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„Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“

Daniel M. sollte im Auftrag des Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) deutsche Steuerfahnder ausfindig machen. Schmeichelnd für den 54-Jährigen. Schließlich ginge es um die Nationale Sicherheit der Schweiz. Nun ist M. dafür in Frankfurt vor dem Oberlandesgericht angeklagt worden.

Dem ehemaligen Schweizer Polizisten wird vorgeworfen, geheimdienstliche Agententätigkeiten gegen die Bundesrepublik Deutschland verübt zu haben. Seit April sitzt M. in Untersuchungshaft in der JVA Mannheim.

Verteidiger Nummer drei – Thomas Koblenzer – eilt in den Verhandlungssaal. Robert Kain und Hannes Linke sind bereits anwesend. Auftritt Daniel M. Er trägt blaue Jeans, einen dunkelgrauen Pullover mit Reißverschluss und Stehkragen. Außerdem eine weiße Plastiktüte mit seinen Unterlagen.

Der Richter verliest die Verständigung, die am ersten Prozesstag ausgehandelt wurde. M. liest konzentriert mit. Er sieht blass aus, seine Augen wirken hinter der schwarzen, rechteckigen Lesebrille noch kleiner als am ersten Prozesstag. Der Kopf verschwindet beinahe zwischen den Schultern. Wenn Daniel M. ein glaubhaftes Geständnis abgibt und klare Angaben zum sogenannten Sudoku-Auftrag und dem Maulwurf in der Nordrhein-Westfälischen Finanzverwaltung macht, bekommt er eineinhalb bis zwei Jahre auf Bewährung, liest der Richter vor. Zudem muss er eine Bewährungsauflage in Höhe von 40.000 Euro erfüllen. Letzte Woche ging es noch um 50.000 Euro. Aber über den Betrag kann man verhandeln.

20 Prozesstage waren angesetzt, jetzt werden es wahrscheinlich vier. Schon am ersten wurde klar: Die Verteidigung drängt auf eine schnelle Einigung. Daniel M. soll zwischen Juli 2011 und Februar 2015 für den Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB) deutsche Steuerfahnder und die Finanzverwaltung in Nordrhein-Westfalen ausspioniert haben.

M. wurde aufgetragen Profile deutscher Steuerfahnder zu vervollständigen. Das wird vor Gericht als „Sudoku“ bezeichnet. Die Schweiz soll anhand dieser Profile deutsche Steuerfahnder ausfindig gemacht haben, die am Ankauf von Bankdaten beteiligt gewesen sein sollen. Nordrhein-Westfalen hatte in der Vergangenheit immer wieder Daten-CDs in der Schweiz gekauft, um Namen von möglichen Steuerbetrügern zu bekommen. Dadurch hat das Land 1,8 Milliarden Euro Steuernachzahlungen und Geldbußen eingenommen.

Verteidiger Kain ergreift das Wort: Ob man nicht aus der Bewährungsauflage von 40.000 Euro eine Kaution machen könne. Den Vertretern der Generalbundesanwaltschaft ist das egal. Der Haftbefehl würde sowieso erst nach der Urteilsverkündung fallengelassen werden. Daniel M. ist an der Reihe. Die Verteidigung verliest seine schriftliche Aussage.

Demnach habe M. auf einem Treffen mit seinen ehemaligen Polizeikollegen im Spätsommer 2012 zum ersten Mal Andi Burri vom NDB kennengelernt. Er sei sich nicht sicher, es könne auch 2010 gewesen sein. 2011 habe Burri ihn kontaktiert und gefragt, ob er helfen wolle, Steuerfahnder ausfindig zu machen. Daniel M. habe sich geschmeichelt gefühlt. „Der Polizist in mir hat sich geregt“.

Daniel M. ist Ex-Polizist. Er war erst bei der Stadtpolizei in Zürich, dann bei der Kriminalpolizei. Nach der Polizei war er bei der Schweizer Bank UBS im Bereich „Interner Ermittlungsdienst“ und „Konzernsicherheit“ tätig. Dann gründete er sein eigenes Unternehmen in der Schweiz, in dem er „investigative und beratende Sicherheitsleistungen“ anbot. Zudem war er als leitender Mitarbeiter in der Firma „KDM Sicherheitsconsulting“ ausgewiesen.

Den Chef von KDM, Klaus-Dieter Matschke, einen selbsternannten Sicherheitsexperten aus Frankfurt, habe er kontaktiert. Er sollte ihm dabei helfen die Sudoku-Liste zu vervollständigen. Matschke sei bewusst gewesen, dass sich hinter der Sudoku-Liste Profile von deutschen Steuerfahndern befanden. Matschke sagt zu. Die Profile seien leicht zu vervollständigen. Er fordert drei bis vier Wochen Zeit und 10.000 Euro. Das habe M. Burri mitgeteilt. Der sei einverstanden gewesen.


