Cannes-Film «Carol» – Die Geschichte hinter dem Roman

Cate Blanchett (r.) in eienr Szene der Highsmith-Adaption 'Carol'. Foto: Cannes Film Festivak

Berlin/Cannes (dpa) – Patricia Highsmith ist noch nicht berühmt, als sie eine schicksalhafte Begegnung hat. Im Winter 1948 jobbt die junge Schriftstellerin in der Spielzeugabteilung des New Yorker Kaufhauses Bloomingdale's. Eine blonde Frau im Nerzmantel kauft dort eine Puppe. Highsmith sieht sie und ist ganz benommen, «wie knapp vor einer Ohnmacht», erinnert sie sich später. Danach erfindet sie die Liebesgeschichte zu «Carol».

Die Bücher von Patricia Highsmith (1921-1995) sind schon oft verfilmt worden. Alfred Hitchcock kaufte gleich ihren Erstling für «Zwei Fremde im Zug». Später folgten «Nur die Sonne war Zeuge» mit Alain Delon, Wim Wenders «Der amerikanische Freund» oder «Der talentierte Mr. Ripley» mit Matt Damon.

Nun ist das Kultbuch «Carol» an der Reihe. Premiere ist am (heutigen) Sonntag beim Festival in Cannes. Regie führt Todd Haynes. Cate Blanchett (45) spielt die Titelrolle der mondänen, verheirateten Frau, Rooney Mara (30) die junge Verkäuferin namens Therese. Nach «Blau ist eine warme Farbe», dem Gewinner von 2013, ist wieder ein lesbischer Stoff im Rennen um die Goldene Palme von Cannes dabei.

«Carol» ragt unter den literarischen Thrillern heraus, dem Markenzeichen von Highsmith, die damit stilprägend war, nicht nur für den Diogenes Verlag. Das Frühwerk ist vielleicht ihr persönlichstes Buch. Highsmith veröffentlichte es 1952 unter Pseudonym. Sie wollte nicht als Autorin lesbischer Bücher etikettiert werden.

Als Taschenbuch wurde es ein Bestseller. Unerhört war damals: Die Geschichte des Frauenpaares hat eine Art Happy End. «Bis zu diesem Buch mussten weibliche wie männliche Homosexuelle ihre Neigungen büßen, indem sie sich die Pulsadern aufschnitten, sich in einem Swimmingpool ertränkten oder indem sie zu heterosexuellen Beziehungen "überwechselten", wie man das damals nannte, oder allein, elend und gemieden, in qualvolle Depressionen fielen», schrieb Highsmith später in einem Nachwort. Sie bekam viel Post, von dankbaren Frauen wie Männern.

Die Zeiten waren prüde und homophob. Es waren die Jahre des Kommunistenjägers Joseph McCarthy, der Homosexuelle als Sicherheitsrisiko sah, wie Highsmith-Biograf Andrew Wilson erklärt.
Wilson recherchierte auch die Geschichte der «wahren Carol», die auf einem Bild an einen Filmstar erinnert. Kennengelernt haben sich die beiden Frauen wohl nie. Die Handlung des Romans, der Krimi- und Roadmovie-Elemente hat, ist ausgedacht. Carols Ehemann setzt darin im Streit um das Sorgerecht für die Tochter einen Detektiv auf das Paar an.

Highsmith bekannte sich erst mit der Diogenes-Neuauflage 1990, nach fast vier Jahrzehnten, die Autorin hinter dem Pseudonym «Claire Morgan» zu sein. Der Literaturwissenschaftler Paul Ingendaay fasst zusammen, was für ein Mensch Highsmith war, als der Roman entstand: «eine lesbische junge Frau, hochbegabt, besessen vom Schreiben, belagert von Depressionen und umspült vom Alkohol».

20 Jahre ist der Tod von Highsmith her. Viele Anekdoten ranken sich um sie: Etwa, dass sie in ihrer Handtasche Hunderte von ihren geliebten Schnecken samt Salatkopf ausführte. «Menschenscheu» sei Highsmith gewesen, sagt Ruth Geiger, Sprecherin des Diogenes Verlages, dem die Autorin eng verbunden war. «Sie war ein sehr, sehr zurückhaltender Mensch.» Gerade ist eine mehr als 1000 Seiten dicke neue Biografie erschienen. Sie trägt den Titel «Die talentierte Miss Highsmith» und beginnt mit dem Satz: «Sie war nicht nett».

Ihre mehr als 20 Romane und Kurzgeschichten werden schon lange besonders in Deutschland gefeiert. «Wahrscheinlich hätte ich niemals einen Kriminalroman geschrieben, wenn mir die Highsmith nicht ein Scheunentor aufgestoßen hätte» schrieb Ingrid Noll 1995 im «Spiegel»-Nachruf. «Sie hatte einfach ein wahnsinniges Talent», sagt Ruth Geiger vom Diogenes Verlag, der auch die Filmrechte hat. Zum Kinostart gibt es eine Neuauflage von «Carol», mit einem Filmmotiv auf dem Cover.

Diogenes zu Carol

Patricia Higshmith in der Filmdatenbank IMDB

Carol bei IMDB

Diogenes zu Highsmith-Filmen

Nachruf von Ingrid Noll