Wie sich Nicolas Winding Refn neu erfindet und sich doch treu bleibt!

“The Neon Demon” kreist um ein 16-jährigen Mädchen, das nach Los Angeles kommt, um als Model durchzustarten. Jesse (Elle Fanning) wird ihrer natürlichen Schönheit wegen in der Branche als großes Talent gehandelt, weckt aber auch Neid und Missgunst bei ihren Konkurrentinnen - mit fatalen Folgen Das ist das Neue an Refns neuem Werk. Der Regisseur, der in seinen früheren Filmen so effektvoll Männer ins Szene setzte, versucht sich nun an Frauen. ‘Eines Tages wachte ich auf und realisierte, dass ich von dominierenden Frauen umgeben bin’, sagt Refn einmal über die Genese von “The Neon Demon”. 'Ich fühlte den seltsamen Drang, einen Horrorfilm über das Böse der Schönheit zu machen.’

Während die Frauen im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, werden die Männer in “The Neon Demon” an den Rand gedrängt. Da gibt es einen jungen Mann, der sich in das junge Model verliebt; einen Fotograf, der sich wortlos auf seine Rolle als Fotograf beschränkt; einen Modeschöpfer der pseudo-philosophische Phrasen drescht ('Schönheit ist nicht alles, Schönheit ist das einzige’); einen zwielichtigen Motel-Besitzer, der von Keanu Reeves in Anlehnung an Anthony Perkins in Alfred Hitchcocks “Psycho” verkörpert wird. Von omnipotenten und tatkräftigen Helden wie dem Stuntman in “Drive” sind diese ohnmächtigen und asexuellen Männlein weit entfernt.

Gewalt spielt auch in “The Neon Demon” eine zentrale Rolle, nur wird sie hier nicht von Männern ausgeübt, sondern von hübschen, scheinbar zerbrechlichen Model-Grazien. Refn zeigt ehrgeizige junge Frauen, deren Hunger auf Erfolg und Ruhm er wörtlich nimmt. Seine Erkenntnis: In der Modebranche frisst man sich - im wahrsten Sinne des Wortes - gegenseitig auf.

Refns Status als Kult-Regisseur resultiert auch aus der Tatsache, dass seine Filme immer schön fotografiert sind. Seine Bilder sind kunstvoll arrangiert und die mal statische, mal bewegliche Kamera weidet sich genüsslich an Landschaften, schönen Menschen, Gesten und Gesichtern. Das brachte dem Regisseur nicht selten den Vorwurf ein, seine Filme würden zwar hübsch aussehen und klingen, enthielten aber hinter der Fassade kaum Substanz. Mit “The Neon Demon” nimmt Refn dieser Kritik die Spitze. Hier trifft eine stilisierte Ästhetik aus eleganten Bildern, kunstvollen Slow-Motion-Aufnahmen und wirkungsvoller Soundtrack auf eine dekadente, oberflächliche Welt. Geschickter Schachzug Refns.

Refns Filme leben auch von ihrer Musik. Wie schon in “Drive” und “Only God Forgives” hat Refns Stammkomponist Cliff Martinez auch den Score von “The Neon Demon” komponiert. Der Elektro-Sounds des US-Musikers, der auch einige Filme von Steven Soderbergh veredelt hat, sind eine kongeniale Ergänzung von Refn hochstilisierten Bildern. Kultverdächtig.

Wie Quentin Tarantino, Robert Rodriguez und David Lynch gehört auch Nicolas Winding Refn zur Riege postmoderner Spielfilm-Regisseure. Die Filme dieser Kinorebellen haben sich nicht zuletzt der Logik des Zitierens verschrieben, wobei sie sich selbstbewusst über die Grenzen zwischen hoher Kunst und Pupulärkultur hinwegsetzen und sich unterschiedlicher Kinogenres bedienen. Auch Refns Werk ist ein Sammelsurium aus Querverweisen auf Vorbilder und Idole. Vor allem das Kino des spanisch-mexikanischen Filmemachers Luis Buñuel hat es dem Dänen angetan. Dessen surrealistischer Klassiker “Ein andalusischer Hund” ist Dreh- und Angelpunkt seines Selbstverständnisses als subversiver und provozierender Filmemacher.

(Bilder: Koch Media)