London und Brüssel erzielen Kompromiss bei Nordirland-Protokoll
Gut drei Jahre nach dem Brexit haben London und Brüssel eine lange umstrittene Grundsatzeinigung über den Status von Nordirland erzielt. Der britische Premierminister Rishi Sunak und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verständigten sich am Montag bei London auf einen Kompromiss, der den Frieden auf der irischen Insel garantieren und zugleich für einen leichteren Warenverkehr sorgen soll. Allerdings droht Premier Sunak Widerstand aus den eigenen Reihen der konservativen Tory-Partei.
Sunak gab sich nach dem Deal optimistisch und sprach von einem "Durchbruch". Die Einigung eröffne ein "neues Kapitel" in den Beziehungen zur Europäischen Union, sagte er nach dem Treffen mit von der Leyen in einem Luxushotel in Windsor westlich von London. Die deutsche Kommissionschefin nannte die Abmachung "historisch".
Bei dem Treffen der beiden Politiker ging es um das sogenannte Nordirland-Protokoll, das Teil des Brexit-Abkommen ist. Danach bleibt Nordirland trotz des britischen EU-Austritts de facto Teil des europäischen Binnenmarktes. London wehrte sich allerdings gegen die von Brüssel verlangten Zollkontrollen.
Das nun getroffene "Rahmenabkommen von Windsor" sieht nach Sunaks Angaben deutliche Erleichterungen bei den von Brüssel verlangten Warenkontrollen zwischen Großbritannien und Nordirland vor. Vor allem für Lebensmittel und Medikamente soll es einen "grünen Korridor" ohne Zollauflagen für Händler geben.
Von der Leyen betonte, der Kompromiss erfülle die Schlüsselforderungen der EU: Er schütze den Binnenmarkt durch eine Reihe von Vorkehrungen. Zudem verhindere er eine "harte Grenze" auf der irischen Insel.
Damit bleibe das fast 25 Jahre alte Karfreitagsabkommen gewahrt, betonte von der Leyen. So heißt der Friedensschluss von 1998, der dem Nordirland-Konflikt mit mehr als 3000 Toten nach Jahrzehnten ein Ende setzte. Pro-britische Unionisten, die mehrheitlich protestantisch sind, und Fürsprecher einer Wiedervereinigung Nordirlands mit der Republik Irland, vorwiegend im katholischen Lager, hatten sich rund drei Jahrzehnte lang bekämpft.
Wie Sunak nun erstmals ankündigte, soll das britische Parlament ein Mitspracherecht bei den Änderungen haben: Es werde "zu gegebener Zeit abstimmen, und das wird respektiert", sicherte er zu. Teile von Sunaks Tories und die Unionisten in Nordirland hatten ihn vor zu großen Zugeständnissen an die EU gewarnt. Auch die EU-Länder müssen den Kompromiss billigen.
Dem erst seit rund drei Monaten regierenden Sunak steht nun womöglich eine Machtprobe gegen Hardliner um den früheren Regierungschef Boris Johnson bevor. Sie hatten etwa verlangt, Europa-Gerichte dürften keine Zuständigkeit bei Zollstreitigkeiten haben. Diese Forderung fand kein Gehör, wie von der Leyen betonte. "Der Europäische Gerichtshof behält das letzte Wort bei EU-Recht", sagte sie.
Dafür handelte Sunak nach eigenen Angaben eine Art Einspruchsrecht für die nordirische Regionalregierung aus. Die sogenannte "Stormont-Bremse" - benannt nach dem Sitz der dezentralen Regierung in Belfast - soll die größte unionistische Partei Democratic Unionist Party (DUP) besänftigen.
Die DUP hatte die Regionalregierung im Streit um das Nordirland-Protokoll vor rund einem Jahr platzen lassen. Der Parteivorsitzende Jeffrey Donaldson reagierte ablehnend auf den nun erzielten Deal und betonte, "Kernsorgen" blieben ungelöst.
Von der Leyen wollte nach Angaben einer Sprecherin am Montagnachmittag noch mit dem britischen König Charles III. zum Tee zusammentreffen. Dabei sollte es um Themen gehen, bei denen die EU und Großbritannien weitgehend auf einer Linie sind: den Klimaschutz und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
lob/ju