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Lernen von Google: Diese einfache Gehaltsregel haben deutsche Unternehmen noch nicht verstanden

Sollten Unternehmen überdurchschnittliche Gehälter anbieten, damit sie Mitarbeiter nicht an die Konkurrenz verlieren? - Copyright: dpa
Sollten Unternehmen überdurchschnittliche Gehälter anbieten, damit sie Mitarbeiter nicht an die Konkurrenz verlieren? - Copyright: dpa

Arbeitskräfte anwerben und halten – ein Thema, das vielen Unternehmen Kopfzerbrechen bereitet. Philipp Riedel, Geschäftsführer von Avantgarde Experts, ist überzeugt, dass deutsche Unternehmen in dieser Sache noch viel lernen können – vor allem von großen US-Tech-Konzernen wie Google, Amazon und Meta.

Diese haben vor allem ein simples Konzept entdeckt, mit dem sie Talente für sich gewinnen: überdurchschnittliche Gehälter. „Die Leute gehen dahin, wo sie am besten verdienen“, sagt Riedel. „Das müssen die deutschen Unternehmen auch lernen.“

Konflikt: Viele Branchen sind an Tarifverhandlungen gebunden

Tech-Konzerne entscheiden, welche Stellen ihnen am wichtigsten sind und orientieren daran die Spannbreite der Gehälter. In Deutschland herrsche eine andere Tradition: Viele Branchen sind an die sozialen Standards der Tarifverhandlungen gebunden, etwa die Metall- und Elektroindustrie. Doch die Arbeitswelt sei viel zu individuell geworden, um daran festzuhalten, sagt Riedel. Einen einheitlichen Lohn über die Grenzen vieler Tätigkeitsfelder hinweg zahlen? Das sei einfach nicht mehr zeitgemäß.

Wie bedeutsam das Thema Gehalt für Arbeitnehmer ist, zeigt eine aktuelle Studie des Personaldienstleisters Avantgarde Experts, die WELT exklusiv vorliegt. So geben 62 Prozent der Befragten an, dass ein besseres Gehalt ihre Arbeitszufriedenheit positiv beeinflussen würde. Das Ergebnis mag in dieser Deutlichkeit erstaunen, zeigten doch vergleichbare Studien von Forsa oder Respondi die Bedeutung von einer ausgewogenen Work-Life-Balance oder das gute Verhältnis zum Vorgesetzten für die Zufriedenheit im Job.

Auch in einer Studie von EY aus dem September 2021 zeigte sich, dass Aspekte wie Work-Life-Balance immer weiter in den Vordergrund rückten, stellt Anika Peschl vom Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) fest.

Dass der Punkt Gehalt für Arbeitnehmer nun doch wieder so weit in den Vordergrund gerückt sei, hält die Arbeitsforscherin auch für eine Folge des Ukraine-Krieges. Denn besonders in Krisenzeiten sind Arbeitnehmer auf Sicherheit bedacht, angesichts der anhaltenden Inflation bleibt auch das Bedürfnis nach einem guten Gehalt.

Arbeitsforscher nennen die Entlohnung auch gerne einen „Hygienefaktor”: Eine angemessene Vergütung kann Unzufriedenheit im Job vorbeugen, wird aber oftmals als selbstverständlich erachtet. „Das heißt: Erst wenn sie fehlt, löst das bei Arbeitnehmern Unzufriedenheit aus”, erklärt Anika Peschl. Ist der Faktor aber erst einmal gegeben, rücken andere Aspekte in den Vordergrund – etwa das Thema Flexibilität.

In den USA herrscht Uneinigkeit über Homeoffice und mobiles Arbeiten

In Sachen Homeoffice und mobiles Arbeiten sind die Tech-Giganten aus den USA durchaus gespaltener Meinung. Für Tesla-Chef Elon Musk ist das eher ein Reizthema: Anfang Juni schrieb er in einem internen Mailing, jeder Mitarbeiter müsse mindestens 40 Stunden in der Woche im Büro verbringen. Innovation entsteht nicht im Homeoffice, sondern durch dichte Kooperation und Kommunikation – und dafür muss man zusammenkommen, begründet Riedel die Forderung des Multimilliardärs.

Differenzierter bewertet Slack-CEO Stewart Butterfield die Entwicklung. In einem Interview mit WELT sagte er kürzlich, man könne Mitarbeiter nicht zurück ins Büro zwingen. Zwei Bürotage pro Woche halte er außerdem für vollkommen ausreichend.

Auch bei Meta – dem Mutterkonzern von Facebook – scheint man diesen Wunsch der Mitarbeitenden ernst zu nehmen. „Flexibilität ist ein absolut wichtiges Thema am Arbeitsmarkt – und damit auch für uns“, sagt Fabian Köster, Head of Talent Sourcing bei Meta.