Der Maulwurf

Die Hände unter dem Tisch, den Oberkörper nach vorn gebeugt in Richtung Mikrofon, sagt M. er wisse nicht mehr, ob er Matschkes Namen vor Burri erwähnt hätte. Burri habe auch nicht danach gefragt. Wofür Burri die Profile in der Sudoku-Liste gebraucht habe, hätte er damals nicht gewusst. Burri habe es ihm nicht gesagt und er selbst habe auch nicht nachgefragt. Erst später habe er aus der Presse von den Festnahme-Befehlen erfahren.
Letztendlich flossen 9.800 Euro für das Vervollständigen der Sudoku-Liste. Burri gab das Geld an Daniel M., dieser gab es weiter an Matschke. Ob wirklich Matschke die Daten erhoben hat oder irgendwelche Dritten weiß M. nicht. Während der „Kennenlern“-Treffen mit Burri habe Daniel M. festgestellt, dass sie ähnliche Ansichten hätten. Besonders im Hinblick auf das Interesse an der „Informationsbeschaffung über deutsche Steuerfahnder“. Auch mit Matschke habe er solche Gespräche geführt – man würde „gerne mal Mäuschen spielen“.

Für regelmäßige Treffen mit Burri hat M. 3.000 Schweizer Franken als Aufwandsentschädigung pro Monat erhalten. Er hätte alle zwei Wochen, zuletzt wöchentlich sechs bis sieben Stunden zu Burri fahren müssen. Er sei ja auch noch berufstätig gewesen. Außerdem würde ein Kassierer in der Schweiz im Durchschnitt 4.000 Schweizer Franken pro Monat verdienen.

Was der Senat und die Vertreter der Generalbundesanwaltschaft eigentlich hören wollen, sind Angaben zum Maulwurf in der Finanzverwaltung NRW. Daniel M. soll eine männliche Person als Quelle eingeschleust haben. Bis heute ist die Identität dieser Quelle unklar. M. bestreitet inzwischen die Existenz eines solchen Maulwurfs. Weder habe er einen solchen installiert, noch es versucht. Er habe sich damit in der Schweiz wichtigmachen wollen.
In einer früheren E-Mail von Matschke an Daniel M. sei die Rede von „Interessanten Vorschlägen hinsichtlich des weiteren Vorgehens“ gewesen, sagt der Richter. Da könne er sich nicht mehr dran erinnern erwidert M. Es sei aber nicht um eine mögliche Quelle gegangen. „Worum dann“ fragt der Richter. M. sagt: „Das weiß ich nicht“.

Die Idee eines Maulwurfs sei erst bei einem der Treffen mit Burri aufgekommen. Der habe ihn gefragt, ob er einen Spion in der Finanzverwaltung in NRW einspeisen könne. „Die Steuer-Affäre in der Schweiz war riesig. Jeder hat darüber gesprochen.“, sagt M. Man hätte eine Art Frühwarnsystem haben wollen. Wissen wollen, wie Nordrhein-Westfalen an Informanten in Schweizer Banken käme, wie das Vorgehen ist und wer alles daran beteiligt ist.

Wie das hätte funktionieren sollen, fragt der Richter. Man hätte ja nicht einfach in die Finanzverwaltung in Wuppertal spazieren können und sagen: „Hallo, ich bin der neue Steuerfahnder“. Dazu könne Daniel M. keine Angaben machen. Burri habe ihm aber gesagt, es ginge um die „Nationale Sicherheit in der Schweiz“. Das erschien Daniel M. plausibel. „Patriotismus, Empörung, Abenteuerlust und bestimmt auch ein bisschen Gewinnstreben“, ließen M. nach eigenen Angaben zustimmen.

Er fragt Matschke, ob es möglich sei, einen Spion in die Finanzverwaltung NRW einzuspeisen. Matschke sagt: „Ja“. Laut M. habe Matschke nicht wissen wollen, wer der Auftraggeber war und er selbst habe auch nichts dergleichen erzählt. Nach ein paar Wochen hat sich Matschke gemeldet, er habe da jemanden. Dafür wolle er 10.000 Euro für sich und Daniel M. und 90.000 für die Erfüllung des Auftrages. „Ich war das Bindeglied zwischen Matschke und Burri. Mir war die ganze Zeit nicht wohl dabei.“, sagt M.

