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«Leviathan»: Eine russische Tragödie meisterhaft erzählt

Kolja (Alexej Serebrjakow) ist der tragische Held in «Leviathan». Foto: Wild Bunch

Lange herrschte in Russland helle Aufregung um den Film «Leviathan», der auf internationalen Festivals Preise einheimste und in der Welt der Kinokritik für Furore sorgte.

Doch jetzt, da viele Russen das große Gesellschaftsdrama im Kino gesehen haben, scheinen auch die schärfsten Kritiker ihren Frieden gemacht zu haben mit dem Meisterwerk: Der Regisseur Andrej Swjaginzew erzählt mit spektakulären Naturaufnahmen aus der nordrussischen Küstenprovinz Murmansk die tragische Geschichte einer Familie, die in einem Konflikt mit einem korrupten Bürgermeister alles verliert.

Schonungsloser hat selten jemand den von vielen Russen so empfundenen Alltag himmelschreiender Ungerechtigkeit und die Hilflosigkeit der Bürger dargestellt. Der 50 Jahre alte Filmemacher greift brennende Themen des russischen Alltags wie Machtmissbrauch, Justizwillkür und eine unheilige Allianz zwischen Kirche und Staat auf.

Und er tut dies ganz klassisch wie oft bei russischen Geschichten, die ohne Happy End ausgehen. Der Filmtitel - Leviathan ist der Name eines mythologischen Seeungeheuers - soll den universellen Ansatz verdeutlichen. Erzählt wird die Geschichte vom «kleinen Menschen», der sich am System reibt und strauchelt.

Bei den Golden Globes in den USA wurde «Leviathan» zu Beginn des Jahres als bester ausländischer Kinofilm gekürt. Diese Ehre gab es für eine russische Arbeit zuletzt vor mehr als vier Jahrzehnten - 1969 für «Krieg und Frieden» von Sergej Bondartschuk.

Doch der Zuspruch im Westen verärgerte vor allem Patrioten in Russland. Sie warfen Swjaginzew vor, er ziehe sein Land in den Dreck, um im Westen zu glänzen und von «Russenfeinden» Trophäen zu erhalten. Dabei meinten sogar Bewohner des Drehortes Teriberka an der Barentssee, ihr Leben sei in Wahrheit noch viel schlimmer.

Kulturminister Wladimir Medinski mischte sich in die Debatte ein. Er bescheinigte Swjanginzew zwar Talent, das er auch in dem Film «Jelena» gezeigt habe. Der Politiker kritisierte aber, dass es «Leviathan» an positiven Helden fehle. Im Film wehe der «Geist der Ausweglosigkeit und Sinnlosigkeit unseres Daseins». Swjaginzews Arbeit fällt auch deshalb aus der Reihe, weil das Ministerium sonst eigentlich eher Projekte mit patriotischem Glanz fördert.

Davon gibt es nichts in dem Film. Tatsächlich haben viele Russen im Alltag, in dem oft das Recht des Stärkeren gilt, die Hoffnung auf Rechtstaatlichkeit längst verloren. Und Swjaginzew reizt dieses Thema mit einer Stimmung verhängnisvoller Melancholie bis an die Schmerzgrenze aus. Vor allem russisch-orthodoxe Christen sahen den Ruf der Kirche durch den Film beschmutzt. Sie ärgerten sich wohl besonders über die Szenen aus Gottesdiensten sowie den Auftritt eines Geistlichen, der im Stil eines Mafiapaten dem Bürgermeister zum Durchgreifen rät. Der Mann greift zur Waffe.

Auch von Russlands Kirchenführung kommt Kritik. «Der Film ist sehr pessimistisch», meinte der prominente Ideologe Wsewolod Tschaplin. Bedient würden Klischees von Wodkagelagen, einem gruseligen Staat und einer schaurigen Kirche. Kein Wunder, dass vor allem der Westen auf die Mythen über Russland anspringe, meint Tschaplin.

Nicht wenige meinten sogar, die Nominierung des Werks für den Oscar zeige doch am besten, dass «Leviathan» in Wahrheit ein neues antirussisches Auftragswerk des Westens sei. Als der Film dort kürzlich nicht den Auslands-Oscar gewann, war die Erleichterung bei Russlands Kirche und Patrioten fast mit den Händen greifbar.

Offenbar habe Swjaginzew nicht den Geschmack der US-Jury getroffen, ätzte Tschaplin. «Vielleicht hätte er einfach noch Bären, eingelegte Gurken und eine Balalaika hinzufügen und den Haupthelden schwul machen sollen», sagte Tschaplin. Beim russischen Publikum kam das Werk trotzdem gut an - nicht nur in den Kinos und bei der Kritik, sondern auch bei der Verleihung der nationalen Filmpreise.

Leviathan-Webseite

Swjagnizew im TV-Interview