„Man muss nicht aus dem Silicon Valley kommen“

Die Drogeriekette dm, beliebte Einkaufsstätte von jungen Müttern, von schminkfreudigen Teenagern oder auch von ökologisch bewussten Käufern, überraschte ihre Kundschaft in diesem Jahr gehörig: Neben Windeln, Zahnpasta und Trockenshampoo entdeckte sie auf einmal auch Sex-Spielzeug der Marke Amorelie. Vibratoren, Massage-Kerzen, Liebeskugeln – das Familienunternehmen dm hat sich etwas getraut und das Thema Sexspielzeuge aus seiner Schmuddelecke und in den Mainstream des Einzelhandels geholt. Wieder einmal hatte die Drogeriekette dm einen innovativen Marketingansatz gewählt.

Das kommt bei den Konsumenten gut an. Sie haben die Drogeriekette zur „Marke des Jahres 2017“ gewählt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Yougov im Auftrag des Handelsblatts. Das Markenranking basiert auf der Wahrnehmung von vielen Tausend Konsumenten in Deutschland: Jeden Tag führt das Unternehmen im Rahmen des Markenmonitors „Brandindex“ Befragungen durch und ermittelt damit eine stabile Einschätzung der Marken.

In diesem Jahr teilten sich die Ergebnisse in 35 Kategorien auf – von Automobil bis zu Versicherungen gab es Platzierungen. Die Marktforscher erfassten für die Marken einen Indexwert, der zwischen minus 100 und plus 100 Punkten liegt.

Gesamtsieger dm erreichte 52,4 Punkte und lag damit deutlich vor seinem Konkurrenten Rossmann, der zehn Punkte weniger erlangte. Aber nicht nur die Gesamtmarke dm gewann, auch die hauseigene Pflegemarke Balea lag in der Kategorie „Pflege & Kosmetik“ auf Platz zwei hinter Nivea – einer Weltmarke, die über ein hohes Marketingbudget verfügt. In der Kategorie „Lebensmittel“ setzte sich „dm Bio“ als Erstplatzierter gegen Wettbewerber wie Dr. Oetker, Iglo und Wagner durch.

Die Marke dm verfüge über eine „stringent durchdeklinierte Markenphilosophie“, meint Simon Kluge, der bei Yougov Deutschland den „Brandindex“ verantwortet. „Nicht zu unterschätzen ist der dankbare Umstand, dass sie dafür steht, Verbrauchern das Leben zu verbessern, indem sie bessere Hygiene, gesunde Ernährung und ein sich Wohlfühlen im Alltagsdschungel ermöglicht“, meint er. Die Menschen würden dm als Marke nicht infrage stellen. „Und das Unternehmen bietet wenig Anlass für Kritik. Sie ist ein tolles Beispiel für zeitgemäße Markenführung.“

Schon früh hat dm beispielsweise auf Influencer Marketing gesetzt, dem Einbinden junger Social-Media-Stars ins Marketing. Deutschlands beliebteste Youtuberin Bibi alias Bianca Heinicke lancierte bei dm eine eigene Kosmetiklinie mit Duschschaum und Duschlotion. „Das war ein unglaublicher Erfolg“, sagte Christoph Werner, Sohn des Gründers Götz Werner und als Geschäftsführer verantwortlich für das Marketing der Kette, kürzlich gegenüber dem Handelsblatt. „Die Produkte waren gleich ausverkauft, es gab sogar Leute, die wollten die Papp-Aufsteller für hundert Euro kaufen.“

Auf den zweiten Platz im Gesamtranking gelangte der Haushaltsgerätehersteller Miele. „Wir haben Miele in den letzten zwölf Monaten neu in unser Markenperformance-Tracking aufgenommen und hatten ein sehr gutes Abschneiden erwartet. Dass es zum zweiten Platz im Gesamtranking gereicht hat, hat uns dann doch ein wenig überrascht“, erzählt Yougov-Manager Kluge. Miele ist seiner Ansicht nach wie ein „Felsen in der Brandung“, wenn es um das allgemein angekratzte Image von „made in Germany“ geht. „Miele kauft man nicht, weil man ein Produkt der Marke braucht, sondern weil man es sich leisten will“, sagt er.


