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Was den neuen Chef erwartet

Von außen betrachtet könnte es Johan Lundgren in seinem neuen Job eigentlich ruhig angehen lassen. Der britische Billigflieger Easyjet, dessen Chef der 51-jährige Lundgren am 1. Dezember wird, hat ein gut funktionierendes Geschäftsmodell und solide Finanzen.

Acht Prozent mehr Einnahmen, sechs Prozent Umsatzrendite und ein ordentliches Nettovermögen: Davon können viele Unternehmen und fast alle Fluglinien derzeit nur träumen.

Doch der Job des gebürtigen Schweden wird aus mindestens vier Gründen keineswegs leicht. Schuld daran ist auch Air Berlin. Doch der Reihe nach:

1. Mehr Geld verdienen für Stelios

Das erste Problem sind Easyjets Geschäftszahlen. Mag die letzte Bilanz von Noch-Chefin Carolyn McCall im Vergleich zu Wettbewerbern gut sein, gemessen an den Ergebnissen der vergangenen Jahre läuft es eher mäßig. Zwar ist der Umsatz von Europas zweitgrößtem Billigflieger wieder gestiegen. Doch die Rendite hat sich gegenüber 2015 mehr als halbiert.

Das haben die Analysten bislang eher locker genommen und die Aktie noch mit "Kaufen" bewertet. Doch obwohl die Investmentbank Bernstein steigende Kurse aufgrund steigender Gewinne erwartet, die Rekordzahlen von 2015 wird Lundgren wohl erst 2020 wieder erreichen. Die Analysten der HSBC haben deshalb ihre Kurserwartung gekürzt.

Auf neue Rekordmargen zu warten dürfte zumindest einen Aktionär nerven: Stelios Haji-Ioannou, den wichtigsten Anteilseigner. Der Sohn eines griechisch-zypriotischen Reeders kontrolliert mit seiner Familie mehr als ein Drittel des Easyjet-Kapitals. Und er will traditionell vor allem eines: mehr Geld.

Dahinter steckt eher Not als Gier. Der schillernde Serienunternehmer braucht reichlich Bares für die anderen Unternehmungen seiner Gruppe wie die Easyhotels, die unterm Strich nicht sonderlich gut laufen.

Zwar war Stelios, wie ihn Unternehmen und Branche wegen seines nicht ganz einfachen Nachnamens nennen, zuletzt relativ zahm und hielt sich in der Öffentlichkeit mit Verbesserungsvorschlägen zurück. Doch die Erfahrung zeigt, dass der Investor bei Sitzungen der Aufsichtsgremien schnell weit weniger jovial agiert als gegenüber der Presse. Spätestens wenn der Brexit bei seinen anderen Beteiligungen Löcher reißt, dürfte er bei Easyjet höhere Gewinne oder zumindest höhere Dividenden fordern.


Wie meistert Easyjet den Brexit?

2. Die Last mit der Heimat

Lundgrens zweite Herausforderung sind die ungeklärten Fragen, die McCall vor ihrem Sprung an die Spitze des britischen Privatsenders Fernsehsenders ITV nicht mehr lösen konnte. Die Wichtigste: Wie meistert Easyjet den Brexit?

So gut es für die 56-jährige Adelige in den ersten sechs ihrer gut sieben Jahre bei Easyjet lief, spätestens seit Großbritannien die EU verlassen will, ist der Steigflug vorbei. Die Linie bietet als einzige aus Großbritannien in großem Stil Flüge auf dem europäischen Festland an. Die müsste sie nach einem Brexit einstellen. Mehr als ein Drittel ihres Umsatzes könnte verloren gehen.

Da völlig unklar ist, wann und unter welchen Umständen der Austritt kommt, konnte die scheidende Chefin auch keine umfassende Gegenstrategie entwickeln. Sie hat zwar einen Ableger in Österreich gegründet, der das kontinentale Easy-Fluggeschäft übernehmen soll. Wie genau das gehen soll und ob das reicht, steht in den Sternen.

Dazu konnte Easyjet nicht von der Pleite des britischen Ferienfliegers Monarch im Oktober profitieren. Anders als erwartet, konnte sich McCall nicht deren Startrechte an der Basis London-Gatwick kaufen. Nun muss sie sich mit Wettbewerbern darum bewerben – und wahrscheinlich die besten Flughafenzeiten anderen überlassen.

3. Der schwere Weg nach Deutschland

Das Problem mit dem Brexit hat McCall kurz vor ihrem Abgang sogar noch vergrößert, als sie einen Vertrag für rund ein Fünftel von Air Berlin unterschrieb. Das Angebot passte McCall zwar angesichts der Unsicherheit nicht in den Plan, ablehnen konnte sie es aber nicht.

Wie ihre Vorgänger hatte McCall zuvor viel davon geredet, dass sie im wichtigen Flugmarkt Deutschland expandieren will. Passiert ist – zumindest außerhalb von eher mittelwichtigen Airports wie Berlin-Schönefeld oder Dortmund – eher wenig. Im Gegenteil: Aus Düsseldorf und Köln ist Easyjet wieder abgezogen. In Hamburg ist die Linie ein Schatten ihrer selbst. Mangels lukrativer Startzeiten konnte die Linie nirgendwo ihr selbst gestecktes Ziel erreichen und die größte oder zumindest die zweitgrößte Linie werden.

Durch den Kauf von umgerechnet 25 Air-Berlin-Jets mit passender Besatzung sowie Landerechten in Berlin-Tegel, Düsseldorf oder auch Frankfurt und Hamburg kann das anders werden.

