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Microsoft setzt auf Quantencomputer

Die Sonne traut sich nur zögerlich raus an diesem Montagmorgen. Dicke Wolken und leichte Regenschauer erinnern am Vorabend noch an die Katastrophe, die Hurrikan „Harvey“ vor wenigen Wochen in Florida angerichtet hatte. Aber Orlando ist glimpflich davongekommen, und für Microsoft hatte das Zittern ein Ende. Die Großveranstaltungen „Ignite“ und „Envision“ können wie geplant stattfinden. „Das war lange nicht klar“, gesteht ein sichtlich erleichterter Satya Nadella auf der Bühne vor tausenden Zuhörern ein. Der Microsoft-Chef hat auf den Veranstaltungen für Unternehmenskunden wichtige Neuigkeiten zu berichten.

Die großen Bettenburgen am International Drive sind belegt, rund 26.000 Teilnehmer strömen durch die weitläufigen Hallen und Konferenzräume des Orlando Convention Center. Sie durchqueren endlose Gänge und einen Frühstückssaal mit den Dimensionen eines Fußballplatzes, um die Keynote von Satya Nadella zu hören. Ein DJ heizt die Stimmung mit einem Mix aus indischer und westlicher Musik an. Auf vier je rund zehn Meter hohen und 20 Meter breiten Leinwänden werden die jüngsten Produkte und die Sponsoren gezeigt.

Die Stimmung ist gut. Nadella ist ihr Held. Microsoft und seine Partner waren in den vergangenen 20 Jahren die Prügelknaben der Techindustrie. Von einer „verlorenen Dekade“ unter Steve Ballmer war die Rede. Windows fiel auf den zweiten Platz der Betriebssysteme weltweit hinter Googles Android zurück, die Mobilstrategie endete nach dem Kauf von Nokia in einem Desaster. Die PC-Absätze, Grundpfeiler für den Absatz von Windows, fielen Quartal für Quartal.

Doch dann kam Nadella und stellte das gesamte Unternehmen auf den Kopf. Damit schuf er seit 2014 rund 250 Milliarden Dollar an Börsenwert. Es gibt keine weiter derartige Turn-Around-Story in dermaßen kurzer Zeit.
Den Verfall der PC-Verkäufe kann Nadella zwar nicht stoppen, aber Microsoft auf neue Beine stellen. Der Konzern ist keine Software-Firma mehr, sondern laut Nadella ein Anbieter von „Plattformen und Werkzeugen“. Zudem ist Microsoft wieder Mitglied in der Riege der Top-5-Techunternehmen. Das Unternehmen aus Redmond gilt als zweitgrößter Anbieter für Cloud-Infrastruktur nach Amazon und vor IBM oder Google. Der Einstieg in „Augmented Reality“, der digital angereicherten Wirklichkeit, erfolgte, bevor Apple auch nur Pläne präsentieren konnte.

Und Stillstand ist für Nadella keine Alternative. Er will das Momentum aufrechterhalten, auf dem Microsoft derzeit wieder als Innovationsweltmeister schwimmt. Nach der Demokratisierung der künstlichen Intelligenz verkündet er jetzt den Beginn in das Quanten-Computing für jedermann.

Noch 2017 werden Microsoft-Entwickler in der Lage sein, für „Quantencomputer“ zu programmieren. Es wird eine eigene Programmiersprache für diese weitgehend unbekannte Art des Computing geben und sie wird eingebettet sein in die Standard-Umgebung für Microsoft-Programmierer, „Visual Studio“, das hundertausende Programmierer beherrschen.


Einhörner der Tech-Branche

Quantencomputer sind seit Jahren die Einhörner der Technologie-Branche. Sie arbeiten nicht mehr mit Transistoren, sondern Quantengittern, die mehrere Zustände gleichzeitig annehmen können. Die Quantenphysik ist seit gut einhundert Jahren bekannt, aber in den vergangenen 20 Jahren wurden radikale Fortschritte in der Nutzung erzielt. Heutige digitale Rechner kennen die Zustände Null oder Eins, Quantenrechner können Null und Eins aber auch gleichzeitig annehmen. Das erhöht die mögliche Rechenleistung gewaltig.

Quantenrechner können, zumindest theoretisch, Aufgaben in Sekunden lösen, die heutige Rechner in Millionen von Jahren nicht abarbeiten können. Selbst die sicherste Datenverschlüsselung der Welt wäre in einem Augenzwinkern geknackt. Quantencomputer könnten Krankheiten wie Krebs heilbar machen oder die Klima- und Erdbebenforschung in ungeahnte Höhen katapultieren.

Nadella will jetzt das Henne-und-Ei-Problem dieser Zukunftstechnik lösen. Er erschafft eine neue Programmiersprache für einen Rechner, der praktisch derzeit nicht existiert. Nur in Forschungslaboren von Universitäten, bei Microsoft, Google, IBM oder D-Wave beispielsweise gibt es Prototypen, die heruntergekühlt auf minus 459 Grad Fahrenheit (minus 272 Grad Celsius) nahe am absoluten Temperaturminus arbeiten und noch unter Beweis stellen müssen, dass sie der aktuellen Technik wirklich dermaßen überlegen sind.

Doch Namen wie Google oder IBM lassen bei Nadella alle Alarmglocken läuten. Microsoft soll nach dem Willen von Nadella aus dem Stand bereit sein, wenn es solche Computer gibt – zum Beispiel hergestellt von Microsoft, wo einige der fähigsten Quantenspezialisten der Welt an einem eigenen Quantenrechner arbeiten. Dafür gibt es noch keinen Zeitplan. Doch bis dahin ermöglicht Nadella den Entwicklern in Softwarehäusern und Unternehmen auf einem „Quanten-Simulator“ in der hauseigenen Cloud „Azure“ zu arbeiten. 32 GB-Speicher braucht es, um ein „Qubit“ zu simulieren, die kleineste Recheneinheit. Bis zu 40 Qubits unterstützt der Simulator. Zum Vergleich: IBMs Quantenrechner arbeitet derzeit mit fünf Qubits.

Quantencomputer wären aus heutiger Sicht der ultimative Endpunkt der heißesten Wetten in der Technologiewelt: Künstliche Intelligenz, angereicherte beziehungsweise gemischte Realität (Augmented Reality) und Cloudcomputing basierend auf einem Quantenrechner mit unendlicher Geschwindigkeit. Eine Vorstellung, deren Umsetzung nicht weniger wäre als weltverändernd. Oder, wie Nadella in seinem neuen Buch „Hit Refresh“, das heute in den USA erscheint, schreibt: „Mixed Reality, künstliche Intelligenz und Quantencomputer scheinen heute getrennte Aufgaben zu sein. Aber sie werden zusammenkommen. Darauf wetten wir. Ein Technologieunternehmen, das Trends wie solche mehrmals verpasst, wird unvermeidbar scheitern.“