Alle Kategorien und Platzierungen

Yougov und Handelsblatt haben zum vierten Mal die Marken des Jahres gekürt. Dabei zeigten sich erneut einige branchenübergreifende Trends. „Digitale Geschäftsmodelle und das Beherrschen von diesen sind und bleiben der Meta-Treiber fürs Marketing. Wer hier nicht gut ist und die Komplexität aller nutzbaren Kanäle nicht meistert, muss alles umkrempeln oder irrsinnig gut und relevant mit seinem Angebot sein“, erläutert der Studienverantwortliche Kluge.

Gerade unter den Einzelhändlern erwarte er deutliche Folgen in den kommenden Monaten. „Die Zeiten, in denen man mit einer Garagenfirma Weltkonzerne überrumpeln kann, sind anscheinend vorbei. Wer seine IT-Prozesse beherrscht und sich nicht in internem Hierarchiedenken verzettelt, kann sich auf neue digitale Geschäftsmodelle von Angreifern viel schneller einstellen als früher.“

Einer der Händler, die den Yougov-Marktforschern in diesem Jahr aufgefallen sind, ist Engelbert Strauss in der Kategorie „Modehändler“, Anbieter von Berufskleidung. Das Unternehmen setzte sich vor Deichmann und C & A an die Spitze der Rubrik. Die Marktforscher rieben sich verwundert die Augen: „Wir haben uns tatsächlich einen Moment lang gefragt, ob wir sie ausweisen sollen, da ihre Herkunft die Berufsbekleidung ist“, meint Kluge. „Man sieht aber immer häufiger Leute, die diese Kleidung mit dem leicht wiederzuerkennenden Logo tragen. Die Grenzen zu Outdoor- und bequemer Freizeitmode sind hier fließend.“

Ebenfalls deutlich nach oben gewandert sind die Imagewerte der Deutschen Bahn, mit einer Punkteveränderung von 6,1 Prozent zum Vorjahreswert die stärkste Aufsteigermarke des Jahres. Das Unternehmen, das jedes Jahr Millionen von Reisenden in Deutschland befördert, bekommt im „Brand-Index“ gute Werte. „Die Bahn steht zunächst einmal vor der immensen Herausforderung, die Komplexität ihrer Leistung Verbrauchern klarzumachen“, meint Kluge. „Als Marke ist sie seit längerem auf einem guten Weg, vor allem seit März 2017 hat sie noch einmal spürbar zulegen können.“

Der Yougov-Marktforscher nennt als Gründe Investitionen in neue Hochgeschwindigkeitstrassen, neue Züge, modernere Bahnhöfe und vor allem kostenlose WLAN-Angebote. „Es tut sich was bei der Bahn, das merken nun verstärkt auch ihre Kunden“, sagt Kluge. „Es gibt aber noch weitere Luft nach oben.“

Doch nicht nur die Bahn hat kräftig zugelegt. Mit den Marken Pinterest, Netflix, Amazon Instant Video und Youtube haben sich vor allem die Anbieter der neuen Medienwelt gesteigert. „Hier spielt neben guter Markenführung vor allem relevanter Content und die starke Medienfixiertheit unserer heutigen Gesellschaft eine Rolle“, erklärt Kluge dieses Phänomen. „Jede dieser vier Marken bietet Zugang zu einem innovativen und modernen Leben, die Zugewinne in unseren Ergebnissen spiegeln den Siegeszug des Digitalen im Alltag wider. Alles andere ist doch gefühlt irgendwie oldschool.“

Deutsche Unternehmen wissen um die Stärken solcher Marken. Yougov-Manager Kluge ist sich aber sicher: „Man muss nicht aus dem Silicon Valley kommen, um das hinzukriegen.“ Die eigentliche Herausforderung bestünde darin, den Konkurrenten immer „einen Schritt voraus zu sein“. Egal, ob im Silicon Valley oder in Deutschland.