklärt von Alberti. "Ist die Balance zwischen Anspannung und Entspannung außer Kontrolle, geraten lebenswichtige Vitalfunktionen durcheinander."

Auspowern, Stress abbauen, entspannen

Die Anspannung zieht bei dem einen in die Schulter und den Nacken, bei einem anderen ins Kreuz, wieder anderen geht es an die Nieren oder ans Herz, je nachdem, wo sich Körper und Seele ein Ventil suchen. Von Albertis Übungen sind eine Art Anleitung für angewandte Osteopathie auf der Yogamatte, bei der die inneren Organe ebenso aktiviert werden wie Muskeln, Bänder und Gelenke. „Der Körper und Seele fühlt sich danach leicht und unbeschwert an.“

Für welchen Cocktail an Sportdisziplinen für einen starken und entspannten Rücken sich jemand nun entscheidet, ob Tanzen, Laufen, Krafttraining, Yoga oder etwas anderes, da sind sich alle Experten einig, sei im Grunde genommen egal. Solange es Spaß macht und man sich ein paarmal die Woche auspowert, gleichzeitig für Stressabbau sowie Entspannung sorgt und den Körper flexibel hält.

Ich habe mich entschieden, trotz Handwerkern wieder meine Lieblings-Youtuberin Mady Morrison morgens zu mir ins Wohnzimmer zu bitten. Da werden zurzeit auch keine Abrissarbeiten vorgenommen. Ihr Kanal enthält Yoga-Übungen, Workouts, Dehneinheiten für Schulter und Nacken, Videos zur Stärkung des Rückens. Viele Männer schwören auf ihre Trainings-Videos und so kam ich vor ein paar Jahren durch den Tipp eines Radfahrers auf Mady und ihr Programm. Absolviere ich es jede Woche dreimal rund 50 Minuten, geht es mir gut. Vernachlässige ich das Training, bricht das System zusammen. So wie jetzt. Aber inzwischen weiß ich genau, was mein Rücken braucht – und dass ich nach einer Woche wieder schmerzfrei sein werde.