Ludger Wößmann: Wir müssen die Schulen schnell digitalisieren

Herr Wößmann, in einer neuen Studie zeigen Sie: Die Bevölkerung sieht die Politik beim Thema Bildung in der Pflicht. Vier von fünf Deutschen wollen, dass der Bund alle Schulen mit schnellem Internet und Computern ausrüstet.
Ludger Wößmann: Hier ist zunächst einmal die Zuständigkeit ein Problem: Bildung ist laut Grundgesetz Ländersache. Aber es gibt ja schon Initiativen: Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat ein großes Digitalprogramm aufgelegt...

...fünf Milliarden Euro, um die Schulen digital auszustatten.
Das ist schon eine Hausnummer, wenn man bedenkt, dass der Staat insgesamt pro Jahr rund 60 Milliarden Euro für die Schulen ausgibt. Nur ist es fast ein Jahr her, dass sie das angekündigt hat. Sie hat sich immer noch nicht mit den Bundesländern geeinigt, wie das überhaupt vonstattengehen soll. Es ist auch noch gar nicht im Bundeshaushalt für das nächste Jahr eingestellt. Die Digitalisierung verändert unser Leben viel schneller, als dass wir es uns erlauben könnten, Jahre darüber zu reden, wie wir das überhaupt anpacken können. In den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl muss das nach ganz oben. Und selbst dann besteht immer noch die Gefahr, dass das Geld bei den Ländern anderswo verschwindet und gar nicht dort ankommt, wo es hilft: bei den Lehrern und Schülern.

Gibt es weitere Bereiche, in denen ein stärkeres Engagement des Bundes sinnvoll wäre?
90 Prozent der Deutschen wollen, dass wir bundesweit einheitliche Abschlussprüfungen haben. Das halte ich auch für ein sehr wichtiges Thema. Darauf könnten sich die Bundesländer leicht per Staatsvertrag einigen, das ginge trotz Verbots einer Kooperation mit dem Bund.

Es ist absehbar, dass beim Kooperationsverbot auf Jahre hinaus Stillstand herrschen wird: Es sind die Unionsparteien, die sich sträuben, es aufzuheben.
Es bleibt der Bevölkerung nur, mehr Einheitlichkeit einzufordern, damit wir insgesamt die Qualität im Bildungssystem verbessern. Bundeseinheitliche Abschlussprüfungen etwa sind auch wichtig für einen fairen Hochschulzugang. Dort wird im Moment so getan, als wären die Abiturnoten deutschlandweit vergleichbar. Es geht gar nicht darum, die Bildungspolitik vollständig zu vereinheitlichen. Aber wir brauchen mehr Vergleichbarkeit. Ein anderes Beispiel: Viele Bundesländer haben mittlerweile nur noch eine weiterführende Schule neben dem Gymnasium – nur hat die in jedem Land einen anderen Namen und auch eine gewisse andere Ausrichtung bekommen. In einer globalisierten Welt ist das besonders unzufriedenstellend.

Forscher der Bertelsmann-Stiftung warnen vor einem bislang nicht vorhergesehenen Schüler-Boom: Spätestens 2030 dürften deswegen Zehntausende Lehrer fehlen. Panikmache oder Weckruf zur rechten Zeit?
Das ist schon ein Weckruf. Auch wenn es nur grobe Schätzungen sind: Die Zahlen geben her, dass die Geburtenraten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Das ist etwas, auf das die Politik reagieren muss. Wir sehen schon jetzt in vielen Bundesländern, dass eigentlich nicht genügend ausgebildete Lehrer vorhanden sind.

SPD, Grüne und Linke fordern einen Ausbau der Ganztagsschulen. Was ist vor dem Hintergrund des Lehrermangels davon zu halten?
In diesem Bereich sieht man, dass sich in den vergangenen zehn Jahren durchaus etwas verändert hat in den Schulen. Für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie – ein sinnvolles Ziel – ist das gut. Viel weniger wird aber an etwas anderes gedacht: Wie können auch die Kinder und Jugendlichen davon profitieren? Im Moment ist es in der Regel so: Klassischer Vormittagsunterricht, mittags ein warmes Essen und dann ein irgendwie anders geartetes Nachmittagsprogramm, das nicht mal hauptsächlich ausgebildete Lehrer gestalten. Das große Potenzial von Ganztagsschulen liegt aber in einem anderen Rhythmus: Lernzeiten auf der einen und Ausgleichszeiten auf der anderen Seite müssen stärker über den Tag verteilt werden. Das wird bislang nahezu gar nicht umgesetzt.


Geld alleine bringt nicht viel

Hierzulande entscheidet die soziale Herkunft noch immer maßgeblich über Bildungs- und damit Berufschancen. Wieso schafft es Deutschland einfach nicht, mehr Chancengleichheit herzustellen?
Je früher man ansetzt, desto geringer werden die Abhängigkeiten. In Ländern, die Kindern, gerade jenen aus bildungsfernen Schichten, frühzeitig ein qualitativ hochwertiges Bildungssystem bieten, geht die Schere am Ende der Schulzeit nicht so weit auseinander. Wichtig ist auch ein Thema, das in Deutschland nicht gerne diskutiert wird: In Ländern, die früher auf unterschiedliche Schularten aufteilen, ist die Ungleichheit stärker und zwar ohne, dass das Leistungsniveau insgesamt besser wäre, sondern schlechter. Fast nirgendwo auf der Welt, außer in Deutschland und Österreich, werden die Kinder schon nach der vierten Klasse in unterschiedliche Schularten aufgeteilt.

