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Sex, Vietnam und Wahnsinn: Die Skandale der Berlinale

Shia LaBeouf wollte 2014 partout nicht mehr berühmt sein

Die Geschichte der Berlinale ist reich an Skandalen jeglicher Größenordnung. Die Aufreger waren jedoch nicht immer nur Mittel zum Zweck, sondern aus ihnen entstand häufig ein Diskurs, an dessen Ende eine Weiterentwicklung stand. Für den größten Skandal der Internationalen Filmfestspiele Berlin sorgte ausgerechnet ein Titel mit dem Namen "o.k." - der in den Augen vieler Betrachter allerdings alles andere als in Ordnung war.

Der Film des deutschen Regisseurs Michael Verhoeven war 1970 in den Wettbewerb eingeladen worden. Nach der Premiere forderte die Jury allerdings eine nochmalige Prüfung durch das Auswahlkomitee. Man habe Bedenken, ob der Film "die Verständigung zwischen den Völkern fördere", wie es die Statuten der Festspiele formulierten. "o.k." erzählt die wahre Geschichte der Vergewaltigung und Ermordung eines jungen Mädchens durch eine Gruppe amerikanischer GIs während des Vietnamkriegs.

Nachdem die Bedenken mancher Jury-Mitglieder publik wurden, entbrannte innerhalb der Festivalleitung und der Öffentlichkeit ein Streit über Zensurvorwürfe, viele Außenstehende solidarisierten sich mit Verhoeven und seinem Werk. Einige Pressekonferenzen später erklärte die Jury schließlich ihren Rücktritt. Der Wettbewerb war damit beendet, zum ersten und einzigen Mal in der Historie wurde kein Preis verliehen. Immerhin ging das Festival in der Folge gestärkt aus dem Skandal hervor: man fing die Kritiker wieder ein und öffnete das Programm für neue, experimentelle Filme.

Penis ab - Moralhüter entsetzt

Der Skandalfilm des Festivals 1976 hieß "Im Reich der Sinne" und entstammte dem japanischen Regisseur Nagisa Oshima - der Streifen wurde noch während der Premiere aus dem Projektionsraum des Kinos heraus von der Staatsanwaltschaft konfisziert. Die Geschichte handelt von einem einander sexuell verfallenem Paar, dessen Liebesspiel immer exzessivere Formen annimmt, bis sich der Mann schließlich von der Frau töten und kastrieren lässt. Deutlich zu harter Stoff für die deutschen Moralhüter. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte das Werk wegen "öffentliche Vorführung eines pornografischen Films" und stellte Strafanzeige gegen die Festivalleitung. Erst Monate später wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.

Schon wieder Vietnam

Schon im Vorfeld der Berlinale 1979 hatte es lautstarke Proteste aus der sowjetischen Ecke gegeben. Grund: Der Film "The Deer Hunter" ("Die durch die Hölle gehen") von Regisseur Michael Cimino - ein heftiger Antikriegsfilm mit Robert De Niro, Christopher Walker und John Savage, die als US-Soldaten während des Vietnamkriegs in Gefangenschaft geraten und als Wracks in ihre Heimat zurückkehren oder im Krieg verenden. In den Augen vieler Kritiker und sozialistischer Staaten wurde das vietnamesische Volk durch den Film beleidigt. Auch hier wurde auf die Statuten verwiesen, da der Film keineswegs zur Völkerverständigung beitrage.

Anders als neun Jahre zuvor knickten die Veranstalter diesmal nicht ein und verbaten sich eine Einmischung in die Programmgestaltung. Die sozialistischen Länder zogen daraufhin wie zu erwarten ihre Filme und Delegierten vom Festival zurück.

Morddrohungen gegen Jury

Auch die Preisverleihung 1986 blieb nicht von einem Eklat verschont. Heftige Diskussionen hatte es bereits im Vorfeld um die Wettbewerbsbeiträge "Heilt Hitler!" von Herbert Achternbusch und "Stammheim", über den Tod mehrerer angeklagter RAF-Angehöriger in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim, von Reinhard Hauff gegeben. Letzterer musste unter Polizeischutz vorgeführt werden, da es zuvor Morddrohungen gegen die Juroren gegeben hatte. Bei der Verleihung des Goldenen Bären distanzierte sich Jury-Präsidentin Gina Lollobrigida zudem öffentlich von der Auszeichnung des Films.

"Er ist unten. Und ich bin Spitze."

Deutlich launiger ging es in den 90ern zu, als vor allem die geladenen Protagonisten für diverse kleinere Skandale sorgten. Der finnische Regisseur Aki Kaurismäki betrank sich 1994 wohl aus Langeweile während einer Pressekonferenz. 1995 lästerte Schauspieler Robert Downey Jr., der damals noch mit Alkohol- und Drogenproblemen zu kämpfen hatte, offen über seinen Kollegen Hugh Grant. "Er ist unten. Und ich bin Spitze." Unfreiwillig für Aufregung sorgte im Jahr 2000 Leonardo DiCaprio, der gekommen war, um seinen Film "The Beach" vorzustellen. Eine Berliner Zeitung hatte ein "Kussgeld" auf den attraktiven Schauspieler ausgesetzt - 1.000 Mark sollten Frauen bekommen, die es schafften, ihn zu küssen und ein Foto zu machen. Dementsprechend hoch war der Kreischfaktor auf dem roten Teppich...

Heißer Sex sorgt für Zündstoff

2001 sorgte dann endlich wieder ein Film für Gesprächsstoff. Explizite Sexszenen im Film "Intimacy" erhitzten damals die Gemüter. Kritiker hatten den Film gar als pornografisch bezeichnet, die Jury ließ sich davon nicht beirren und zeichnete das Werk des Franzosen Patrice Chereau mit dem Goldenen Bären für das bestes Erotik-Drama aus. "Pornografie? Wo leben wir denn. Die Berlinale ist nicht der Vatikan", konterte der damalige Festivalchef Moritz de Hadeln die Kritiker aus.

Kalkulierter Wahnsinn

Angesichts der großen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen, die auf der Berlinale in den vergangenen Jahrzehnten ihren Lauf nahmen, ist Shia LaBeoufs verstörend-befremdlicher Auftritt auf dem roten Teppich im letzten Jahr nicht mehr als eine nette Anekdote. Der Schauspieler erschien im Smoking und mit Papiertüte auf dem Kopf, darauf stand geschrieben: "I am not famous anymore" ("Ich bin nicht mehr berühmt"). LaBeouf wollte damit seinen Protest gegen die Medien zum Ausdruck bringen. Bereits zuvor hatte er auf einer Pressekonferenz für fragende Gesichter gesorgt. Auf die erste Frage antwortete er: "Wenn die Möwen dem Schlepper folgen, tun sie das, weil sie glauben, dass Sardinen ins Meer geworfen werden. Vielen Dank", und verließ den Raum.