Meta lässt eigenes Personal auch im Ausland arbeiten

„Wir stellen schon jetzt vermehrt örtlich ungebundene Verträge aus und überlassen den Mitarbeiter:innen damit die Wahl, von wo aus sie arbeiten möchten.“ Auch Köster selbst hat seinen Vertrag umschreiben lassen und sitzt nun gerade in Friesland, um mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu können.

Zuvor arbeitete Köster meist im Facebook Büro in Hamburg, aber auch damals schon an mindestens zwei Tage pro Woche im Homeoffice. Innerhalb Europas bietet Meta seinen Remote-Mitarbeitern die Möglichkeit, ihrem Job auch aus einem anderen Land nachzugehen. „Aktuell ist so ein Umzug mit Job in acht Ländern in Europa möglich. Voraussetzung ist, dass eine Arbeitserlaubnis bereits vorhanden ist. Eine Mitarbeiterin, die heute in Hamburg arbeitet, könnte also vom Strand in Barcelona aus arbeiten.”

Welcher Sinn verfolgt die Arbeit? Die Frage stellen sich auch viele

Doch nicht nur der Wunsch nach mobilem Arbeiten hat sich während der Pandemie verstärkt – auch das Gefühl, mit dem Job etwas Sinnstiftendes tun zu wollen, nahm zu. So gaben zwei Drittel der Befragten an, sich vor einem Jobwechsel über das soziale und umweltschützende Engagement des potenziellen Arbeitgebers zu informieren. „Dieser Aspekt ist wesentlich stärker ausgeprägt als in der Vergangenheit”, stellt Riedel fest.

Viele Unternehmen versuchen sich mit Leitsprüchen und Visionen regelrecht zu überbieten. Aber hier sei Vorsicht geboten, rät Riedel. „Wenn ich eher ein konservativer Zulieferer bin, dann muss ich mich nicht als etwas anderes darstellen.” Sinnvoller sei es, eine Zukunftsvision zu setzen, mit kleinen Teil-Zielen, die für die Mitarbeiter einfach verständlich sind.

Diversität nicht nur als Buzzword nutzen – sondern machen

Genau solche Teil-Ziele setzen sich immer mehr Unternehmen auch in Sachen Diversität. Längst geht es dabei nicht mehr nur um Frauenquoten. Teams, in denen verschiedenen Nationalitäten, Ethnien, Altersgruppen und Geschlechter vertreten sind, sei auch wirtschaftlich sinnvoll. „Ohne Vielfalt können wir keine guten Produkte entwickeln, die für Menschen weltweit, die unsere Plattform nutzen, funktionieren und ihnen einen Mehrwert bieten“, sagt Köster von Meta.

„Bei uns ist Diversität nicht nur ein Buzzword. Wir sind sehr transparent damit und lassen uns jedes Jahr an unseren selbstgesetzten Maßstäben messen.“ Wie zahlreiche weitere US-Konzerne veröffentlicht auch Meta jährlich einen Diversity Bericht und setzt sich Ziele für vielfältigere Teams.

Etwa durch regelmäßige Mitarbeiter-Umfragen und kleine Teams versuche man zudem, jede Stimme zu hören – von Introvertierten wie Extrovertierten, Frauen wie Männern, unterrepräsentierten Gruppen sowie unterschiedlichen Positionen im Unternehmen. „Das ist entscheidend, damit sich die Mitarbeiter:innen mitgenommen und zugehörig fühlen“, erklärt Köster der in der Region Europa, Mittlerer Osten und Afrika Diversitäts- und Inklusionsprojekte im Konzern vorantreibt.

Eine Trennung zwischen „Work” und „Life” gibt es in den USA selten

Dennoch gilt: Die Silicon-Valley-Mentalität in all ihren Aspekten abzukupfern, ist für deutsche Unternehmen nicht ratsam. Denn anders als das dem Wunsch vieler Arbeitnehmer hierzulande entspricht, neigen einige der amerikanischen Tech-Konzerne eher nicht dazu, „Work” und „Life” zu trennen. „Diese Konzerne sind attraktiv für junge Talente, die sich vielleicht für drei bis vier Jahre dort einmal ausprobieren möchten”, sagt Riedel.

Kürzlich zog etwa Meta-CEO Mark Zuckerberg die Zügel noch einmal ordentlich an: Er teilte seinen 77.800 Mitarbeiter mit, sich auf eine harte Zeit mit knapperen Ressourcen und mehr Arbeit einzustellen und sagte: „Realistisch gesehen, gibt es wahrscheinlich eine Reihe von Leuten hier im Unternehmen, die nicht hier sein sollten.“ Auch bei US-Konzernen mit Vorbildfunktion ist die Zukunft also nicht immer rosig.

Dieser Text erschien zuerst bei Die Welt.