Lauter Lolas für “Toni Erdmann"?

Nach dem verpassten Oscar-Triumph hat Maren Ades groteske Tragikomödie beste Chancen, nun beim Deutschen Filmpreis endlich abzusahnen. Verdient hätte es “Toni Erdmann" allemal. Doch auch die nationale Konkurrenz schläft nicht.

Von Thomas Lassonczyk

Am 28. April wird in Berlin zum 67. Mal der Deutsche Filmpreis verliehen. Dabei geht es nicht nur um die goldene Statuette, die seit 1999 Lola genannt wird, sondern auch um jede Menge Kohle. Immerhin knapp drei Millionen Euro werden dieses Jahr ausgeschüttet, Geld, das die Filmschaffenden für ihre neuen Kinoprojekte gut gebrauchen können. Von den drei Favoriten “Toni Erdmann” (sechs Nominierungen), "Wild” (sieben) und “Die Blumen von gestern” (acht) hätte sicherlich “Toni Erdmann” die Trophäen am meisten verdient.

Denn Maren Ades großartig groteske Tragikomödie um eine seltsame Vater-Tochter-Beziehung war mit fast einer Million Besuchern nicht nur ein veritabler Publikumshit, sie punktete vor allem auch durch Originalität und einen innovativen Inszenierungsstil. Außerdem schrammte “Toni Erdmann" sowohl an der Goldenen Palme von Cannes 2016 als auch bei der diesjährigen Oscar-Verleihung, wo es um den besten nichtenglischsprachigen Film ging, haarscharf an den Auszeichnungen vorbei. Neben den Kategorien Bester Spielfilm und Beste Regie sind auch die beiden herausragenden Hauptdarsteller Sandra Hüller und Peter Simonischeck nominiert.

Ade sollte auch in der Sparte Drehbuch gewinnen sowie Heike Parplies für den Schnitt. Die großen “Toni Erdmann"-Festspiele Ende April kann im Prinzip nur ein Werk verderben: der Nominierungs-Spitzenreiter “Die Blumen von gestern”. Das hat vor allem zwei Gründe:

Erstens ist Regisseur Chris Kraus ein ausgesprochener Liebling jener Jury-Mitglieder, die bei der Vergabe des Deutschen Filmpreises etwas zu sagen haben. So wurde etwa 2007 sein Drama “Vier Minuten” bereits als bester Film ausgezeichnet, ebenso wie Hauptdarstellerin Monica Bleibtreu. Vier Jahre später gewann sein episches Historiengemälde “Poll” vier Lolas (Kamera, Nebendarsteller, Kostümbild, Szenenbild). Der zweite Grund liegt am Thema.

“Die Blumen von gestern" setzt sich mit dem Nationalsozialismus‘ auseinander. Und diese Aufarbeitung des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte wird normalerweise immer honoriert, besonders wenn es wie in diesem speziellen Fall auch noch auf höchst intelligente und überraschend sarkastisch-humorvolle Art und Weise behandelt wurde. “Die Blumen von gestern" konkurriert in den Sparten Film, Hauptdarsteller (Lars Eidinger), Regie und Drehbuch direkt mit “Toni Erdmann”, dazu könnte er auch aus den Kategorien Nebendarstellerin, Kamera, Szenenbild und Kostümbild siegreich hervorgehen. Es fällt auf, dass in diesem Jahr die Regisseurinnen ganz zweifellos das Sagen haben. Neben Maren Ade und Außenseiterin Anne Zohra Berrached (für “24 Wochen”) ist hier auch Nicolette Krebitz vertreten.

Die Schauspielerin verfilmt bereits seit der Millenniums-Wende immer wieder ihre eigenen Drehbücher (”Jeans", “Das Herz ist ein dunkler Wald”). Mit ihrem im wahrsten Sinne des Wortes animalischen Film “Wild” bleibt sie ihrem unorthodoxen, sehr einwilligen Regiestil einmal mehr treu und darf so als ernsthafte Mitstreiterin um die Lolas betrachtet werden. Und Vorschusslorbeeren bringt Krebitz ebenfalls mit. Anfang des Jahres wurde sie mit dem Bayerischen Filmpreis als beste Regisseurin geehrt.

Nominiert ist “Wild” neben Film und Regie auch in den Sparten Hauptdarstellerin (Lilith Stangenberg), Nebendarsteller (Georg Friedrich), Kamera, Schnitt und Ton. Alle anderen deutschen Produktionen wie etwa die Literaturadaption “Tschick” (immerhin vier Mal nominiert) oder der Publikumsliebling “Willkommen bei den Hartmanns” (geht nur als bester Spielfilm in Rennen, hat aber schon die Lola als zuschauerstärkster Film sicher), der auf angenehm amüsante Weise die aktuelle Flüchtlingssituation thematisiert, werden am 28. April keine Rolle spielen.


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