Kompetenzen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik sind laut Forschung zentral für langfristigen Wohlstand. Deutschland ist unter den Industrieländern neuerdings führend beim Anteil der Studienabschlüsse in den sogenannten MINT-Fächern. Müssen wir uns um unseren Wohlstand also keine Sorgen machen?
Was dabei besonders wichtig ist, sind die Basiskompetenzen. Zwar haben wir uns seit dem Pisa-Schock im Jahr 2000 Stück für Stück ins obere Mittelfeld verbessert, sind aber noch lange nicht in der Spitzengruppe. Erst im vergangenen Jahr hat eine andere OECD-Studie gezeigt: Das Interesse an den MINT-Fächern ist unter deutschen Schülern eher unterentwickelt. Wir können uns also nicht ausruhen.

Unternehmen klagen, immer mehr Auszubildenden fehle es an den nötigen Grundlagen. Investiert der Staat insgesamt zu wenig in Bildung?
Die Forschung gibt gar keinen engen Zusammenhang zwischen den reinen Bildungsausgaben und den Schulleistungen her. Beispiel Pisa: Es ist nicht so, dass Länder, die mehr Geld in die Bildung stecken, automatisch besser abschneiden. Anderes ist wichtiger – klare, vergleichbare Prüfungen und mehr Wettbewerb und Autonomie. Das ist viel wichtiger als die Frage, ob wir noch mehr Geld ausgeben müssen.

Eine stärkere Vereinheitlichung und mehr Wettbewerb – ist das nicht ein Widerspruch?
Die richtige Kombination ist entscheidend. Wenn Eltern und Jugendliche mehr Wahlfreiheit sowohl zwischen öffentlichen als auch Schulen in freier Trägerschaft haben, schneiden die Schüler deutlich besser ab. Wohlgemerkt: Es geht um das Management der Schulen, nicht die Finanzierung. Die Schulen vor Ort wissen viel besser als irgendein zentraler Planer, wie bessere Bildungsergebnisse zu erreichen sind. Vergleichbar wiederum werden die Schulabschlüsse nur durch zentrale Abschlussprüfungen. Sie sind die Währung eines Schulsystems.

Die FDP wirbt dafür, den Schulen Geld nach Schülerzahl zuzuteilen. Sie nennt das Bildungsgutscheine. Ist das ein Gedanke, der hinter dem Wettbewerbsaspekt steht?
Das passt sicherlich gut zusammen. Wenn Schulen pro Kopf finanziert werden, setzt das die richtigen Anreize, sie mit diesen Mitteln wirklich besser zu machen. Chancengleichheit ist aber nur dann gegeben, wenn diese Gutscheine nicht durch private Mittel aufgestockt werden dürfen. Man kann auch darüber nachdenken, dass Schulen für Kinder aus schwierigen Verhältnissen mehr Mittel bekommen, damit sie diese Kinder noch stärker fördern können.

Die ganze Welt, so hat man oft den Eindruck, beneidet Deutschland um die duale Berufsausbildung. Mittlerweile studieren aber fast zwei Drittel eines Jahrgangs, viele Lehrstellen bleiben unbesetzt. Sehen Sie diese Entwicklung mit Sorge?
Das sehe ich zwiespältig. Ich finde es nicht ehrlich, wenn Unternehmen sagen: Wir brauchen mehr Facharbeiter, mehr Leute mit einer Ausbildung, aber gleichzeitig sind die Einkommensunterschiede zu Akademikern so groß. Bereitschaft, die entsprechenden Gehälter zu zahlen, muss also der erste Ansatz sein. Das Wichtigste ist, dass wir die Vorteile unserer beiden Systeme verbinden: Es darf nicht nach zehn Jahren Schule plus drei Jahren Ausbildung Schluss sein mit Lernen. Es muss möglich sein, mit dualen Studiengängen oder einem entsprechenden Fachhochschulstudium mehr Kompetenzen zu erwerben.

Sprich: Weiterbildung und die Möglichkeit, eine andere Bildungsrichtung einzuschlagen zu können, werden immer wichtiger?
Absolut. In einer sich digitalisierenden Welt, die sich ständig verändert, sind berufsspezifische Kompetenzen nach 20 Jahren möglicherweise gar nicht mehr nachgefragt. Menschen, die eine duale Berufsausbildung gemacht haben, bilden sich im späteren Leben weniger weiter als Leute mit einer Hochschulausbildung. Eigentlich müsste es genau umgekehrt sein.

KONTEXT

Zur Person

Ludger Wößmann

Seit 2004 leitet Ludger Wößmann das Zentrum für Bildungsökonomik am Münchner ifo Institut. Der Professor für Volkswirtschaftslehre zeigt in seinen Studien vor allem, wie wichtig Bildung für den wirtschaftlichen Wohlstand eines Landes ist. Die Ökonomenvereinigung Verein für Socialpolitik (VfS) hat ihn dafür kürzlich mit dem renommierten Gustav-Stolper-Preis ausgezeichnet.