Burri willigt ein. Allerdings will er die 90.000 Euro in drei Tranchen zahlen. Jeweils 30.000 Euro in bar. Den Erhalt muss Daniel M. quittieren. Rechnungen werden nicht erstellt. Die ersten 30.000 Euro wurden von Matschke aufgeteilt. 5.000 Euro für M., 5.000 Euro für Matschke, die restlichen 20.000 Euro für weitere Informanten von Matschke. Wer das gewesen sei fragt der Richter. Daniel M. sagt: „Das weiß ich nicht“.


Gerichts-Plauderein

Mit den zweiten 30.000 Euro noch einmal dasselbe Spiel. Jetzt wollte Burri Ergebnisse sehen. Der Richter fragt, ob Matschke mal gesagt hätte, was für Resultate er habe? „Man hat keinen Businessplan von Matschke gefordert“ erwidert M. Matschke habe ihn immer wieder vertröstet. Er könne noch nichts sagen, weil noch nichts Konkretes vorläge, aber der Stein käme ins Rollen. Daniel M. selbst hätte angefangen zu zweifeln.

Ob er wisse, wo das Geld, das er an Matschke weitergegeben hat, gelandet ist fragt der Richter. Daniel M. sagt, dass wisse er nicht. Er glaube aber, dass es noch bei Matschke sei. Der Dialog zwischen dem Richter und Daniel M. wirkt mehr wie eine Unterhaltung, als ein Verhör. M. sitzt über den Tisch gebeugt, die Hände zusammengefaltet auf der Tischplatte. Burri habe dann den Kontakt abgebrochen. Seitdem hat Daniel M. ihn nicht mehr gesehen. Er selbst sei erleichtert gewesen, dass es vorbei war. Matschke aber sei erbost gewesen. Er hätte hohe Auslagen und die dritte Tranche sei noch nicht bezahlt worden.

Im Februar 2015 ist Daniel M. in der Schweiz verhaftet worden. Er wurde zusammen mit zwei anderen angeklagt und fürchtete, das „Bauernopfer“ zu sein. Er sei geschockt gewesen und habe Angst gehabt. Er wollte Hilfe vom NDB, schilderte dem Bundesanwalt Carlo Buletti den Sudoku-Fall, damit dieser den NDB kontaktiere. Buletti habe nur gesagt: „Das Gequatsche vom NDB bringt dir gar nichts“. Da habe M. nachgelegt und vom geplanten Spion in der Finanzverwaltung NRW erzählt.

Die Schweizer Behörden ließen Daniel M. wieder laufen. Daniel M. sagt: „Buletti ließ mich frei, weil er vom NDB bestätigt bekommen hat, dass ich für die gearbeitet habe“. Währenddessen ermittelte schon das Bundeskriminalamt. Kriminalkommissar Eaneas N. ist als einziger Zeuge geladen. Der 27-jährige war Ermittlungsführer im Fall Daniel M.

M. hat den rechten Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Sein Kopf liegt in der Handinnenfläche und die Finger verschließen den Mund. Die andere Hand ist unter dem Tisch. Der Kommissar sagt aus, dass es seit Ende des Jahres 2016 Telefonate zwischen M. und Matschke gegeben habe, die darauf schließen ließen, dass Daniel M. bald nach Deutschland kommen wolle. Im April habe man ihn dann in Frankfurt festgenommen.

Während der Ermittlungen habe das BKA keine Indizien zu einer möglichen Quelle in der Finanzverwaltung finden können, außer der eigenen Aussage von Daniel M. Bei der Vernehmung selbst habe er Protokoll geführt. Später im Auto hätte Daniel M. zu einem BKA-Kollegen gesagt, dass er den Namen der Quelle nicht nennen könne, weil alles über Matschke gelaufen sei. Was er deutlich gesagt hat ist, dass die ganze Aktion im Auftrag des NDB passiert ist.

In der nächsten Sitzung sollen die Plädoyers verlesen werden, sagt der Richter. Außerdem sollen die 40.000 Euro bezahlt sein. Daniel M. sagt heute, er bereue den Sudoku-Auftrag und die abenteuerliche Geschichte mit der Quelle in der Finanzverwaltung NRW. Sowas hätte ihm nie passieren dürfen. Er schäme sich und es sei ihm hochpeinlich. Er dachte, er hätte Gutes für die Schweiz tun können und bereut das falsch eingeschätzt zu haben.
Glaubwürdige Aussagen zum Sudoku-Fall und dem möglichen Maulwurf in der Finanzverwaltung NRW wollten Richter und Generalbundesanwaltschaft haben. Bekommen haben sie einen weiteren Akt im „Das weiß ich nicht“-Theater.