Cannes-Sieger «Blau ist eine warme Farbe» auf DVD

Adèle (Adele Exarchopoulos) (l.) und Emma (Lea Seydoux). Foto: Alamode Film

Als «Blau ist eine warme Farbe» im letzten Jahr
beim Filmfestival Cannes die Goldene Palme gewann, blieben oft zwei
Schlagworte hängen: «lesbische Liebesgeschichte» und «exzessive
Sex-Szenen».

Doch Abdellatif Kechiches Drei-Stunden-Werk nach der
Graphic Novel von Julie Maroh handelt nicht nur von einer lesbischen
Liebe. Es erzählt vielmehr von Verlangen und Verrat, dem Erwachen der
Sexualität und dem Scheitern einer Beziehung - und das so behutsam
und unmittelbar, dass man sich nicht entziehen kann. Jetzt liegt dieser großartige Film auch auf DVD vor, als Bonusmaterial gibt es Interviews mit dem Regisseur und den Hauptdarstellern.

Adèle (Adèle Exarchopoulos) geht in die elfte Klasse. Sie ist eine
gute Schülerin, interessiert sich insbesondere für Literatur und will
später einmal Lehrerin werden. Mit ihren Eltern lebt sie in
kleinbürgerlichen Verhältnissen irgendwo außerhalb von Lille. Die
Eltern sind ihr zugewandt, freundlich, interessiert. Am liebsten
essen sie am Abend gemeinsam Spaghetti Bolognese, die Eltern trinken
Rotwein, der Fernseher läuft.

Adèle albert mit ihren Freundinnen herum, redet über Jungen und
macht mit dem netten Thomas ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Thomas
ist ein guter Typ, doch irgendetwas fehlt ihr. Nach kurzer Zeit
beendet sie die Beziehung. Nichts Ungewöhnliches für eine
Teenagerliebe.

Eines Tages begegnet sie auf der Straße einer jungen Frau mit
blauen Haaren, eng umschlungen mit einer anderen Frau, und es trifft
Adèle wie der Blitz. In einer Lesbenbar, in der sie halb unbewusst,
halb bewusst nach ihr sucht, trifft sie die Frau tatsächlich. Wenig
später schwirrt Emma (Léa Seydoux) wieder ab, nicht ohne vorher Adèle
nach dem Namen und der Schule gefragt zu haben, die sie besucht. Und
tatsächlich steht Emma wenig später lässig an eine Laterne gelehnt
vor der Schule.

Die beide verbringen in der zarten, doch kühlen Frühlingsluft
Nachmittage im Park, reden über Sartre, Bob Marley, die Malerei, das
Leben. Emma, sie ist Kunststudentin, malt Adèle. Zaghafte
Annäherungen. Und immer sind Regisseur Kechiche und sein Kameramann
Sofian el Fani ganz dicht daran - an Adèles sinnlichem Mund, ihren
neugierigen und doch irgendwie traurigen Augen. Die Kamera folgt
ihrem Blick, der Emma abtastet, ihr Gesicht, ihre Haut, wie er über
den Körper streicht wie ein Streicheln. Momente voller Intimität und
Verlangen, die elektrisieren.

Adèle stürzt sich in ein bodenloses Glück mit Emma, in exzessiven
Sex wie im Rausch. Die nach Close-ups süchtige Kamera verharrt auf
den Körperteilen, den Bewegungen des Sex - das ist in seiner Länge
und Explizität nicht für jeden auszuhalten. Und auch wenn dies fernab
von jeglicher Pornografie und Voyeurismus ist, muss sich Kechiche
immer wieder eben solche Vorwürfe gefallen lassen, ebenso wie die,
dass er männliche Fantasien befriedigt.

Für Adèle werden die Liebe zu Emma, der Sex und die Intimität
elementar, doch die Nähe schwindet im Laufe der zehn Jahre, die der
Film die beiden begleitet. Emma ist inzwischen auf dem Sprung, eine
große Malerin zu werden, bewegt sich in anderen Kreisen als die
Vorschulpädagogin Adèle, die ihren Job zwar liebt, aber vor allem
Emma. Emma, reicht das nicht. Nach einem Betrug, weil sich Adèle so
einsam fühlt, kommt es zur lautstarken und tränenreichen Trennung,
die kaum auszuhalten ist.

Überhaupt gibt es in dem Film viele schmerzende Momente: Etwa wenn
die Mitschülerinnen Adèle auf dem Schulhof unerbittlich zur Rede
stellen und sie als Lesbe beschimpfen - eine der wenigen Szenen, die
die Homosexualität überhaupt thematisiert. Oder als sich Emma und
Adèle einige Jahre später treffen und Emma Adèles Annäherung
liebevoll aber bestimmt zurückweist.

Der Film bietet viele Möglichkeiten der Deutungen und zur Kritik.
So widmet sich Kechiche vieler allzu plakativer Symbole, verharrt
auch mal zu lange auf Adèles mit Tomatensoße verschmiertem Mund. Und
doch ist «Blau ist eine warme Farbe» vor allem eine sehr intensive
Betrachtung der Liebe und wie sie in einer Beziehung irgendwann
erlischt - egal ob hetero- oder homosexuell.

Verleih