Einfach ist der Sprung nach Deutschland dennoch nicht. Zum einen ist die Integration der Air-Berlin-Reste mit ihrer eher behäbigen emotionalen Gewerkschafts-Kultur in die von schnellen Entscheidungen geprägten Easyjet-Welt eine Herausforderung. In Deutschland trifft die Linie zudem auf eine selbstbewusste und finanziell gestärkte Lufthansa. Einen solchen direkten Konflikt hat Easyjet bisher meist gescheut.

McCall-Nachfolger Lundgren muss sehen, wie er die deutschen Zukäufe einsetzt - und dabei weder zu viel Geld ausgibt noch die letzte Chance auf einen Gang nach Germanien verpasst.

Wie schwer den Briten die Entscheidung fiel, erlebten nicht zuletzt die Insolvenzverwalter von Air Berlin. "Die Verhandlungen waren alles andere als easy, denn wir waren nie ganz sicher, was die eigentlich wollten und ob das was sie heute zusagen auch morgen noch gilt", so ein Insider.


Lundgren steht zwischen den Stühlen

4. Kann Lundgren McCall?

Eine große Hürde für den neuen Easyjetchef dürfte am Ende werden, ob und wie gut er das Unternehmen prägt. Derzeit hat niemand in der Branche eine Ahnung, wofür der Schwede steht und was ihn zum Airline-Chef qualifiziert. "Wir haben keine Vorstellung und sind sehr gespannt", so die Analysten von Bernstein vorsichtig.

Lundgren steht er als ehemaliger Vize-Chef des britischen TUI-Ablegers TUI Travel ein wenig zwischen den Stühlen. Weder ist er ein klassischer Airliner mit einem Fokus auf Kostensenkung oder einem zuverlässigeren Flugbetrieb. Noch ist er ein klarer Flug-Außenseiter, der wie seine Vorgänger McCall und vor ihr Andy Harrison für Innovationen und ein Umdenken in Richtung Markenartikler stehen könnte. Lundgrens Karriere legt einen Fokus auf das Reisegeschäft und konventionelleres Denken nahe. "Und das ist für Easyjet angesichts der Herausforderungen nicht gerade das, was fehlt", so der Chef eines Wettbewerbers.

Darum hat ein mit dem Unternehmen vertrauter Manager Ende eine ganz andere Erwartung: Lundgren soll seine Vorgängerin gar nicht übertreffen, sondern Easyjet gerade nach dem Einbruch der vergangenen anderthalb Jahre solider aufstellen: "Wahrscheinlich soll er in dem komplexen paneuropäischen Konzern gerade etwas vergleichsweise Banales leisten wie seine Konglomerats-Erfahrung einbringen und die verschiedenen regionalen Kulturen zusammen führen."

In der Tat gibt es nach den schlagzeilenträchtigen Veränderungen durch McCall mit autonomen Wartungsdrohnen oder drahtlos gesteuerten Namensschilder bei der Crew auch reichlich unspektakuläre Arbeit.

Das Flugnetz muss ausgebaut, die bestehenden Airport-Brückenköpfe wollen verteidigt werden. Es geht darum, mehr zu sparen und die IT zu modernisieren.

Zudem müssen McCalls viele Ansätze umgesetzt werden. Allen voran das erste System, mit dem Reisende Verbindungen zweier Billigflieger kombinieren können. Bei der Plattform nach dem Vorbild von Webseiten wie Airbnb oder Booking.com bekommt Easyjet für Umsteiger vom europäischen Festland auf die Langstrecken von Norwegian oder der kanadischen Westjet über den Atlantik einige Prozent Vermittlungsgebühr. Die Linie verdient damit dem Vernehmen nach bereits nach wenigen Monaten gut eine Million Euro pro Monat – ohne das Risiko selbst fliegen zu müssen.

Das bedeutet freilich nicht, dass Lundgrens Job nur in Kärrnerarbeit besteht. "Wenn er das alles solide am Laufen hat, kann er sich ja immer noch eine neue Strategie ausdenken", so der Easyjet-Kenner.

KONTEXT

Europas größte Billigflieger

Sun Express

Stammland: Türkei

Größe der Flotte: 64 Flugzeuge

Umsatz: 1,1 Milliarden Euro

Stand (Größe der Flotte): Mai 2016

Quelle: CAPA, Unternehmensangaben

Transavia

Stammland: Niederlande

Größe der Flotte: 66 Flugzeuge

Umsatz: 1,1 Milliarden Euro

Pegasus

Stammland: Türkei

Größe der Flotte: 67 Flugzeuge

Umsatz: 1,1 Milliarden Euro

Wizz Air

Stammland: Ungarn

Größe der Flotte: 67 Flugzeuge

Umsatz: 1,4 Milliarden Euro

Eurowings

Stammland: Deutschland

Größe der Flotte: 89 Flugzeuge

Umsatz: 1,9 Milliarden Euro

Norwegian

Stammland: Norwegen

Größe der Flotte: 98 Flugzeuge

Umsatz: 2,4 Milliarden Euro

Vueling

Stammland: Spanien

Größe der Flotte: 105 Flugzeuge

Umsatz: 2,0 Milliarden Euro

TUI Group

Stammland: Deutschland/Großbritannien

Größe der Flotte: 108 Flugzeuge

Umsatz: k. A.

Easyjet

Stammland: Großbritannien

Größe der Flotte: 249 Flugzeuge

Umsatz: 6,3 Milliarden Euro

Ryanair

Stammland: Irland

Größe der Flotte: 351 Flugzeuge

Umsatz: 6,5 Milliarden Euro